Synopse
Eine Spurensuche in Vorarlberg. Das Knistern des Archivs mischt sich mit dem Rauschen des Inn. Ein rotes Pentagramm scheint auf, als selbstbestimmtes Denkmal von marokkanischen Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in den grauen Stein gemeißelt. Ein Chor aus unterschiedlichen Stimmen – im Dialekt der Gegend, auf Deutsch, Englisch und Französisch – erkundet, was von ihrem antifaschistischen und antikolonialen Befreiungskampf erinnert wird – und was nicht.
Protokoll
Im Film: Ein selbstgesetztes Denkmal in den Berg gemeißelt. Ein Marokkanerstern als Ausdruck ungesprochener Geschichte und gleichzeitig als Gegenrede zur imperialistischen Erinnerungskultur.
Im Saal danach: Moderatorin Ute Adamczewski, Regisseurin Stefania Smolkina und die Produzentin des Films Anne Zühlke, Kuratorin des Kunstraums Dock 20 in Lustenau in Vorarlberg, sammeln sich am Podium. Der Film entfachte bei Adamczewski eine „Faszination für das Zustandekommen eines Artefakts“, eines Reliefs im Stein, das einer bestimmten historischen Situation geschuldet ist. Das Projekt ist durch ein Open Call zustande gekommen. Wie hat sich das entwickelt?
„Vielleicht trifft das Wort Produzentin hier nicht richtig“ fügt Zühlke an und erläutert den Werdegang des Projekts. Sie arbeitete an der Gruppenausstellung Fallende Helden zu künstlerischen Strategien des Erinnerns und Gedenkens für Dock 20. Die Institution befindet sich in Vorarlberg, einem österreichischen Bundesland mit stramm rechtskonservativer Koalitionsregierung, in dem, wie Zühlke sagt, „erinnerungspolitische Themen gerne unterdrückt werden“ und wo Geschichte „wie der Staub auf einem Teppich“ liegt, und möglichst nicht darüber gesprochen wird. Da gab es die Idee Künstler:innen einzuladen, ein Artefakt auszusuchen, damit zu arbeiten und sich zu Erinnerungskultur in Bezug auf Vorarlberg Gedanken zu machen.
Smolkina ergänzt, dass es in der Projektausschreibung Themenvorschläge gab, wobei es sich für sie um eine einmonatige „Recherche-Residency“ handelte und kein Endprodukt erwartet wurde. Es entstand dennoch ein Film daraus.
Adamczewski wendet sich nun den im Film verwendeten Materialien zu. Da ist zunächst das dem Film seinen Titel gebende Album über die 4. Gebirgsdivision von Marokkanischen Soldaten im französischen Militärverbund im Vordergrund, die 1945 in Vorarlberg stationiert und am Wiederaufbau einer von der deutschen Wehrmacht gesprengten, strategisch wichtigen Brücke beteiligt waren. Dann ein Interview von einer Datenbank in Washington mit einem amerikanischen Soldaten. Ebenso ein Tagebucheintrag in Bregenzerwälderisch. Wie hat Smolkina diese Artefakte recherchiert und ist zu dem historischen Material gekommen?
Smolkina fand im Rechercheprozess heraus, dass die Menschen in der Gegend fast nichts über die Geschichte des Marokkanersterns im Felsen wussten. Das im Film so prominente Album, welches von französischen Offizieren im Oktober 1945 in Frankreich publiziert wurde, hat sie in der Bibliothek in Feldkirch – unter anderem Titel – gefunden. Es ist ein Dokument der französischen Armeepropaganda. Der Film ist demnach auch eine Suche – viele der gefundenen Materialien wurden auch zufällig und über Onlinerecherche gefunden.
Und wie konnte die Institution diese Suche unterstützen? – fragt Adamczewski Zühlke.
Für Zühlke hatte diese Suchbewegung schon vorher gestartet. Vieles an der vorarlbergischen Erinnerungskultur erscheint ihr schizoid. Sie haben beim Bregenzer Denkmalamt nachgefragt, warum der Stern nicht als Denkmal gilt, bekamen die triviale Antwort: „,weil man ihn nicht kennt.“ Die im Film vorkommenden Tagebucheinträge einer Bewohnerin in den letzten Kriegstagen, die auf Bregenzerwäldlerisch im Voice-Over gesprochen werden, hatten sie im Bregenzerwald Archiv gefunden.
Adamczewski hakt ein: „ist dieser Text wirklich in dieser Sprache geschrieben?“
Smolkina meint, er ist ursprünglich auf Deutsch verfasst. Zuerst bekam sie einzelne gescannte Fotos, die Soldaten abbilden vom Bregenzerwald Archiv ausgehändigt. Und kam dann zu dieser Tagebuch-Chronik von Barbara Hammerer, und erkannte, dass diese Einzelfotos ursprünglich als Teil dieser Chronik – hineingeklebt waren. So stellte sich eine Querverbindung zum Text her. Um diese Situation lebendiger zu gestalten, war es für sie nur logisch den Text dann aus dem Deutschen in den Bregenzerwäldlerischen Dialekt zu übersetzen, da Hammerer wohl auch selbst diesen Dialekt im Alltag sprach.
