Film

Zustand und Gelände
von Ute Adamczewski
DE 2019 | 119 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
07.11.2019

Diskussion
Podium: Ute Adamczewski, Stefan Neuberger (Kamera)
Moderation: Alex Gerbaulet
Protokoll: Sebastian Markt

Synopse

Zeugnisse aus den ersten Monaten nach der Machtergreifung schichten Eindrücke beginnenden Terrors über heute unscheinbare Orte. Pittoreske Burgen, Sporthallen, verlassene Fabriken, das Gartenheim „Bergidyll“: 1933 waren hier Konzentrationslager für politische Schutzhäftlinge entstanden. In Sachsen, Hochburg der Arbeiterbewegung, war das kühl geplante Vorgehen gegen ideologischen Widerstand besonders unerbittlich.

Protokoll

Die Kamera blickt auf Orte, die unscheinbar wirken: Gasthäuser und Lagerhallen, Einfamilienhäuser und Supermarktparkplätze. Eine Stimme trägt aus Dokumenten vor: behördlichen Schriftstücken, Zeitungsartikel, Zeug*innenberichten. Der Blick ist auf Gegenwärtiges gerichtet, er trifft aber auch Vergangenheiten. Die Stimme berichtet von Vergangenem, sie berührt aber auch Gegenwart. Zustand und Gelände vollführt eine Arbeit, die sich archäologisch nennen lässt, Entzifferungsarbeit an einem Palimpsest deutscher Gewaltgeschichte: eine Geschichte früher nationalsozialistischer Konzentrationslager in Sachsen, die sich auf die Nachgeschichte der Orte und ihre Resonanz in der Gegenwart erstreckt, die – in den Worten der Regisseurin – Überschreibung der Orte durch die Zeit.

Alex Gerbaulet unterstreicht in ihrer Gesprächseröffnung die Komplexität der filmischen Textur und der (erinnerungs)politischen Dimensionen. In dem Film, der sie sehr bewegt hat, erkennt sie feine Beobachtung fragiler Orte, die im Film stets als umkämpfte zu erkennen sind. Wo begann eine solche Arbeit? Wie ließ sich der Komplex zu einem filmischen Bild kristallisieren? Gerbaulet findet den Begriff des Vexierbilds passend, für die Bewegung des Films zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Gemeinsam werden die ästhetischen Strategien des Films und ihre politischen Dimensionen abgezirkelt und befragt.

Adamczewski beschreibt zunächst die Genese des Projektes aus einem Interesse für Erinnerungspolitik als Feld, an dem sich Dinge kristallisieren, nach der Wende haben sich dort restaurative Tendenzen bemerkbar gemacht, an emblematischen Ereignissen wie der Umbettung von Friedrich von Preußen, der Umwidmung der Neuen Wache oder dem sächsischen Gedenkstättengesetz. Über eine Freundin, die als Beraterin in die Novellierung involviert war, begegnen ihr die frühen Konzentrationslager, die in der Literatur eher marginal behandelt werden, es gibt wenig Bilder. Daraus entsteht der Impuls an entsprechende Orte zu fahren, die suchende Bewegung – könnte hier das Lager gewesen sein? – findet als Echo Eingang in die spätere Konzeption des Films, der auch auf einer intensiven Archivrecherche fußt und bis zum Schluss eine Recherche blieb. Den Anstoß zu einer künstlerischen Auseinandersetzung gibt die Möglichkeit einer installativen Arbeit, an die das Filmprojekt später anschließt. Aus der Reiseerfahrung ergibt sich auch der Versuch, Ort und Lager zusammenzudenken, im Raum etwas über Gesellschaft herauszufinden. Die Normalität und vermeintliche Harmlosigkeit jener Orte, die Schauplätze von Gewalt waren, springt ins Auge. Das Bewusstsein um drei Zeitebenen – den Nationalsozialismus, die DDR und die Gegenwart – spielt eine große Rolle in der Suche nach dem passenden Bild. Eine zu große Buchstäblichkeit in der Übereinstimmung zwischen Bild und vor allem der Schilderung von Gewalt wird vermieden. Fluchtpunkt ist eher eine Idee von gesellschaftlicher Brüchigkeit, in der sich Gewalt schnell festsetzen kann.

Stefan Neuberger beschreibt für die Kameraarbeit einen Ansatz, der keiner starren konzeptuellen Vorgabe folgte, sondern verschiedene Arten findet, Dinge in Verbindung zu setzten. Die Entscheidung, was ein adäquater Blick ist, ließ sich nur vor Ort finden. Brüche in der Form sind durchaus gewünscht. Adamczewski ergänzt, dass es Risse geben sollte, die die Objektivität starr gesetzter Bilder relativieren sollte.

