Synopse
Erinnert, vergessen, verdrängt, gerechtfertigt. Ein Großvater, der den Nationalsozialismus und die DDR miterlebt hat. Eine Enkelin, die ihn dazu befragt. Briefe, Homevideos und eine Stasi-Akte, die Widersprüche im Erzählten offenlegt. „Was machen wir mit dem, was sich uns eingeprägt hat?“, tippt es im Schreibmaschinentakt, während zwischen Treppenlift, Heimtrainer und Sudoku die Narrative deutscher Geschichte zum Vorschein kommen. „Wofür der Film ist, musst du mir sagen“, neckt der Großvater.
Protokoll
Es heißt, im Film gäbe es eine Verhörszene, nicht geplant, aber trotzdem so, als läge eine unwillkürliche Verdopplung aus der Stasigeschichte vor. Sicher könnte man dies auch für das Protokoll weiterdenken, womit auch die Fiktionalisierung der Duisburger Realität allmählich beginnt. Auf seltsame Weise kommt das Bedürfnis nach neuen, alten Ostgeschichten oder Enkelfilmen damit immer wieder in Berührung. Wahrscheinlich, weil die Bedeutung dessen, was erklärt werden muss, eigentlich schon klar, aber noch nicht sag- oder formbar ist.
Mit der Frage, die man wohl nur in Sachsen hören kann, nämlich, ob der Film auch im Westen gezeigt werden würde, wie man vor ein paar Tagen auf der DOK Leipzig wissen wollte, führt auch Maxi Braun das Gespräch ein. Aber anstatt über die jahreszeitentypische DDR-Geschichte zu sprechen, interessiert sie sich zunächst für die Duisburg-typische Form- und Materialgeschichte des Films. Anfangs hatte Regisseurin Laura Coppens gedacht, es gäbe nur wenig Material. Da ihr Großvater aber so viel aufbewahrte, ihr anvertraute und schließlich noch die persönliche Stasiakteneinsicht vor seinem Tod beantragte, wurde es allmählich immer mehr. Dabei war sie überrascht, wie gut und umfassend das deutsche Archivwesen aufgestellt ist. Im Gegenteil war es aber eher schwierig mit ihrem Großvater zu drehen, da dieser abgesehen von Sportübungen und anderen Beschäftigungen, wie sein obsessives Gedächtnistraining, nicht viel mehr unternahm, weshalb sich der Austausch zwischen Enkelin und Großvater, nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie, ins Schriftliche verlegte, wovon man im Film teils hören und lesen kann.
Ursprünglich wollte die Regisseurin den Film auch mit beiden Großeltern drehen; zwischen ihnen hätte es immer kleine Streitereien gegeben, weil die Großmutter als überzeugte Stalinistin wohl schlechter loslassen konnte. Nach dem Tod der Großmutter wollte der Großvater dann für sich einen besseren Tod, was sich in seinem Wunsch nach Aussprache ausdrückte, gleichzeitig sehnte er sich aber auch einfach nach dem Besuch durch seine Enkelin. Währenddessen wäre er mal fitter, mal weniger fit gewesen und so ging es oft auch darum, miteinander Zeit zu verbringen. Nach dem Tod des Großvaters konnte die Regisseurin dann ein Jahr lang nicht mit dem Material arbeiten. Der Umgang mit der Stasiakte des Großvaters, die mehr Information hergab als die ihrer Großmutter, da er selbst sie noch beim Bürgeramt beantragte, sei dahingehend auch nicht leichter gewesen. So war der Regisseurin wie ihrer ganzen Familie gar nicht klar, dass ihr Großvater auch als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet hatte.
