Film

Schuß – Gegenschuß
von Niels Bolbrinker, Thomas Tielsch
DE 1990 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
16.11.1990

Diskussion
Podium: Niels Bolbrinker, Thomas Tielsch
Moderation: Klaus Kreimeier, Sabine Fröhlich
Protokoll: Eva Hohenberger

Protokoll

Nach Zusammenfassung der vielen thematischen Stränge des Films und aufgrund der komplexen Organisation des differenten Materials bat die Moderation um Schilderung des Gedankengangs, der eben dazu geführt habe. So erfuhr man folgendes:

Zwei Jahre Gespräche am Küchentisch, die Erinnerung an gewisse Bücher, die Gespräche mit den Kameramännern, die den Ausgangspunkt bildeten, der dann in die „abstrakten Wirrungen“ führte, die Parallelität von Schneiden. Drehen und dem Aufsuchen der Archive, der Wille zum assoziativen Schnitt, der Wunsch nach relativ bruchlosen Übergängen zwischen Archivmaterial und eigenen Aufnahmen, und schließlich die Abneigung gegen didaktische Erklärungen haben zu der Form des Films geführt. Die inhaltliche Hauptlinie liegt in der Verbindung von militärischem Blick und Kino, und die Kameraleute verkörpern eben beides, den Soldat und den Bilderproduzenten, und beim Nachdenken über die konkrete Funktion ihrer Bilder kommt man auf alle diese Verzweigungen. Man denkt nach, ob der Krieg schön ist, weil man ihn nur aus Bildern kennt: „daraus hat sich die ganze Futuristen-Nummer ergeben“. Virilios Buch erschien mitten in der Recherchezeit und enthielt viele Fakten, die nun nicht mehr selbst zusammengesucht werden mußten.

Benannte Probleme

Eigentlich nur eins, die Struktur des Films, die ein Zuschauer ganz im Rahmen mit einem Flächenbombardement verglich. Die Schwierigkeit, mit dem Material am Schneidetisch umzugehen, kann darin münder, der Ästhetisierung des Krieges im Wochenschaumaterial auch im eigenen Umgang damit zu erliegen. Einerseits kritisiert der Film diese Ästhetik und baut Brüche und Verfremdungseffekte ein, andererseits bezieht er aus ihr seine Faszination und „ästhetische Wucht“, so daß die Kritik dahinter fast verschwindet.

Hier erwidern die Filmemacher. die Faszination der Archivbilder durchaus nachvollziehbar werden lassen zu wollen und berichten, sie auch selbst konstruiert zu haben, indem sie beispielsweise die Sequenz mit den nächtlichen Flakfeuern aus mehreren Wochenschauen zusammengeschnitten und in ihrer Dramatik noch gesteigert haben, über die Ästhetik ihrer eigenen Aufnahmen, über die Schönheit mancher Bilder von Landschaft und Bunkern können sie weniger sagen.

Eine Zuschauerin, die sich ebenfalls einem „Dauerbeschuß“ ausgesetzt sah, bedauerte, nun nicht mehr sehen zu können, wie denn der Blick im Archivmaterial genau strukturiert werde, ob er also einfachen Gesetzen der Zentralperspektive gehorche oder nicht. Während man Virilios Analogien in Ruhe nachlesen könne, sei man hier permanent im Stress und könne die Differenz in den Aufnahmen nicht mehr sehen. Es sei ihnen auch weniger um die Differenz als um die Gemeinsamkeit der Bilder gegangen, sagen die Filmemacher, um die Frage, was ihre Bilder mit den faschistischen zu tun haben. Und mit den Kameramännern solle man sich identifizieren und den Sog, in dem sie sich befunden haben und der auch von ihren Aufnahmen ausgeht, nachvollziehen.

Dietrich Leder sah einen Druck auf dem Film lasten, und die Gefahr, daß er in einer „heillosen Aporie“ lande. Seine Frage, ab wann der Druck zu „diesem Stakkato“ entstanden sei, ergab sich aus einer Analogiebildung zwischen Klaus Bednarz, der alle ökologischen Skandale aufgedeckt habe außerdem, daß Fernsehen Krebs verursache, und dem Film von Bolbrinker und Tielscher. Wenn jeder filmische Blick kriegerisch ist, wie soll man den kriegsfilmerischen Blick noch filmisch reflektieren? Das frage ich, Dietrich fragte, ob es gegen die scheinbaren Evidenzen bei Virilio, der ja auch viel kalauere, keine Widersprüche gegeben habe und wie diese berücksichtigt wurden. Man hätte ja vielleicht auch einen einfacheren Film machen können.

Eben nicht, erwiderte Thomas Rothschild, da die Aporie am Gegenstand selbst hänge, und es gäbe immerhin den wichtigen Unterschied zwischen zitiertem und eigenem Material, daß letzteres kein Pathos aufkommen lasse. Gerade die „Fraktionierung“ des Films und auch seine Verbalität verhinderten eine „Gefühlsaufladung“.

Nachdem die Filmemacher die Offenheit ihres Films selber gelobt hatten, beklagte Conny Voester, daß in dieser Offenheit ein Thema völlig gefehlt habe, nämlich Angst, und sie gebrauchte das Stichwort „Männerfilm“. „Ihr reflektiert Euer Tun nur auf theoretischer Ebene“, sagte sie, aber nicht auf psychologischer, so etwas wie Charakterpanzerung oder erotische Unterströmungen würden nicht reflektiert.

Nach einigen Seitenwegen über den Einfluß des Fernsehens, besetzte Häuser in Berlin, und die Frage nach den Kosten des Archivmaterials (blieb unbeantwortet) wurden die Diskutanten mit dem Hinweis auf eine Wiederholungsvorstellung von „Im Westen alles nach Plan“ (Jury-Nachsichtung, öffentlich) zum nächsten Film entlassen.