Film

Hier sprach der Preis
von Sabrina Jäger
DE 2014 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
08.11.2014

Diskussion
Podium: Sabrina Jäger
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Matthias Wannhoff

Synopse

Ist das Nussbaum? Oder Grau? – Das sieht immer so aus. – Ein Baumarkt in der Abwicklung. Geschichten am Servicestand. Schilder für die, die eh nicht lesen: Keiner mehr da. Was bringt die Zukunft? Transfergesellschaft? Elternzeit? Nur noch 4 Tage. Wir danken für Ihren Einkauf. Geschlossen. 

Protokoll

Am Anfang ist der Schokokuchen. Eine Zuckergussmischung mit den Lettern des einstigen Baumarktriesen Praktiker prangt darauf, bevor sich ein Küchenmesser genüsslich durch die blau-gelbe Masse schneidet. Monate nach der Auflösung einer Filiale in Bruchsal bei Karlsruhe, deren Mitarbeiter von ihrem Schicksal erst über die Fernsehnachrichten erfuhren, sind sie beim gemeinsamen Wiedersehen selbst diejenigen, die ihren früheren Arbeitgeber zerlegen dürfen. Wenn auch nur in Kuchenform.

Ein Zeitsprung, mitten in die Ausverkaufswochen, wo die berühmten „20% auf alles außer Tiernahrung“ mitunter auf satte 95% hochschnellen und auch Tiernahrung nicht mehr vor der Rabattierung gefeit ist. In der Bruchsaler Filiale trifft man zwischen leeren Gängen und spärlich befüllten Regalen auf zweifelhafte Werbebotschaften wie „Alles muss raus“ und „Ab sofort keine Beratung mehr“, während es symbolträchtig durch die Decke tropft. Marina und Elena, die letzten zwei festen Mitarbeiterinnen im Verkauf, die sich nicht krankgemeldet haben, sind unfreiwillig zu Sterbebegleitern geworden.

Mit dem letzten Wettbewerbsbeitrag auf der Filmwoche schließt sich eine thematische Klammer um das Festivalprogramm, wenngleich unter verdrehtem Vorzeichen, so Werner Ružičkas Beobachtung. Während der Eröffnungsfilm „Göttliche Lage“ noch die Umwandlung eines Dortmunder Stahlwerkterrains in ein Villenviertel begleitet habe, zeige Sabrina Jägers Film nun die umgekehrte Bewegung: Ein Konsumtempel macht die Pforten dicht. Hier die exzessive Stadtteilsanierung, dort der Niedergang des Kapitals. Zum Thema habe sie gefunden, als die Insolvenz von Praktiker bereits durch die Nachrichten ging, erzählt Jäger zu Anfang des Gesprächs. Um sich ein Bild vor Ort zu machen, sei Jäger in ihre Heimatstadt Bruchsal gefahren, und was sie dort vorfand, sei vor allem „absurd“ gewesen: knallbunte Schilder, Abrissstimmung und eine Mitarbeiterin mit Tränen in den Augen. Nachdem die Entscheidung gefallen war, an diesem Ort einen Film zu drehen, blieb für Vorbereitungen wenig Zeit: Schon eine Woche später sollte der Ausverkauf beginnen. Ohne Treatment habe Jäger deshalb den Dreh begonnen.

Ružička kommt auf die „alte Sorge“ zu sprechen, dass die Arbeitswelt dazu neige, sich die Filmwelt vom Leib halten zu wollen und Drehgenehmigungen nur selten erteile. Jäger erklärt, dass der Filialleiter, einer der vier Protagonisten im Film, genauso verärgert über die Firmenleitung gewesen sei wie seine Angestellten und sich Aktien habe kaufen müssen, um Interna nicht erst über die Fernsehnachrichten zugespielt zu kriegen. Die Drehgenehmigung habe er dann ganz offiziell erteilt.