Hingegen wäre es schnell klar gewesen, dass die Enkel-Großelternbeziehung im Film eine Rolle spielen soll, genauso wie es wichtig gewesen sei, mit der Schwierigkeit zwischen Nähe und Distanz umzugehen. Aber was bedeutet das, wenn bestimmte Dinge „schnell klar sind“, vor allem in struktureller Hinsicht? So gibt beispielsweise die Erica-Schreibmaschine, samt getippter Zitate von Christa Wolf aus Kindheitsmuster ein gerüstartiges Element im Film zu erkennen, eventuell auch einen (n)ostalgischen Identifikationsanker. Coppens erklärt, dass diese Idee erst relativ spät im Prozess des Films entstand, denn sie hatte die Bibliothek ihres Großvaters geerbt und dort in den Wolf-Bänden einige unterstrichene Zeilen entdeckt. Für sie selbst sei Wolf sehr wichtig, insbesondere als ostdeutsche Schriftstellerin, die sich mit der Nazi-Vergangenheit auseinandersetzte. Insofern hatte sie auch die Hoffnung, dass ihr Großvater ebenso dazu bereit gewesen wäre. Neben Wolf nennt Coppens aber auch Thomas Heise als Referenz für ihre Arbeit, was bei der Zaunszene auffällt, wie die Regisseurin auf Nachfrage durch die Moderatorin erklärt.
Nach und nach entwickelt sich das Gespräch, das im Allgemeinen zwischen ungewohnt kurzen Fragen und Antworten wechselt und hier zusammenfassend wiedergegeben wird, hin zur ideologischen Dimension des Films, wenn man so will. Etwa fragt Braun nach den bedrohlich wabernden Sounds, woraufhin Coppens erklärt, dass ihre Tondesignerin das Gefühl hatte, „reinzugrätschen“ zu müssen, um die emotionale Involviertheit der Enkelin und Regisseurin zu unterbrechen, wodurch der Film in die Gegenwart geholt wäre. Hieran hebt die Moderatorin den Versuch, die Diktaturen und ihre Kontinuität in den AfD-Hochburgen des Erzgebirges zu verbinden hervor, woran man auch eine dezente Kritik am Film wahrnehmen kann. Coppens erklärt einerseits, dass die (verschwiegene) Weise des Erinnerns ihres Großvaters typisch für Deutschland sei, wenn er beispielsweise bei Familienmitgliedern sehr emotional reagierte, beim Erzählen von KZ-Häftlingen hingegen kaum. Andererseits wollte die Regisseurin, dass das Publikum den Protagonist auch erst einmal kennenlernt, bevor die Stasigeschichte im Film nach einer Stunde offenbart wird.
Sie selbst sei mit der Tätererzählung über die Stasi großgeworden und hatte das Gefühl, dass immer noch ein „Graubereich“ fehle. Auch wenn ihre Nichtantwort zum Verhalten des Großvaters ein Scheitern sein könnte, versucht sie, dem Publikum die Bewertung darüber zu überlassen, was man ähnlich auch aktuell in einer neuen ostdeutschen Literaturgeneration finden könnte, von der sie sich inspiriert zeigt. Dabei bezieht sie sich immer wieder auch auf den Soziologen Steffen Mau, der meint im Osten hätte es bislang keine vergleichbare 68er-Generation und die Suche nach Konfrontation mit der Vergangenheit gegeben. Man darf sich wohl fragen, ob diese zumindest im Kino beispielsweise mit Heise nicht doch schon stattfand, oder aber wie diese denn heute aussehen soll.
In der neutralen Schweiz, wo die Regisseurin lebt, konnten sich ihre Studierenden eher mit dem Schweigen und der verfilmten Enkel-Großeltern-Beziehung identifizieren. Daraus könnte man auch schließen, es geht meist eher um ein Gemeinschaftsgefühl, als die Geschichte und ihre Konsequenzen, denn inwiefern die Erzählung des Films mit der AfD zusammenhängt, wird auch im Gespräch kaum deutlich. Außer, dass der Großvater sich beim gemeinsamen Nachrichtenschauen darüber schockiert gezeigt hätte. Braun ergänzt, dass dies nicht nur auf den Osten, sondern ebenso Duisburg zutreffe und beendet damit das Gespräch.