Film

Olanda
von Bernd Schoch
DE 2019 | 154 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
07.11.2019

Diskussion
Podium: Bernd Schoch, Simon Quack (Kamera)
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Mark Stöhr

Synopse

In vermeintlich unberührter Natur entstehen an Wegkreuzungen Märkte. Pilze werden gewogen und verladen, gleich nebenan Bier und Schuhe getauscht. Mit dem Morgentau stehen die Arbeiter wieder auf den Hängen der Kaparten. Sie blicken konzentriert zu Boden, suchen nach Pilzen und nach einem Auskommen. Die Wucherungen der Myzel greifen weit in die Erde: Sie werden zu Trieben eines sinnenhaften und entbehrunsreichen Arbeitsrhythmus’ in einer wohlkalkulierten saisonalen Ökonomie.

Protokoll

„Ich wünsche Ihnen eine gute kinematografische Erfahrung“ – mit diesen Worten entließ Bernd Schoch das Publikum in die Dunkelheit der karpatischen Wälder. Ein sogartiger zweieinhalbstündiger Film-Trip, der sinnliches und analytisches Erzählen verschränkt. Das Navigieren der Sammler durch das Dickicht, ihre gebeugten Rücken und erdverschmierten Hände, das Prasseln des Regens auf die Plastikplanen der Zelte, der Rauch von Dieselmotoren und Zigaretten und körbeweise Pilze und Beeren. Fast absichtslos treten aus diesem Kaleidoskop von Bildern und Geräuschen, die den Kinoraum wie ein überlaufender Bach fluten, systemische Strukturen hervor: Ökonomien, Hierarchien, Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse. Die Kaputtheit der Welt.

Drei Monate drehten Schoch und sein Team in zwei Tälern entlang der rumänischen Passstraße Transalpina, von Juli bis Ende Oktober 2017. Es existierte ein langes Buch, das aber rasch von den Erfahrungen vor Ort überschrieben wurde. Wie es ihnen gelungen sei, ihre Protagonisten zu finden und eine so große Nähe zu ihnen aufzubauen, fragte Alexander Scholz. Das sei eine Frage der Zeit gewesen, antwortete Schoch. „Wir mussten drei Monate da sein, um den Leuten die Chance zu geben, uns kennenzulernen.“ Manche hatten sofort Lust, sich begleiten zu lassen, andere waren erst misstrauisch. 2.000 Pilzsammler streiften zu der Zeit durch die Wälder, 2.000 potentielle Protagonisten. „Die Hauptvorbehalte uns gegenüber waren, dass wir uns im Wald verlaufen oder sie bei der Arbeit aufhalten könnten. Irgendwann merkten sie, dass das Ganze auch für uns Arbeit war.“ Kameramann Simon Quack, der während der Dreharbeiten zehn Kilo verlor, ergänzte: „Es war nötig, so zu arbeiten wie sie.“

Der Zugang zu den Zwischenhändlern, dem zweiten Glied in der Verwertungskette, sei schwieriger gewesen, sagte Schoch. Der Grund: Es gibt einen großen Schwarzmarkt, der von der Polizei immer wieder ausgehoben wird. Überhaupt ist die Gemengelage in dem Gebiet kompliziert, eine Kampfzone mit vielen widerstreitenden Interessen und Playern. Korrupte staatliche Ordnungskräfte und von der Forstwirtschaft entsandte Schlägertrupps machen der Pilz-Community das Leben schwer. Die Besitzverhältnisse im Wald sind oft ungeklärt. Der boomende Tourismussektor stört sich an dem Müll, den die Camps hinterlassen. Der dominierende Akteur ist aber die Holzindustrie, deren Gefräßigkeit und Gier keine Grenzen kennt. „Es ist nicht ungefährlich, sich im Wald zu bewegen.“ Die Kamera erwies sich als wirksame Sicherung für die Sammler und Händler. „Wenn wir vor Ort waren, tauchten keine Polizisten und Förster auf. Wir gaben den Leute unsere Handynummern und sagten ihnen: Ruft uns an, wenn was ist.“

Scholz kam auf die „sinnliche Orientierung“ des Films zu sprechen, die eine „analysierende Sprache“ unnötig mache. Sollte heißen: Die Bilder sind so stark, dass sie über sich hinausweisen und Strukturen sichtbar machen. „Natürlich ging es uns darum“, sagte Schoch, „etwas Strukturelles zu erzählen. Aber die Leute sind keine Spielbälle. Sie stehen erst einmal nur für sich. Wir wollten ihnen als Menschen Raum geben.“ Und das bedeutet Länge. Es gab eine Vier-Stunden-Fassung, die von vielen als zu lang empfunden wurde. Außerdem erhoben sich mahnende Stimmen, die sagten, dass ein solches Opus magnum im System Fernsehen oder Festival nur schwer unterzubringen sei. Schoch: „Das ist natürlich ein Paradox. Man übt mit seinem Film Kritik an bestimmten ökonomischen Verhältnissen und soll ihn gleichzeitig passend machen als Produkt.“

Das Reden über Geld ist im Film omnipräsent. Die Wirklichkeit wird permanent in Verdienst übersetzt. „Ich war noch nie an einem Ort, an dem so viel über Geld gesprochen wurde“, sagte Schoch. „Im Wald geht es zu wie an der Wall Street. Die Preise fallen und steigen pausenlos. Die Obszönität des Kapitalismus reicht bis in die entlegensten Winkel. Es gibt keinen Ort mehr, wo so etwas nicht mehr stattfindet.“ Seien die Pilze als unkultivierbare Waldfrüchte auch ein Gegenentwurf zur schrankenlosen Verfüg- und Verwertbarkeit, fragte Scholz. Bernd Schoch nickte und wies daraufhin, dass die Pilzsaison in den Karpaten für viele Sammler die einzige Zeit im Jahr sei, in der sie selbstbestimmt arbeiten könnten – anders als bei ihren Wanderarbeiter-Einsätzen anderswo, etwa in Holland („Olanda“). „Es gibt für sie im Wald manchmal Momente der Selbstermächtigung: Wenn der Preis nicht stimmt, verkaufen sie nicht.“

Zwei prägnante ästhetische Entscheidungen wurden aus dem Publikum angesprochen: Der rumänische Off-Text und die „Trip-Sequenz“. Der Text, so Schoch, stamme von André Siegers und sei ein Kondensat aus den angelesenen und beim Dreh gesammelten Informationen. Eingesprochen wurde er von einer der Sammlerinnen. Die mehrminütige Sequenz nach rund zwei Stunden, ein surrealer Wirbel von Shots zur Musik von Sonic Boom, markiere einen Ausbruch aus der Erzählordnung, ein Abdriften – der Pilz nicht nur als Wirtschaftsgut, sondern als Medizin und Droge. „Die Pilze verfolgen die Arbeiter bis in den Schlaf. Sie träumen davon. Dem wollten wir einen visuellen Ausdruck geben.“