Im Film „Krai“ (AT 2021) von Aleksey Lapin ist immer wieder von einem ominösen Gas die Rede, welches es vermag, die Menschen verrückt zu machen und Autos zum Erliegen zu bringen. Es ergreift gewissermaßen Besitz von den Dörflern, bleibt dabei aber unsichtbar. Dennoch sorgt es für den ein oder anderen Lacher. Und es schleicht sich in imaginärer Form in einzelne Szenen, denn nie kann man sich sicher sein, ob das, was in „Krai“ passiert, vielleicht nicht doch nur Resultat eines unkontrollierbar austretenden Stoffes ist, der hier gleichwohl gefährdet als auch schützt. Schützt, weil sich, theoretisch, stets hinter seinen Effekten verbergen ließe. Lapin verwischt damit Grenzen, führt ein Element ein, das zwischen den vermeintlichen Trennwänden Wirklichkeit und Fiktion diffundiert, sein ganz eigenes Ding macht, wir schauen lediglich zu, amüsieren uns oder auch nicht, sind möglicherweise irritiert. Das Gas sorgt für Komik an einem Ort, in den das Filmteam eingefallen ist, um zu dokumentieren, vor allem aber auch um zu spielen.
„Krai“ macht keine ernstlichen Absichten deutlich. Beziehungsweise doch, wenn gleich zu Beginn verkündet wird, man wolle einen historischen Film drehen, Interessenten wären zum Casting eingeladen. Doch dann löst sich alles auf in einem kollektiven Trip. Aleksey Lapin lässt die Zügel locker, obwohl sein Film formal auch streng daherkommt, in schwarzweiß, und mit Aufnahmen, die mehr geplant wirken als zufällig. Es ist ein eigenartiges Setting, das Raum bereithält für schräge Auftritte. Dass hier eventuell ein jeder gleichermaßen einem Wahn verfallen ist – sowohl Protagonisten als auch das Filmteam, welches ebenso vor die Kamera tritt –, stellt in Ansätzen eine Gleichrangigkeit her, die mit ein bisschen Wohlwollen als Augenhöhe bezeichnet werden könnte.
Aber Wohlwollen ist in Duisburg nicht unbedingt zuhause. Davon zeugen die gesammelten Protokolle der geführten Filmgespräche aus nunmehr über vierzig Jahren. Und auch, dass gerade die mit Humor und Komik agierenden Filme nicht selten genau diejenigen waren, welche in den Diskussionen das größte Sprengpotenzial boten. Vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet das, was uns belustigt, uns auch spiegelt. Im Affekt wird etwas offenbar. Wir sind als jemand sichtbar geworden, uns ist etwas entfleucht. Manchmal lacht man aus Verlegenheit, als Übersprungshandlung, versteht selbst nicht, woher der merkwürdige Ausdruck stammt. Dann wieder ärgert einen das Lachen der anderen, das einem unverständlich bleibt, ja, unpassend erscheint.
Es gibt einen Regisseur, der insgesamt siebenmal in Duisburg zu Gast war, oder besser gesagt: dessen Filme siebenmal eingeladen wurden. Denn zum Schluss hat er den Weg von Österreich ins Ruhrgebiet nicht mehr auf sich genommen. Sein Name: Ulrich Seidl. Bereits mit „Mit Verlust ist zu rechnen“ (AT 1993), der sich in einem kleinen österreichischen Dorf an der Grenze zu Tschechien umschaut, wurde „das Problem des Lachens zum Hauptthema der Diskussion“. Protokollant Torsten Alisch vermerkt: „Eine Frau fühlt ‚Unwohlsein‘, weil sie zum Lachen herausgefordert wurde, aber gar nicht über diese Leute lachen wollte. Das sei schlecht. Die Würde des Menschen… usw. Wörtlich: ‚Ich will diese Art von Film nicht!’“
Der folgende Absatz im Protokoll ist bemerkenswert und soll deswegen in ganzer Länge wiedergegeben werden: „Derartiges Übermenschentum bzw. Überzuschauerinnentum wurde von anderen Rednerinnen korrigiert: Hinter solch selbstauferlegtem Lachverbot steht das arrogante Denken von ‚Die Darsteller sind so dumm, darüber darf ich nicht lachen.‘ Heulende Gesichter und gutgemeinte Trostlosigkeit werden im Dokumentarfilm akzeptiert, aber das Lachen ist in den Dokfilmzuschauerinnenkörpern scheinbar unzertrennlich mit quälenden Gelenkschmerzen und Selbstzweifeln verknüpft. Das Wort vom ‚adäquaten Zynismus‘ wurde vom Podium in den Raum geworfen, führte aber nur zu weiteren Bonmots.“
Ähnlich herausgefordert wird auch Elfi Mikesch, zu Gast mit „Was soll’n wir denn machen ohne den Tod“ (DE 1980). Ihr Film besucht einige Damen in einem Altersheim. Unmut erregt eine Szene, in der zwei Bewohnerinnen von einer Pflegerin eine Treppe hinunter in den Garten geführt werden. Protokollantin Corinna Belz: „Durch die unterlegte Musik erschien die Sequenz einem Zuschauer wie eine ‚Zirkusszene‘, die ‚auf Kosten der alten Leute gehe‘.“ Mikesch nimmt den Vorwurf nicht an. „Sie habe in Bezug auf diese Darstellung überhaupt keine ‚moralischen Bedenken‘, denn Humor und Komik seien genau das, was den alten Menschen abgesprochen werde, indem man sie immer so erlebe, als müßte man ‚weinen‘ oder sie behandeln, als lebten sie schon ‚unter einer Glasglocke‘.“
Provoziert fühlt man sich in Duisburg vor allem von humoristischen Eingriffen durch die Regie. Indes man eine Absurdität, wie sie die sogenannte Wirklichkeit bereithält, durchaus goutiert, wenn es gelingt, diese möglichst originalgetreu zu entnehmen. Grenzgänger, die versuchen, beides zu vereinen, das heißt, mittels stilistischer Verfremdung und dem Spiel mit der Komik einen Aspekt von Wirklichkeit darzustellen, wie er sonst womöglich verborgen geblieben wäre, haben es am schwersten. Man missversteht sie häufig und gern.
