Film

Ein trefflich rauh‘ Land
von Dietrich Schubert
DE 1987 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
15.11.1987

Diskussion
Podium: Dietrich Schubert, Serge Roman (Kamera)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Esther Baron

Protokoll

Werner Ruzicka resümierte eingangs kurz die Stimmung des Publikums während der Filmvorführung: Die Reaktion sei allgemein wohlwollend gewesen; es habe gar, was selten sei, Szenenapplaus (für die „Schneckensequenz“; Anm.d.Prot.) gegeben.

Diese Sequenz gefalle gerade durch einen spielfilmähnlichen Spannungsaufbau, gab Dietrich Schubart mit leicht verschmitztem Lächeln (in Anlehnung an die Dramaturgie-Diskussion tags zuvor) zu bedenken.

Karl Saurer hinterfragte die durchkomponierte Machart des Films, insbesonders die Kameraästhetik der Intervieweinstellungen: warum dieser leicht heroisierende Aufnahmewinkel (leichte Untersicht), die Stilisierung der interviewten Gesichter schräg ins Profil, wieso der Ransprung?

Dietrich Schubert: Beliebigkeit und Zufälligkeit sollten im Film vermieden werden und die Bilder als gestaltete, inszenierte gezeigt werden. Dies habe besonders für Aufnahmen geschichtsträchtiger Orte gegolten, wo z.B. ein Baum eine besondere Position in der Bildkomposition innehabe etc… Wenn der Chronist seine Geschichten erzählt habe, sei sichtbar geworden, daß es sich hier nicht um ein spontanes Interview gehandelt habe. Das Gesagte sei vielmehr “im Kopf schon vorgesagt gewesen“, sozusagen abgesprochen.

Werner Ruzicka wollte unterschieden wissen zwischen zwei Arten der Erinnerung im Film: a) die inszenierte Darstellung des Sich-Erinnerns wie jene des Chronisten, der auch im Profil gezeigt werde; b) die naive Offenheit des Sich-Erinnerns; die Kamera verweile hierbei in en face-Einstellungen 10-12 sec. auf den Personen, auch wenn diese schwiegen. Das Schweigen werde durch die Kamera sichtbar gemacht. Die Kamera halte dieses Schweigen aus.

Im folgenden wandte sich die Diskussion der Frage nach dem Verhältnis der Landschaftssequenzen zu den Interviewszenen zu. Ursprünglich habe es die Überlegung gegeben, so Schubert, mit Überblendungen von Gesichtern und Landschaften zu operieren; so wäre man jedoch den Gezeigten (ihrer Persönlichkeit, ihrem Wissen) nicht gerecht geworden. Eine Gegenüberstellung von Landschaft und Gesicht schien deshalb sinnvoller. Konträr wurde erörtert, inwieweit die Bilder im Film (z.B. die Einstellungen am Bach, des Kuheuters) zu schön seien. Ein Zuschauer sah sie im Kontrast zur Landschaft und der harten Arbeit in der Schnee-Eifel. Es habe sich ein Experimentalfilmeffekt eingestellt, der nicht mit seinem Eindruck vom Gezeigten korrespondiere. Ein anderer widersprach: “Ein trefflich rauh Land“ sei ein „auf gute Art schöner Film“. Die Bilder dürften ruhig noch schöner sein. Er habe jedoch Schwierigkeiten mit einer bestimmten Kameraästhetik (Stoptrick, Wolkensequenz), die eine zu verdichtete Aussage bewirke. Die Sequenz des “echten“ Gewitters im Film habe es jetzt ganz “schön schwer“, ein Spielfilmgewitter sei viel dramatischer. Der Filmemacher dazu: Im Dokumentarfilm dürften sich durchaus experimentelle Momente wiederfinden. Die Kamera habe in ihrem Film sichtbar gemacht, was man normalerweise nicht sehe. Sie seien sich durchaus der Gefahr der schönen Bilder bewußt gewesen. Als Gegenpol hierzu setzten sich aber die Szenen der Arbeit, der Maschinen durch.

Ein Zuschauer kam nochmals auf das eingesetzte kameraästhetische Mittel des Ransprungs zu sprechen. Er sah hierdurch eine Verbindung zwischen Mensch und Landschaft hergestellt. Nach klassischen Bildaufbauregeln seien die Einstellungen falsch kadriert. Es entstehe ein Raumempfinden, der Blick sei freigegeben in die Landschaft. Schubert ergänzte, man habe hier mit dem selten eingesetzten 10er-Weitwinkel gedreht.

