Film

Unversöhnliche Erinnerungen
von Karl Siebig, Klaus G. Volkenborn, Johann Feindt
DE 1979 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 3
1979

Diskussion
Protokoll: Irma Dohn

Protokoll

Von der Diskussionsleitung wurde vorgeschlagen, den Film unter zwei Gesichtspunkten zu diskutieren:
1. Inhalt
2. Form

Vorab berichteten die Filmemacher kurz über die Produktionsbedingungen: Um ihr geplantes Filmprojekt zu realisieren t suchten sie Augenzeugen, die am Bürgerkrieg in Spanien beteiligt waren. Zu diesem Zweck schrieben sie einen Brief an den Bundeswehrgeneral Tr., der sie daraufhin auf ein Treffen ehemaliger Jagdflieger hinwies. Dort lernten sie Hennings St. kennen, einen ehemaligen Jagdflieger aus dem spanischen Bürgerkrieg und Bundeswehrgeneral a. D., Henning St. erklärte sich nach einwöchiger Bedenkzeit bereit, an dem Film mitzuwirken. Von den Intentionen der Filmemacher war ihm nur bekannt, daß sie an dem Werdegang ehemaliger spanischer Bürgerkriegler interessiert waren. Als Bedingung der Mitarbeit garantierten ihm die Filmemacher, daß der Film unkommentiert gesendet wird und daß er vorher den Text des Films zugeschickt bekommt. An den 2. Protagonisten des Films, den Maurer Ludwig, kamen die Filmemacher über die VVN. Sie hatten Ludwig schon während anderer Filmarbeiten vorher kennengelernt

Dann gingen die Filmemacher auf den Prozeß der Zusammenstellung des Materials ein: Eine inhaltliche Konzeption war beim Drehen erst in Ansätzen vorhanden. Erst nachdem der O-Ton der beiden Protagonisten mit Anmerkungen zum Bildmaterial vorlag, wurde eine vollständige Konzeption erarbeitet und am Schneidetisch realisiert. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Methode, zwei Figuren ohne Kommentar gegenüberzustellen, auch eine große Gefahr beinhalte. So hätte es z. B. sein können, daß der Bundeswehrgeneral a. D. durch seine ‚brilliante und charmante Art‘ viel positiver beim Zuschauer an. gekommen wäre, als die Filmemacher es beabsichtigten. Diese Befürchtungen waren bei den Filmemachern beim Drehen vorhanden.

Es wurde dann nach den Reaktionen der Zuschauer auf diesen Film, der im Rahmen des ‚Kleinen Fernsehspiels‘ produziert und im ZDF gesendet wurde, gefragt. Die Reaktionen der Zuschauer waren zu ca. 90 % positiv. Nach der Sendung kamen ca. 60 bis 70 Anrufe, die vor allen Dingen mit der Person Ludwig sympathisierten. Einige Leute wollten ihm sogar die nicht zugestandene Rente für seine Verfolgungen bezahlen. Nur sehr wenige Fernsehzuschauer (ca. 5 – 6) beschimpften Ludwig als Lügner, der doch lieber in die DDR gehen solle. Die Zustimmung kam nicht nur aus einem Teil der Bevölkerung, sondern – so die Filmemacher – ging vom Unternehmer bis zum Rechtsanwalt, vom Maurer bis zum einfachen Hilfsarbeiter. Sogar Henning St. selbst reagierte am Anfang positiv auf die Sendung und fand sie ‚eine gelungene Sache‘. Erst später durch Kritiken in der reaktionären Presse angeheizt beschwerte er sich beim ZDF.

Kritisch angemerkt wurde in der Diskussion, daß die beiden Personen zuwenig in ihren Lebenszusammenhängen gezeigt wurden. Bei dem Bundeswehrgeneral gab es zwar einige kurze Schwenks in seine Umgebung bei Ludwig und seiner Frau kam dieser Punkt jedoch ganz zu kurz. Er wurde meistens in Großaufnahmen gezeigt, seine Umgebung kam kaum ins Bild. Gerade durch die Darstellung der beiden Personen in ihren Zusammenhängen hätten sie nicht nur als Einzelpersonen, sondern mehr als Vertreter ihrer Klasse gezeigt werden können. Die Filmemacher erklärten dieses Defizit aus Schwierigkeiten, das gesamte Material in dem Film unterzubringen. So drehten sie Ludwig zwar auch während anderer Gelegenheiten, z. B. während der Vorbereitung einer Veranstaltung zum Neofaschismus: auf dem Remscheider Wochenmarkt, in Gesprächen mit Nachbarn und Freunden im besten Remscheider Platt u.a.; diese Aufnahmen fielen jedoch aus Platzgründen dem Schnitt zum Opfer.