Dann kommt auch schon die erste Frage aus dem Publikum, die sich für eine Stelle im Film interessiert, die mit der zweiten Person, einer „du“ Adressierung arbeitet. Wie ist dieses direkte Ansprechen entstanden?
Smolkina: das ist in ihrer Recherche entstanden. Es gab Liebesgeschichten der Soldaten nach dem Krieg, sogenannte Besatzungskinder, die nach dem Krieg stigmatisiert wurden, mit denen sie andachte, zu arbeiten. Es gab mehrere Stimmen, aber von den Soldaten selbst gab es keine Stimmen. Nur die im Film vorkommenden Fotos zeigen ihren Blick.
Zühlke ergänzt weiter, dass die Soldatenkinder, die nach dem Ende des Krieges bzw. während des Aufenthaltes der 4. Marokkanischen Division in Vorarlberg geboren wurden, heute noch explizit „Besatzungskinder“ – und nicht „Befreiungskinder“ genannt werden. In Vorarlberg schweigt man auch darüber, dass ein großer Teil der damals schwangeren Frauen ihre Kinder nicht behalten durften und diese zur Adoption freigeben mussten. Diese strategische Ambivalenz der Geschichtsschreibung drückt sich auch im Film an einer Grenztafel aus, die in französischer Sprache sich als die Sprache der Befreiung ausdrückt: „Hier ist Österreich, hier ist Freundesland.“
Adamczewski erwähnt den Kommentar der Division über ihren Weg durch halb Europa in den Bregenzerwald. Hätte der Film auch ein Langfilm werden können? Es tauchen auch Fäden auf, die nicht weitergesponnen wurden.
Smolkina kommentiert nur knapp, dass ihr die kurze Form hier als schlüssig erschien, auch weil der Film im Ausstellungskontext entstand.
Nach ein paar weiteren Publikumsfragen über die im Film eingesetzten Kartenformate, die die Schichten von Geschichte im Film betonen, spricht Adamczewski die von Smolkina selbst gemachten Bilder an: Der Blick der Kamera aus dem Fenster in die Gegend während einer Autofahrt. Die Aufnahmen der Brücke selbst; eine Zeitrafferaufnahme mit dem Brückenverkehr im Vorder- und dem Stern im Hintergrund. Auch findet sie einen Abstraktionsgrad im Film, der für sie sehr ausschnitthaft arbeitet. Sie könnte sich „jedes Foto einzeln anschauen“, und will wissen, was Smolkina antreibt, dass wir nicht in dem Album der Offiziere versinken? Auch ich frage mich: ging es ihr darum, nicht den Blick der offiziellen französischen Geschichtsschreibung zu wiederholen?
Smolkina meint, sie hat zuerst Bilder produziert ohne zu wissen was sie mit ihnen tun werde. Bei der angesprochenen Autofahrt hatte sie zunächst Erste- und Zweite-Weltkriegsdenkmäler aufgesucht. Für Smolkina ist Geschichte generell „spurenhaft“, deswegen ist dieser Film auch ausschnitthaft.
Adamczewski findet, dass im Film „erinnerungspolitisch auch eine subjektive Aneignung stattfindet“. Smolkina macht das für sie in den Kommentaren im Film sehr deutlich, welchen Blick sie selbst auf das Material wirft.
Zühlke hakt hier ein, dass der Blick so einer „hilflosen Suchbewegung“ ausgesetzt ist, wo man auch nicht immer genau weiß wo man hinschauen soll. In der Ausstellung lief der Film im „Ping-Pong“ mit Karin Bergers „Wankostätten“. Explizite Zeug:innenschaft steht dieser Suchbewegung gegenüber.
Adamczewski meint eine Andeutung von Fiktionalisierung findet im Ton statt – da ein Hundebellen, dort ein Filmton. Wie sind Ton und Bild entstanden?
Für Smolkina sind beide parallel entstanden. Sie hat Geräusche herausgesucht, um bestimmte Stimmungen zu kreieren. Das knisternde Radiogeräusch bot sich als Suchmoment an, jemanden zu erreichen zu wollen, der nicht sprechen kann (die Soldaten) – am Ende „die Geschichte selbst“ zu erreichen.
Eine Publikumsfrage zum Schluss informiert sich nach dem Verbleib der Soldaten nach dem Februar 1946 nach der Demobilisierung. Smolkina antwortet, dass die Marokkanischen Soldaten danach nach Frankreich geschickt wurden. Nach der Konferenz in Casablanca konnten sie sich vom Protektorat Marokko Soldaten sichern. Und dann wollten sie diesen Sieg im Sinne des Blanchissement = Weißwerden nur mit weißen Soldaten zeigen. Oder wie der Film sagt: sie haben im Schatten der französischen Flagge gedient.