Das Protokoll um Simon Quacks „Procedere“ (DE 2015), der immer wieder Aufnahmen tagesaktueller Gerichtsberichterstattung aus dem Fernsehen aneinanderreiht, Ersatzbilder also, lässt einen derartiges Missverständnis, das im Disput zwischen verschiedenen Parteien mündet, wiederaufleben. Kommen die einen mit den „inhaltsleeren Bildern“ nicht zurecht, begreifen vor allem die anwesenden Gerichtsreporter des WDR Quacks Arbeit als „spannenden Prozess, wie ein Fernsehbeitrag entsteht.“ Es gibt aber auch Luzides: „Eine neue Stimme findet die Diskussion irritierend, den Film lustig und eine klare Kritik an Fernsehbildern. Er offenbare Witz in der Ernsthaftigkeit und sie bedauere, dass Quack versucht, all das kleinzureden.“
Ein Beispiel für einen „schreiend komischen“ Film, der das Publikum trotzdem geschlossen hinter sich versammeln konnte, ist „Hier sprach der Preis“ (DE 2014) von Sabrina Jäger. In ihm wird der schrittweise Abbau einer Praktiker-Filiale in Bruchsal erfahrbar: über Monate leeren sich die Verkaufshallen, die Rabatte klettern in ungeahnte Höhen, die Belegschaft richtet sich in einem Galgenhumor ein, über allem schwebt süßlich-dümmliche Easy-Listening-Musik. Jäger hat einen Schauplatz ausfindig gemacht, der auf minimaler Fläche maximale Komödie bietet. Als Herausforderung präsentierte sich lediglich die Aufgabe, das geballte komödiantische Potenzial des in die Knie gezwungenen Konsumtempels zu bändigen: „Mitunter habe Jäger auch dort eingreifen müssen, wo die Komik in Slapstick überzugehen drohte“, so Protokollant Matthias Wannhoff.
Jägers Film vereint einen „Respekt vor den existenziellen Ängsten“ des bald arbeitslosen Personals mit einer gemeinsam durchlebten Lust am Untergang eines börsenorientierten Unternehmens, das mit seinem Slogan „20% auf alles (außer Tiernahrung)“ vielleicht auf ewig im kollektiven Gedächtnis bimmeln wird. In seinem Text „Das Lachen: Ein Essay über die Bedeutung des Komischen“ bemerkt der französische Philosoph Henri Bergson: „Das Lachen hat keinen größeren Feind als die Emotion. Ich will nicht behaupten, daß wir über einen Menschen, für den wir Mitleid oder Zärtlichkeit empfinden, nicht lachen könnten – dann aber müßten wir diese Zärtlichkeit, dieses Mitleid für eine kurze Weile unterdrücken.“
Was an „Hier sprach der Preis“ so erheitert, ist, dass man sich auch in einer geteilten Schadenfreude wiederfindet. Die Mächtigen im Kostüm der gefallenen Baumarktkette können kaum mehr Kontrolle ausüben, selbst der aus UK beorderte Verwalter der Insolvenzmasse, der kein Wort Deutsch spricht, entpuppt sich als Opportunist und wirkt bereitwillig an Jägers Film mit. „Hier sprach der Preis“ ist auch Angebot zur Katharsis. Niemand würde Mitleid für die Praktiker AG empfinden, die Regisseurin schlägt sich in ihrer Beobachtung ganz auf die Seite der Geschädigten, die nun, da eh alles verloren ist, ihre letzten Arbeitstage nahezu anarchisch gestalten. Oder, wie im Protokoll ein Filmbild genüsslich reproduziert wird: „Am Anfang ist der Schokokuchen. Eine Zuckergussmischung mit den Lettern des einstigen Baumarktriesen Praktiker prangt darauf, bevor sich ein Küchenmesser genüsslich durch die blau-gelbe Masse schneidet.“ In der Solidarität mit der Belegschaft und der nur fairen Ausschlachtung eines Niedergangs finden die Dokumentarfilmzuschauerinnenkörper in Duisburg in eine ihnen angenehme Form, fühlen sich warm und kühl zugleich.