Kritisiert wurde in der Diskussion auch, daß beide Personen in dem Film sehr gradlinig gezeichnet sind. Der Kontrast zwischen beiden bleibt statisch, er entwickelt sich nicht. Der Zuschauer ergreift anfangs Partei für Ludwig und das Ende des Films bestätigt ihn. Die Filmemacher entgegneten darauf, daß worauf ja auch der Titel des Films hinweist, beide Ansichten miteinander unversöhnlich sind, von daher keine Annäherung der beiden in dem Film stattfinden kann. Den Vorwurf der Statik der beiden Personen lehn[en sie jedoch entschieden ab. Gerade der Bundeswehrgeneral a. D. erscheint am Anfang als der alte, liebenswürdige Herr, der im Verlauf des Films immer mehr Informationen über sich liefert, als Person immer konkreter wird und sich schließlich so weit decouvriert, daß er am Schluß des Films in seiner ganzen Gefährlichkeit erscheint. Hier wurde den Filmemachern jedoch von einigen Diskussionsteilnehmern widersprochen.

Gerade am Anfang wirkt Henning St. noch bedrohlich, er ist jedoch so daß er im Verlauf des Films immer weniger ernstgenommen wird. Es wurde außerdem erwähnt, daß am Anfang die Gegenüberstellung der beiden Personen noch neugierig macht, während man hier jedoch immer mehr enttäuscht wird. Durch die Naivität des Generals wird die Realität der BRD immer dünner. Die Dimension, die hinter der Person steht, geht im Laufe des Films immer mehr verloren. Zurückgeführt wurde dies z. T. auf die mechanische Montage des Materials; die beiden Aussagen der Personen werden kontrastierend immer wieder aufeinander bezogen. Das führt z. B, auch dazu, daß die sachlichem oft ruhigen Aussagen Ludwigs kaum in ihrer Eigenständigkeit richtig zur Geltung kommem sondern immer mehr die Funktion bekommen, den General noch mehr seiner Lächerlichkeit preiszugeben.

Hier schloß sich die Kritik an, daß durch die beiden Porträts Geschichte zu sehr personifiziert dargestellt würde. Die Aussagen der beiden Personen werden nicht aus ihren Verhältnissen heraus entwickelt und gezeigt, so daß die gesellschaftliche Dimension im Film zu kurz kommt. Demgegenüber vertraten jedoch ein Teil der Diskussionsteilnehmer die Meinung, daß durch die subjektive Geschichte der beiden Personen sehr viel über die objektiven Verhältnisse klar wird. Sie stehen sich als Vertreter zweier Klassen gegenüber, und dieser Gegensatz verändert sich auch nach der Zerschlagung des Faschismus und des Aufbaus der BRD nicht. Henning St, steht wieder oben, der Maurer Ludwig wieder unten. Es wurde als besonders positiv hervorgehoben, daß der Film genau diese Kontinuität zwischen Faschismus und heute aufzeigt.

Der Film hat viele Zuschauer sehr betroffen gemacht. Er wurde als ein gutes Mittel für gewerkschaftliche und betriebliche Bildungsarbeit angesehen. Die Landeszentrale für politische Bildung interessiert sich bereits für diesen Film.

Die Filmemacher äußerten dazu, daß sie mit dem Film nicht unbedingt den Anspruch hatten, die politischen Verhältnisse eingehend zu analysieren. Wenn der Film allein schon zu der Frage anregt: Wer steht dahinter? dann hätten sie ihr Ziel schon erreicht.

Zum Schluß sagten die Filmemacher noch kurz etwas zu der Produktionsweise: Das Material wurde ab September letzten Jahres ca. 6 Wochen lang gedreht und dann bis Mitte April geschnitten.

Die Gespräche waren vorher strukturiert, d. h. die Gesprächspartner wurden vorher über das Themengebiet, über das gesprochen werden sollte, informiert. Die Dreharbeiten bei dem Bundeswehrgeneral a. D. dauerten ca. 6 Tage, die Dreharbeiten bei Ludwig und seiner Frau waren langwieriger. Während der Bundeswehrgeneral sehr bereitwillig über sich redete, war es für die Filmemacher schwieriger‚ Ludwig ‚zum Reden‘ zu bringen, da für ihn bestimmte Sachen so selbstverständlich waren, daß er es nicht für wichtig hielt, vor der Kamera darüber zu sprechen.