Synopse
Rauschend wogt die Brandung um die maltesische Insel Gozo. Punta, ein alternder Fischer, sinniert über Vergänglichkeit und Veränderung. Erinnerung und Anklage zugleich. Einst war das Meer voller Fische, heute ist da bloß Wasser. Mit routinierten Handgriffen flicht Punta aus Pferdehaaren noch einmal eine Reuse und lässt sie in die Tiefe hinab. Wenn er am Friedhof vorbeigeht, grüßen ihn die Toten nicht zurück, sagt er. Am Rand einer Klippe sitzend lauscht er auf den Widerhall der Wellen.
Protokoll
Eine leere Räuse lässig über der Schulter getragen, wie ein Lampion nur ohne Licht, ohne Fang darin. Üppiges Fischtreiben auf analogem Filmmaterial – in der Vergangenheit, der Reichtum, nun erloschen. Erzählungen vom Zackenbarsch, Wolfsbarsch…und vor allem vom Vopi, dem lokalen Fisch. Aber auch der wird nicht mehr gegessen. Stattdessen das Junk-Food der Meere –– der Lachs.
Serpil Turhan zeichnet zunächst die Konturen des Filmgesprächs mit Franziska von Stenglin vor und erinnert an die Essenzen in BAĦAR BISS. Sie spricht von einem Film über den Verlust der Natur auf der Insel Gozo, was sich sowohl durch den Inselbewohner und Protagonisten Punta, als auch über die Bildebene dieses Ortes erzählt. Die Vergänglichkeit ist durch ihn und seine Sprache präsent, so wie „als er sagt, dass wir alle sterben und doch alle da sind“. Wie war der Prozess für Stenglin, sich einem Ort anzunähern, in dem man die Familiarität spürt?
Stenglin kennt Malta durch ihre Familie und einige längere Aufenthalte ziemlich gut. Nach dem Tod ihres Vaters nahm sie auf der Insel Zuflucht, um zu Trauern. Die Idee zum Film kam ihr dort beim Laufen. Sie traf alle paar hundert Meter diese Fischer, die an den Dingli-Klippen fast suizidal nah an der Kante gesessen sind und meditativ in die Ferne blickten. Einmal setzte sie sich dazu und fragte sie, ob sie was gefangen haben (die meisten Menschen auf Malta sprechen Englisch und Maltesisch). Sie fand Zuflucht bei den schweigsamen Männern und es entwickelte sich ein Film über den Verlust und unsere Verbindung zur Natur. Jedoch war das mehr an der Oberfläche, jetzt „nicht als ein Film über Klimawandel gedacht.“
Turhan sieht die Art, wie der Protagonist Punta spricht, als sehr poetisch an. Auch die Ebene des Verlustes der über die Beobachtung erzählt wird, unsere Rolle dabei und was er über Vergänglichkeit und unsere Existenz erzählt – „dass wir alle noch da sind“. Es gibt da den älteren Mann (Pippi), bei dem man das Räusebinden-Handwerk genau beobachten kann und dann die längere Sequenz an den Klippen mit Punta und der Räuse in Aktion. Was gab es zuvor – die Bilder und Orte, und wie hat sich die Tonebene dialogisch-parallel dazu entwickelt?
Stenglin offenbart, sie hätte Punta gecastet. Dann seien sie vier Tage an den Klippen gewesen, und hätten die zentrale Szene mit Punta und der Räuse in vier Stunden gedreht. Um diese Essenz bauten sie dann den Film. Sie hätten zehn Rollen 16mm-Material gehabt (eine Rolle = elf Minuten). Die Gespräche wurden nur mit Ton aufgenommen und gleichzeitig parallel das Bild dazu gedreht. Mit Punta nahmen sie ein 20-minütiges und dann ein 10-minütiges Gespräch auf Audio auf. Da der Dreh kurz vor Weihnachten in der Sturmsaison stattfand, bestand die Gefahr, die Klippe herunterzufallen, und so fanden sie über die App Windfinder ein opportunes Fenster zum Drehen. Dann gab es mit Punta einen glücklichen Kamera-Moment (der Spitzname bedeutet pünktlich), als sie sich um Punkt 9 Uhr verabredet hatten und er genau dann über den Hügel kam. Sie verbrachten den Tag an der Klippe, mit einer Flasche Whisky (für „Motivationsshots“) und Sandwiches.
