Film

La Empresa
von André Siegers
DE 2023 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
10.11.2023

Diskussion
Podium: André Siegers, Simon Quack
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

Anfangs im Schwarzweißbild: Caesar’s Palace, Las Vegas. Die Kamera filmt ratlos Leerstellen und Randgebiete, das ursprünglich geplante Filmprojekt hat sich zerschlagen. Doch über einen Umweg kommt das deutsche Filmteam nach El Alberto, Mexiko, wo das Reenactment des Grenzübertritts in die USA als nervenkitzlige Touristenattraktion vermarktet wird. Eine Bewirtschaftung allzu bekannter Bilder, denen „die Deutschen“ mit eigenen Eindrücken, eigenen Missverständnissen begegnen.

Protokoll

Vor der Vorführung von „La Empresa“ kündigt Moderator Patrick Holzapfel schon an, dass der Film aufgrund seiner Ambivalenzen gut in Duisburg aufgehoben sei. Diese Ambivalenzen greift er auch in seiner ersten Frage an Regisseur André Siegers und Editor Simon Quack auf. Was davon, was man im Film sehe, sei eigentlich passiert und was nachträglich dramaturgisch narrativiert? Und ob sie überhaupt in Las Vegas waren und einen anderen Film machen wollten oder nicht? Wie auch schon im Kinosaal gibt es jetzt im Bora im Publikum einige Lacher. „Ja, wir waren in Las Vegas und wollten einen anderen Film machen“, bestätigt Siegers. Sie hätten sich für das Phänomen einer spezifischen Art Tourismus interessiert, bei der Leute in die Haut anderer schlüpfen können, um entführt zu werden.

Bekanntlich hat dieser Plan nicht funktioniert und so versucht sich „La Empresa“ stattdessen an einem Dorf in Mexiko, das ein Geschäft daraus gemacht hat, illegale Grenzüberquerungen in die USA als touristische Attraktion anzubieten. Holzapfel kommt auf das Thema der Inszenierung zu sprechen. Der Film sei auch ein Film über das Filmteam oder den Blick, den es auf das Dorf werfen kann. Siegers antwortet, dass die ursprüngliche Idee gar nicht die Beschäftigung mit der Inszenierung war, sondern einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. „Uns wurde klar, dass wir nicht die ersten waren, die auf die Idee gekommen sind, da zu drehen.“ Es habe also immer mitgespielt, dass es eine Mikroökonomie gäbe und die Leute hinreisen, um sich bestimmte Bilder abzuholen. „Wir haben die ganze Zeit versucht, uns zu vermeiden, was uns aber nicht gelungen ist“, so Siegers über die Selbstreflexivität des Films.

Holzapfel meint, er könne sich immer noch nicht ganz vorstellen, wie ein Drehtag ausgesehen hätte. Er nennt als Beispiel die Szene der Ziegenrettung, was ein sehr komponiertes Bild sei: Die Ziege und ihre Retter sind aus grosser Distanz herangezoomt von schräg unten gefilmt, was dem Bild schon fast eine abstrakte Qualität verleiht. „Gleichzeitig überzeugt ihr mich, dass ihr solche Bilder einfach findet“. Diese Ziege bedeute ihm eigentlich sehr viel, so Siegers. Es sei einer der wenigen Momente, in denen sie als Filmteam angesprochen und zu dieser Situation mitgenommen wurden. „In der gleichen Nacht gestohlen wurde sie auch in Wirklichkeit“, fügt Quack zur Erheiterung des Saals an.

„An welcher Stelle kam der Voiceover rein, was war der Gedanke dahinter?“, will Holzapfel weiter wissen. Das von Quack gesprochene Voiceover sei dazu da, den Blick auf das Dorf umzukehren, antwortet Siegers. So könne über die gesprochen werden, die diesen Blick kreieren und über die Repräsentation des Dorfes, sowie darüber, wie diese Bilder zustande kommen. Holzapfel merkt an, dass „La Empresa“ dennoch Momente enthalte, die man auch in einem „konventionellen Dokumentarfilm“ – „diesen Begriff meine ich abwertend“ – finden würde. Wie habe dies mit der Balance ausgesehen? Siegers erklärt, dass es auch um die verschiedenen filmischen Herangehensweisen gehe: Inszenierung, Beobachtung, Interviews. Dies seien alles Mittel, um das Dorf zu betrachten.

Das Dorf und seine Bewohner:innen werden auffallenderweise in Schwarz-Weiss wiedergegeben. Holzapfel überlegt, ob diese Entscheidung etwas mit Gegenbild zu tun habe. Oft wird im Film von Telenovelas gesprochen, die eine ganz andere Ästhetik bedienen. Gemäss Siegers dient der (fast komplette) Verzicht auf Farbe der Abstraktion der Sache. „Man hat mehr das Gefühl, ein Bild vor sich zu haben“. Da es um Darstellbarkeiten gehe, passe auch dieses Format, dass Sachen oft vergrössere, etwas Zurückgenommenes habe und eben auch gegen etwas arbeite.

An dieser Stelle melden sich die ersten Stimmen aus dem Publikum. Ein Zuschauer versucht, seine Verwirrung („auf eine tolle Art“) in Worte zu fassen. Er frage sich, ob die beiden Filmemacher Genies seien oder der Film ein Geniestreich sei, denn für ihn stünde die Option im Raum, dass selbst die Inszenierungen vor Ort vom Film inszeniert sein könnten. Nun sieht auch Siegers etwas verwirrt aus. Er wisse nicht so richtig, was er darauf antworten solle. „Das hätten wir tun können, aber es ist nicht so“, sagt er schliesslich. Holzapfel merkt an, dass dieser Effekt, den der Film dadurch habe, dass die Gemachtheit des Films sehr präsent sei da die Bedingungen offengelegt würden wohl auch das Gegenteil bewirken könne.

