Film

Mit Verlust ist zu rechnen
von Ulrich Seidl
AT 1993 | 118 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
12.11.1993

Diskussion
Podium: Ulrich Seidl, Michael Glawogger (Buch)
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Auf die erste Frage gleich die erschöpfende Antwort: Dieser Film ist vollkommen inszeniert, mehrmals geprobt und fast jede Szene mehrfach gedreht. Mon kann mit Laiendarstellern nichts inszenieren, was nicht auch in der Realität und im Leben dieser Leute vorhanden ist, erklärt Ulrich Seidl. Den Laiendarstellern wurden nur die Themen vorgegeben, nicht aber fertige Sätze. Werner Ruzicka erinnerte an ein ähnliches statement eines Filmemachers vor ca. 15 Jahren, das damals in Duisburg für Empörung gesorgt hatte: „Sobald eine Kamera läuft, fangen die Leute anzulügen.“ Auf die Nachfrage Didi Danquarts, was denn genauer hinter diesem Begriff von inszenierter Wirklichkeit stecke, wo die dokumentarischen Grenzsituationen im Arbeiten mit Laienschauspielern liegen, verweigerte Ulrich Seid! für sich den Begriff Dokumentarfilm: Er will „interessante“ Filme drehen, “Filme, die unter die Haut gehen“, auch wenn’s „unangenehm“ wird.

Der Film wurde monatelang vorbereitet, die Filmemacher hielten sich in den Dörfern auf, fühlten sich wie Fremde, bis sie dann die spätere Hauptdarstellerin Paula Hutterová ansprach und ihnen viele Kontakte vermittelte. Aus diesen Erlebnissen, wie den typischen Sonntagsausflügen zum Grenzbalken, wo sich auch heute noch Osterreicher und Tschechen zum Plaudern treffen, entstand ein filmisches Konzept, das auch die Geschichte von Sepp und Paula mit offenem Ausgang einschloß. Die Dorfbewohner und späteren Darsteller hielten die Filmemacher nicht für solche, erst als sie sich selbst auf der Leinwand sahen, glaubten sie, daß mit ihnen ein Film gedreht worden ist. Dann waren sie stolz auf den Film und haben bei der Uraufführung viel gelacht, sind „mitgegangen“, haben mitgesungen und so. (Pfarrer und Bürgermeister hatten sich allerdings ein etwas anderes Porträt ihrer Region vorgestellt.)

Das Problem des LACHENS wurde zum Hauptthema der Diskussion. Eine Frau fühlte „Unwohlsein“, weil sie zum Lachen herausgefordert wurde, aber gar nicht über diese Leute lachen wollte. Das sei schlecht. Die Würde des Menschen … usw. Wörtlich: „Ich will diese Art von Film nicht!“ Derartiges Übermenschentum bzw. Überzuschauerinnentum wurde von anderen Rednerinnen korrigiert: Hinter solch selbstauferlegtem Lachverbot steht das arrogante Denken von Die Darsteller sind so dumm, darüber darf ich nicht lochen. Heulende Gesichter und gutgemeinte Trostlosigkeit werden im Dokumentarfilm akzeptiert, aber Lachen ist in den Dokfilmzuschauerkörperinnen scheinbar unzertrennlich mit quälenden Gelenkschmerzen und Selbstzweifeln verknüpft. Das Wort vom adäquaten Zynismus wurde vom Podium in den Raum geworfen, führte aber nur zu weiteren Bonmots: Das würdelose „Vorführen“ von Elektrogeräten sei zynisch, woraufhin erwidert wurde, daß in dieser Szene eigentlich doch die Elektrogeräte denunziert worden seien. Bei der weiteren Lachdiskussion wurde deutlich, daß die Darsteller bei der Uraufführung doch bestimmt über etwas anderes gelacht hätten, als der durchschnittliche Dokumentarfilmzuschauer. Dies wurde anhand einiger Szenen durchgespielt, bis Herr und Frau Diskutantin die Szene im Porno-Shop erwähnten, woraufhin allgemein hysterisches Ablachen für eine Gedankenpause sorgte.

Abschließend konnte festgestellt werden, daß es in diesem Film wohl um das allgemeine Leben an sich gegangen sei, und daß der Kameramann ein besonderer Meister seines Metiers sein muß, da er ohne Assistent gearbeitet hat und selbst bei den 360-Grad-Schwenks die Schärfe richtig einstellen konnte. Hier tauchte noch einmal die Sinnfrage auf, welchen Sinn denn die bewußt in die Landschaft hineingestellten Menschen machen sollten? Das kann niemand erklären, aber die Gesichter drücken was aus, und die Landschaft doch auch.

Mit Verlust ist zu Rechnen lief in Österreichischen Kinos schlechter als Ulrich Seidls vorhergehender Film Good News, der etwa viermal mehr Zuschauer ins Kino gezogen hatte. Trotzdem lag die Zuschauerzahl immer noch über dem Durchschnitt für Österreichische Spielfilme.