Die Sequenz mit den Industriemelkmaschinen sei im Kontext unverständlich, war der Einwand eines Zuschauers, sie erinnere an die „Zentrifugensequenz“ in Eisensteins „Das Alte und das Neue“ (1928; zunächst unter dem Titel „Die Generallinie“; Anm.d.Protok.). Schubert gab zu bedenken, daß sein Film gänzlich anders als jener von Eisenstein sei. Die Aussage sei hier eine konträre: Bei Eisenstein sehe man den Einzug der Maschinen auf’s Land, in „Trefflich rauh Land“ ginge es dagegen um das allmähliche Verschwinden der Maschinen.

W.Ruzicka erinnerte daran, daß D. Schubert vor fünf Jahren in Duisburg der Vorwurf gemacht worden sei, die Idylle in den deutschen Dokumentarfilm eingeführt zu haben. Hier, in „Ein trefflich rauh Land“, sehe er einen Widerspruch sich auftun zwischen der poetischen, elaborierten Bildebene und einem sich bedeutsam, klug und pädagogisch gebenden Kommentar, der der Poesie mangele. Er verwies auf die Kamerafahrt in der Grube, wo der Kommentar besonders auffällig die Bildebene überlagere. Diene die Kamerafahrt hier lediglich der Rohstoffthese Schuberts? Ein Zuschauer fragte ergänzend, ob der Kommentar eine Konzession an den WDR gewesen sei. Eine persönlichere Stimme hätte er bessergeheißen. Schubert verneinte. Der Kommentar sei von den Filmemachern erarbeitet. Er halte sich selbst jedoch nicht für den besten Kommentarschreiber. Die Zusammenarbeit mit dem Redakteur Knut Fischer sei sehr gut gewesen.

Über die Einstimmigkeit des Plenums zeigte s ich Angela Hardt erstaunt. „365 Tage im Jahr“ habe ihr damals (1980; Anm.d.Prot.) sehr gefallen; vom hier gezeigten Film sei sie sehr enttäuscht. Die Nahaufnahmen wie die der Gräser im Vordergrund und jene am Bach erinnerten sie an Kalenderblattkunst.

Schubart entgegnete, diese Nahaufnahmen verstünden sich als Teil einer „ironischen Montage“, die bewußt schöne Bilder lauten, störenden Geräuschen – wie hier jenen der Mähmaschine-entgegensetze. Dies habe eine Art Schockwirkung. Er habe auch bewußt keine Musik eingesetzt.

W.Ruzicka schloß sich dem an: Die Ästhetisierung zeige ja auch, wie bedroht die Landschaft sei. Schöne Landschaften gebe es tatsächlich (noch).

Der Filmemacher bestätigte: Es solle ein Film sein, wo man hinschauen könne. Ihm sei die Landschaft vertraut, da er dort lebe.

Ein anderer Zuschauer: Genuß sei immer noch eine dem Dokumentarfilm verpönte Kategorie. Er habe den Film mit Genuß gesehen.

Klaus Staniek zeigte sich geradezu begeistert. Viele von seinen eigenen Wünschen, mit Film umzugehen, habe er hier wiedergefunden. Die Entwicklung der Menschen im Film sei sichtbar geworden. Für ihn haben die Menschen “gelebt“ z.B. die Schulkinder im Klassenzimmer oder die Frau in der Kirche. Die Wunder in der Natur seien beschreibenswert für die Menschen, “die mit den Augen leben.“ Der Film habe durchaus eine politische Aussage, da er Landschaft als Tertiärfolge des Kapitals betrachte.

Gegen Ende widmete man sich der applaudierten „Schneckensequenz“. Ob sie denn gestellt sei, war die erste Frage. Nein, so meinte Schubert, er habe dieses Phänomen der Schnecke, die unbehelligt zwischen vorbeitrampelnden Kuhhufen die Straße überquere, schon mehrmals beobachtet. Um diese Szene filmen zu können, hätten sie eine Woche benötigt. Um die Schnecke hervorzulocken, sei von ihnen die Fahrbahn bespritzt worden. Die Kühe hätten die Schnecke niemals getreten, der Junge, der die Kühe hüte, sei jedoch einmal mit dem Fahrrad über eine Schnecke gefahren (Ironie des Schicksals?).

Werner Ruzicka empfand diese zentral im Film angelegte Sequenz als „zu einfaches Symbolzentrum“, das zeigen solle, wie sachte die Natur – im Gegensatz zum Menschen – mit der Natur umgehe.

Schubart sah das anders: Man sehe beispielsweise, daß eine Kuh gegen die Schnecke trete und diese den Kopf einzöge, d.h. es gebe Beschädigungen der Natur an der Natur, jedoch nicht im selben Ausmaße wie bei menschlichen Eingriffen. Der Mensch zerstöre sich den Boden selbst.