Der Dreh fand ohne Tonmeister statt, die Tonebene des Films, die mit Ludwig Berger erarbeitet wurde, ist vollständig gebaut, aber aus bearbeiteten Originaltönen zusammengesetzt. Klar war von Anfang an, dass der Ton weder hyperreal oder naturalistisch sein sollte, sondern abstrakt. So entstehen Sequenzen, in denen der Ton bearbeitet wird, bis nur eine Frequenz übrigbleibt, die zum Bild passt, Ton als Schatten gegen die Quelle im Bild verschoben oder Geräusche zu Akkorden isoliert werden.

Gerbaulets Eindruck von der Sprecherinnenstimme als einer, die aus der Gegenwart kommt und sich von den historischen Bezügen abhebt, bestätigt Adamczewski. Sie verstand sie als eine Art Reenactment der Archivarbeit, die Arbeit am richtigen Tonfall, der vom Klang von Literatur entfernt sein sollte, war intensiv.

Alejandro Bachmann sieht in dem Film ein beeindruckendes Beispiel für das Nutzen des Kinos als spezifischen Erfahrungsort, der ein Nachdenken über die Welt in Bildern möglich macht. Die Art und Weise, wie der Film gebaut ist im Zusammendenken von Bildern und Tönen, von verschiedenen zeitlichen Schichten in einer (positiv zu verstehenden) Anstrengung verhaftet ist und rissig, bietet einen faszinierenden Unterschied zu dem, was mit einem literarischen, schriftlichen Vorgehen möglich wäre. Der Eindruck freut Adamczewski, auch gerade angesichts füherer Zweifel aus der Recherchephase, wie man den Unmengen interessanten Materials im Medium des Films gerecht werden könne. Wichtig war dabei, dass ihr von Anfang an klar war, dass es eine Ausrichtung auf die Gegenwart geben sollte, dass die Vergangenheit ein Schauplatz ist, der genutzt werden kann, um Strukturen von Ausgrenzung und Eskalation sichtbar zu machen, die auch in der Gegenwart wirksam sind. Gerbaulet fügt noch hinzu, dass dies in der Suche nach einem adäquaten Gedenken ein wichtiger Impuls sein sollte: den Kinoraum auch in der ihn beschreibenden Kollektivität einzubeziehen, für andere Möglichkeiten, auf Verdrängtes und Ausgeblendetes zu blicken.

Michael Girke möchte eine Deutung mit der Regisseurin abgleichen: Ob in der Montage der Zitate auch der Versuch liege, Formen der Gewalt aufzuzeigen, zwischen den betrunkenen Folterungen und den richterlichen Anordnungen, dem Befehle-Geben? In den Aneinanderreihungen stellt sich auch ein Eindruck her, was alles Gewalt sein kann (Gewalt, an der die Ausübenden scheinbar auch Spaß hatten). Adamczewski überlegt und relativiert: Es ist ihr nicht darum gegangen, ein bestimmtes Repertoire wiederzugeben. Die stärker erklärende Textklammer an Anfang und Ende bildet einen Rahmen, dazwischen bestimmt das Material die Sprache. Ein in dieser Hinsicht wichtiges Vermögen des Films hatte zuvor schon Alex Gerbaulet hervorgehoben: in den Schilderungen der Gewalt eine Lösung zu finden, die in Gedenkstätten, gerade in ihren steinernen Formen, nicht immer gelänge: auf Täter*innenschaft zu blicken, ohne die Verfolgten zu vergessen, aber in ihrer Marginalität zu bezeichnen, was im Film auch mit einem geschickten Wechsel der Perspektiven in den Texten zu tun hat.

Aus dem Publikum wird noch nach dem Titel gefragt: Er entsteht in der Zusammenarbeit mit Andre Siegers. Angesichts des wiederkehrenden Motivs besitzstandsanzeigender Begrenzung, die in den Kamerafahrten so oft zu sehen ist, scherzte Adamczewski, der Film solle eigentlich „Hecken und Zäune“ oder „Büsche und Geländer“ heißen. Siegers kam beim gemeinsamen Weiterspinnen auf Zustand und Gelände, was gut zu der schon gefassten Idee passte, dass es einen Titel braucht, der durch die Zeiten geht: „Zustand“ im Sinne der Gegenwart eines Kollektivs, „Gelände“ im Sinne eines Ortes der unbeschrieben ist.