Das Einverständnis zweier Personen, die für „Hier sprach der Preis“ gerade deshalb so wichtig sind, da ihre Rollen im Baumarkt gegensätzlicher kaum sein könnten, sei dagegen schwieriger einzuholen gewesen. Da ist zum einen Elena, als Kassenaufsicht ohne Ausbildung vom Abrutschen in Hartz 4 bedroht. Erst nachdem Jäger mehrere Interviews mit ihrer Kollegin Marina geführt hatte, sei auch Elena bereit gewesen, vor die Kamera zu treten. Die andere Figur ist ein Brite namens Nigel, der, ohne ein Wort Deutsch zu können, die aufgekaufte Insolvenzmasse zu Schleuderpreisen an den Mann bringen soll. Ein Lachen geht durchs Publikum, als Jäger von einem Moment erzählt, in der sich Nigel mit dem alten Filialleiter über Google Translate zu verständigen suchte. Letztlich habe er sich aus Opportunismus bereit erklärt, vor die Kamera zu treten, erzählt Jäger, die nebenbei als Dolmetscherin zwischen ihm und der Belegschaft vermittelt habe – und in dieser Funktion einmal auch selbst vor die Kamera tritt.

Auf über 150 Stunden beziffert Jäger die gewaltige Materialmenge, mit der sie Bruchsal nach der Schließung der Praktiker-Filiale verlassen hat. Zwei Monate habe sie allein mit der Sichtung verbracht, vier weitere Monate seien auf die Feinarbeit verfallen. Das Ergebnis ist ein Film, der bei allem Respekt vor den existenziellen Ängsten seiner Figuren bisweilen schreiend komisch ist. Ein Zuschauer fragt, ob es Momente gab, die den absurd-heiteren Tonfall von „Hier sprach der Preis“ gestört hätten. Eine solche Zensur habe laut Jäger nicht stattgefunden, wohl aber sei es ihr wichtig gewesen, dass die Figuren ihre Würde behalten. Wie die Protagonistinnen außerhalb der Verkaufsfläche Waschmaschinen horten, um zuzuschlagen, sobald die höchste Rabattstufe erreicht ist, werde darum nicht gezeigt.

Mitunter habe Jäger auch dort eingreifen müssen, wo die Komik in Slapstick überzugehen drohte. Die Sequenz etwa, in der Elena einen absurden Berg „zu verschenkenden“ Kleinkrams per Warenscanner für Centbeträge abkassiert und die nebenbei, keineswegs zentral im Film eingebaut ist, habe ungeschnitten vier Stunden gedauert. Ružička stimmt zu, dass sich dieser Sisyphoshumor bei längerem Draufhalten erschöpft hätte. Kaum zu glauben ist dagegen, dass das musikalische Thema des Films, ein suggestiver Dauerloop klebrigsten Easy Listenings, tatsächlich der Beschallung vor Ort entnommen wurde. „Live“ sei er zwar nicht, doch dass die Wirklichkeit manchmal den größten Slapstick bereithält, führt dieser Soundtrack – der einem Werbespot von Alpina Farben mit Tim Mälzer als Testimonial entstamme – auf beispiellose Art und Weise vor.

Im Nachhinein hätte sie manches anders gemacht, gibt Jäger zu Protokoll. Den außerfilmischen Schluss, also das Wiedersehen beim Firmen- oder besser Transfergesellschaftsgrillen, würde sie heute nicht mehr an den Anfang stellen. Auch wäre es vielleicht besser gewesen, die immer gleichen Ecken im Baumarkt zu filmen, um den fortschreitenden Zerfall besser zu dokumentieren. Hier fühlt sich Ružička gezwungen einzuhaken – man sei beim Drehen ja einem Countdown ausgesetzt gewesen! – und sieht keinen Grund für falsche Bescheidenheit. Ebenfalls nicht zu finden: Anzeichen, dass ihm jemand aus dem Publikum widersprechen würde.