Turhan bemerkt, dass man diese Zeit des Miteinanders spürt. Wie hatten sie diese lange Plansequenz geplant? Stenglin mag diese langen Einstellungen, um „den Zuschauer zur Ruhe zu zwingen.“ Für sie ist es das Gegenteil eines Produktivitätsdrucks. Alles andere ist dann dazugekommen und sie spielte mit den zwei Stunden Material „Tetris“ im Schnitt.
Turhan arbeitet weiter die Texturen der Bildkomposition heraus: man spüre, förmlich, dass bei der Bildersuche der Raum abgetastet werde und durch dieses Filmen von Fragmenten klar wird, wie diese Bilder gebaut sind. Zum Beispiel beim Zeigen des Handwerks von Pippi, wenn er die Räusen in seiner Werkstatt baut. Turhans Fokus wandert nun zu den Super 8-Archivaufnahmen, die einen Kontrast zu den Bildern der Gegenwart anbieten — wie sind diese entstanden? Stenglin erklärt, Malta habe eine große Diaspora und diese habe Kassetten hin und her geschickt, wovon dieses Klagelied am Ende des Films beim Räusehochziehen kommt oder auch ein am Anfang hörbares Test-„Hello“. Sie habe diese Aufnahmen in Privatarchiven gefunden. Und da fand sie eben auch sinnliche Bilder — „diese Hand mit den roten Nägeln die diese Harpune hält ist sexy, und auch sinnlich, dieser Oktopus am Arm.“ Turhan möchte wissen ob Stenglin diese Verwebungen im Schnitt allein vollbringt? Stenglin verweist auf einen kollaborativen Prozess.
Das Publikum meldet sich jetzt mit einer „banalen“ Frage: War der Räusemoment echtes Fischen oder eine Demonstration für den Film? Stenglin sagt, dass Punta zur ihr meinte „wir werden wahrscheinlich nichts fangen, aber wir können es versuchen.“ Mischa Hedinger frägt weiter, inwiefern dieses Fischen eigentlich nur mehr Folklore ist? Wird Fisch auf Malta noch gefischt oder gegessen? Entlehnt sich der Film hier ethnographischer Mittel wie dem, an der Tradition festzuhalten? Stenglin meint es wird noch gefischt, aber hauptsächlich in anderer Weise und seltener auf Gozo denn auf Malta. Punta ist schon in Pension, aber baut an, er hat Schafe. Es gibt viel Industriefisch und eine regelrechte Fischmafia, aber auch noch diese Hobbyfischer, die auch dieses Räusen-Handwerk noch machen. Bezüglich der Enthnographie war ihnen das Festhalten des Aussterbens dieser Tradition nicht zental. Etwas später interessiert Turhan noch diese Skulptur, diese Figuren aus Sandstein; ein Heiliger ist da etwa zu sehen, der vom Meer zerfressen wird. Stenglin sagt, diese steht vor einer Kirche, die sie im Film wollte. Dieser Blick des Entsetzens der Skulptur, diese Spiritualität, fand sie interessant.
Turhan forscht weiter nach Stenglins Zugang zum Sinnlichen und der filmischen Materialität. Woher kommen Stenglins dokumentarische Erfahrungen? Wie sind diese mit ihrer Praxis als Fotografin und bildende Künstlerin verbunden? Ist Zeitlichkeit ein Thema mit dem sich Stenglin beschäftigt? Stenglin beantwortet dies mit einem Exkurs zu einem anderen Projekt und betont die Natur als einen wichtigen Ort für sie. Eine letzte Frage kommt von Fabrice Aragno: Er nennt den Film eine „très jolie fable“, meint 16mm böte mehr dieses „extemporäre, diese unfixe Zeit“. Bei ihrer Tonmischung fühlte er sich mitgenommen. Hat sie auch Direktton aufgenommen? Stenglin sagt, auf der Klippe sei es total ruhig, da gäbe es eine absolute Stille wie auf einem Vulkan. Sie habe viele Bilder aufgenommen aber auch viel Foley nachher dazugemacht. Ein Beispiel seien die Geräusche von Vögeln, die in Wirklichkeit als Köder für Zugvögel dienten, um diese zum Abschießen anzulocken. Diese seien als aufgenommene Geräusche vom Band gekommen. Auch die Wellen brechen normalerweise in den Höhlen von den Klippen – das hätten sie amplifiziert, um die drohende Apokalypse des Klimawandels hervorzuheben.