Eine Zuschauerin will mehr über die Inszenierung sprechen. Sie fragt sich, ob das ständige Reenactment auf Dauer etwas im Dorf auslöse. Für Siegers hat das Ritual der Caminata Nocturna damit zu tun, wie das Dorf seine eigene Identität versteht. Als transnational, aber auch mit Migration als Teil der Ortsgeschichte. Die Caminata habe einen Ursprung der nichts mit der heutigen Touristenattraktion zu tun habe. „Ein Entstehungsmythos ist, dass es aufgrund der verschiedenen Migrationswellen im Dorf irgendwann kaum noch Dorfbewohner:innen gab“. Zudem sei es immer schwieriger geworden, die Grenze zu überqueren, Menschen seien dabei auch gestorben. Solche, die aus den USA zurückgekehrt sind hätten dann mit der Inszenierung angefangen, um die Dorfjugend davon abzuhalten, die Grenze zu überqueren, um zu zeigen, wie gefährlich es ist.

Eine andere Zuschauerin meldet sich zu Wort. Sie werde das Gefühl nicht los, dass die Selbstironie nach hinten losgehe, „weil ihr nicht gemein genug seid zu euch selbst“. Dies gehe auf die Kosten der Protagonist:innen. Während die Caminata für diese existenziell sei, bleibe es für die Filmemacher bloss etwas Skurriles. Noch bevor Siegers oder Quack reagieren können, ruft eine andere Zuschauerin dazwischen. Sie teile dieses Gefühl überhaupt nicht. Das ganze Thema sei ja tödlich, existenziell und diese Ebenen kämen durch die klassisch dokumentarischen Szenen zur Geltung. „Ich kann es für mich nicht negativ sehen“, sagt auch Siegers. Für ihn seien die Texte dazu da, den Bildern Raum zu geben. Deswegen habe der Film für ihn nicht den beschriebenen Effekt.

Alejandro Bachmann will zu einer Frage ausholen – „Die Frage, ob ihr Genies seid“ – und wird mit einem „Nein!“ der Filmemacher unterbrochen. Er setzt nochmals an. Der Film sei beeindruckend klug gebaut, aber er habe sich gefragt, ob diese Genialität nicht vom Thema schon gesetzt war. Das Dorf habe aus existenziellen Gründen etwas kreiert, dass ihnen Profit ermögliche und das Filmteam auch auf sich selbst zurückwerfe. „Wie viel von dem, was ihr euch überlegt, wurde nicht schon von ihnen überlegt?“.

Sowohl Siegers wie auch Quack stimmen Bachmann zu. Siegers sieht einen Grund für das Auf-sich-Zurückgeworfen-Werden im Geschäftsmodell des Dorfes. „In dem Moment, wo es diesen Vertrag gibt, muss man darüber nachdenken, was man da eigentlich sucht“. Sie versuchten nun auf dramaturgische Weise zu erzählen, dass es auch die Suche nach einer Haltung sei. Für Quack ist die vom Dorf erfundene Reinszenierung, um Migration zu stoppen, „total schlau“: „Die Caminata Nocturna erfüllt ihren Zweck“, sagt er. Die Leute hätten dadurch eine Perspektive zu bleiben.

Holzapfel kommt nochmals auf die Frage der extremen Notwendigkeit der Protagonist:innen und der freien Wahl des Filmteams zurück. „Ich meinte das nicht per se als Kritik, ich wollte vielmehr die Autor:innenschaft der Protagonist:innen betonen, weil sie viel von dem, was sich in eurer Form findet, schon gedacht haben“, meldet sich Bachmann. Eine weitere Zuschauerin sagt, sie sei geteilter Meinung. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass eine gewisse Distanz zwischen den Dorfbewohner:innen und euch da ist“, sagt sie und will wissen, wie das Verhältnis war. „Natürlich haben wir eine Beziehung gehabt zu den Leuten“, sagt Siegers. Er glaube, dass der Film mehr Distanz behaupte als da war. Aber natürlich sei die ganze Angelegenheit für das Dorf erstmal ein Geschäft gewesen. Dies werfe einen eben auf einen selbst zurück, man müsse sich fragen, was man da wolle.

Ein anderer Zuschauer will in diesem Aufeinandertreffen der externen und internen Perspektiven eine „liebevolle Naivität“ erkennen. Er spricht die in Farbe gefilmten Fresken an, die am Schluss des Films gezeigt werden. Ob sie die Lustigkeit des Films brechen würden und nicht eher zweideutig seien? „Die Fresken sind eine Art Zusammenfassung dessen, was der Film erzählt“, erklärt Siegers. Es gehe um die Kommodifizierung von Geschichte und um verschiedene Lesarten. Die historischen Fresken in der Kirche würden zu Touristenattraktionen, obwohl eine Geschichte der Unterdrückung dahinterstecke.

Holzapfel schliesst den Abend mit einem Verweis auf seinen eingangs gemachten Kommentar: Er fände es gut, dass es möglich sei, einen ambivalenten Film zu besprechen und dass man diese Ambivalenzen auch in der Diskussion spüren könne.