Film

Girls | Museum
von Shelly Silver
DE 2020 | 71 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 45
13.11.2021

Diskussion
Podium: Shelly Silver [per Zoom], Annemarie Riemer (Kunstvermittlerin)
Moderation: Anja Dreschke
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

Mädchen im Museum. Sie sehen denkende Männer, posierende Frauen, vor allem: Brüste. Ihre spontanen Werkinterpretationen treffen auf tradierte Formen der Kunstvermittlung und legen Charakterzüge der Mädchen wie der Institution frei. Eine Collage aus Blicken und Gegenblicken, Details und Totalen, Fragmentierungen und Neuzusammensetzungen, die dem Unbehagen über die einseitige Repräsentation eine Vielstimmigkeit entgegensetzt.

Protokoll

„Let’s put it like this: The technical set-up corresponds with the content of the film – a reflection on who gazes at whom.“ führt Anja Dreschke in die Gesprächssituation ein. Filmemacherin Shelly Silver ist per Videocall aus New York zugeschaltet, vorne neben Dreschke sitzt Annemarie Riemer, Kunstvermittlerin im Leipziger Museum für bildende Künste, dem Drehort des Films. Im Rahmen von dok.leipzig ist Silver auf das Museum gestoßen, das ihr als besonders geeignet für ihr Vorhaben erschien, gerade weil es ein Museum ist, „where you’re not completely overwhelmed by the artworks“. Ausgehend von einem autobiographischen Interesse Silvers – „What would I’ve thought of the collection when I was a seven or nine year old girl?“ – entstand der Film, der sich aber gänzlich von der Filmemacherin weg und auf seine Protagonistinnen hinbewegt: Mädchen im Alter von sieben bis neunzehn Jahren, die in kurzen Sequenzen über Frauendarstellungen von vorwiegend männlichen Künstlern von 1600 bis in die Gegenwart sprechen.

Im Verlauf des Films lässt sich ausmachen, welche Themen die Mädchen bewegen: Eines konzentriert sich auf ökonomische Verhältnisse, eines auf Scham, ein weiteres begegnet den Bildern und Skulpturen mit transzendentalen Fragen. Annemarie Riemer, wesentlich an der Realisierung des Filmes beteiligt, berichtet vom Drehprozess: Ein Casting gab es nicht, der Versuch, Protagonist:innen über soziokulturelle Projekte in Leipzig ausfindig zu machen gestaltete sich schwierig, beim Leipziger Opernchor und durch andere Kontakte seien sie schließlich auf Interessierte gestoßen. Im Vorhinein wählten Silver und Riemer künstlerische Arbeiten aus, die ihnen besonders besprechenswert erschienen, die Mädchen hätten aber auch ein Veto einlegen und eigene Vorschläge machen dürfen. Mit möglichst offenen Fragen wie „Was siehst du?“ wollten sie die Expertise der Mädchen herausfordern, die Silver mehrmals im Gespräch betont. „Documentary questions are open questions“, fasst Silver zusammen. Im Nachhinein habe sich gezeigt, dass es besonders die Jüngeren waren, deren Antworten durch Originalität bestachen, während die Älteren schon deutlich normiertere Formulierungen verwendeten oder die Gelegenheit nutzten, sich im kuratorischen Habitus zu üben. Diese vielleicht nicht besonders überraschende Einsicht scheint das höchst angetane Publikum aber nicht zu langweilen. (Und ja, wer kann sich schon dem Charme entziehen, wenn die Frage „Wer im Bild wärst du gerne?“ schnurstracks mit „die Weintraube“ beantwortet wird und nicht nur objekt-orientierten Ontolog:innen das Herz aufgehen lässt?)

„Keine Fragen, nur Komplimente…“ murmelt es im Saal, gefolgt von „Danke für diesen Film.“ Aber auch ein paar kritische Nachfragen gibt es: Ob die Mädchen in ihrem Sprechen nicht allzu sehr antizipiert hätten, was die Filmemacherin von ihnen hören wolle? Und ob es nicht interessanter gewesen wäre, sie unter sich über die Kunstwerke sprechen zu lassen, fragt Samuel Döring. „Sounds like an interesting approach, but that would have been a different film“, antwortet Silver bestimmt. Marion Kainz meint, ihr hätte „die Grundidee super gefallen“, aber sie hätte sich gewünscht, dass die Interviews „noch eine Ebene tiefer gingen“. Es sei aber gerade die „fragile balance of giving the place“ gewesen, die Silver interessiert hätte, „even when it’s quite simple what they say, it’s still complex“. Anja Dreschke bemerkt, sie sei erstaunt darüber gewesen, wie präsent es den Mädchen war und wie abgeklärt ihr Umgang damit, dass die Kunstwerke größtenteils von Künstlern sind.

Und tatsächlich bleibt man als Zuschauer:in – so ging es mir und einigen Stimmen aus dem Publikum zumindest – ein bisschen frustriert zurück, wenn die Mädchen am Ende des Films dazu befragt werden, was sie an der Ausstellung anders machen würden. Die Antworten fallen erstaunlich harmlos aus und zeugen von großem Vertrauen in die Expertise der Kurator:innen („Wenn die das so entschieden haben, dann wird das schon gut sein.“), dass es mancher Kulturarbeiter:in die eigene Verantwortung im Hinblick auf Repräsentation und Perspektivierung womöglich – oder soll ich sagen: hoffentlich – fast schon schmerzlich bewusst macht. „I was depressed as well“, gesteht Silver, „I put the movie aside and then realized: this is absolutely crucial, because it’s their opinion and what they have to say is valuable.“ – Kopfnicken im Saal.