Synopse
Die Tür ist zu. Dahinter: der Protagonist des Films. Biniam, der Mitbewohner der israelischen Regisseurin, entzieht sich der Kamera. Er hat seine eigenen Pläne für den Lockdown. Zurückgeworfen auf sich, filmt Naama ihre Enttäuschung und ihre Einsamkeit in der bürgerlichen Bräsigkeit von Köln-Bickendorf und erinnert sich an die Person, die als Phantom im Zimmer nebenan wohnt. „Alles, was bleibt, ist mein Voice-over.“ Und die Tauben auf dem Balkon. Und Tel Aviv. „Wirst du mich vermissen?“ – „Ja.“
Protokoll
Ich komme gerade rechtzeitig zum gut gefüllten Screening von Picnic at Hanging Rock. Während der Vorführung erreicht die Stimmung im Saal mitunter Comedy-Kracher-Höhen ob des rasant-witzigen Monologs der im ersten Drittel des Films das Porträt einer Liebe aus der Sicht der Filmemacherin Naama Heiman einfängt, aber dabei auch die Dysfunktionalität dieser Beziehung erzählt. Diese Begeisterung transferiert sich auch auf den Diskussionsraum danach, in dem die Filmemacherin unter großem Applaus und zu Bravo-Rufen aus dem vollen Auditorium von Auswahlkommissionsmitglied Jan Künemund eingeführt wird. Für mich ist dieser zügellose Ausdruck der Begeisterung eine einmalige Erfahrung bei der diesjährigen Filmwoche.
Künemund beginnt dann auch gleich mit seinem Lob für den Mut, so geistreich über eine Obsession zu erzählen und richtet an Heiman einen dichten Block von formalen Fragen, die sich – in dieser Reihenfolge – um das „Ich“ in Verbindung mit Objekten im Film, die Erzählerinnenstimme und damit ihre Subjektposition, den Kontext der Entstehung des Films und den Begriff „Goodbye Film“ drehen. Am ehesten noch hakt Heiman hier bei Künemunds zusätzlichen Verweis auf die Szene am Anfang ein, in der sie erklärt, daß der Film vor allem ein Vorwand war, Zeit mit Biniam zu verbringen. Ihre Aussage, daß Biniam für Heiman vor allem Material für den Film war, unterstreicht vielleicht diese Obsession einer Liebe, die sich durch Objekte und Geschichten dem Protagonisten nähern muss, weil dieser sich oft weigert, selbst im Bild zu sein. Dabei wird Heimans Umgebung, vor allem die gemeinsame Wohngemeinschaft in Köln-Bickendorf, Teil einer hermetischen Lebenserfahrung die auch diese besessene emotionale Gefangenheit im spezifischen (Lebens-)Raum verortet, quasi das „Nicht-aus-sich-hinauskönnen“ der beiden Protagonist*innen – sie in ihrem Wunsch, er in seiner Abweisung – auch tatsächlich räumlich darstellt.
Künemund öffnet dazu den Themenkreis „geliehene Mittel“: auffällig ist etwa Heimans Verwendung von Biniams Kamera, die in gewissem Sinne eine Aneignung des Eigentums anderer ist um dann über sie selbst zu erzählen. Des weiteren auch der geliehene Titel von Peter Weirs Film (1975), der wie Künemund erörtert, von einer verwunschenen Landschaft handelt und erotische Besessenheit ausdrückt – und wie ich finde sich vor allem mit der Brutalität der Andeutungen und des Unfassbaren von Sexualität beschäftigt, in dem er seine Protagonist*innen, am Valentinstag, wie in einen Bann gezogen zwischen Felsen verschwinden lässt. Diese Referenz wird in Heimans Film auch visuell auf dem zusätzlich zu den Digitalbildern auf 16mm Analogfilm gedrehten Material einer gemeinsamen Reise zu einem See offenbar, dessen Umgebung tatsächlich an die Felsformation – eigentlich „Mount Diogenes“ – in der Nähe von Melbourne erinnert. Dort versuchte Heiman Biniam ihre Liebe zu gestehen, was aber zuerst durch eine falsche Formulierung („Ich hab’ dich lieb!“) und dann zum zweiten Mal durch plötzlichen Außenlärm mißlingt. Heiman verwendet diese Augenblicke des beinahen gemeinsamen Glücks mehr und mehr als Gegenpol zu den täglichen Frustrationen in ihrer WG-Beziehung mit Biniam. Diese raren Interaktionen sind es auch die durchaus eine Zärtlichkeit zwischen den beiden erahnen lassen: beim Frühstück, am See und bei einem Spaziergang kurz vor Ende des Films, als Heiman ihm erzählt, sie würde nach Tel Aviv zu ihren Eltern reisen und, daß er sie vermissen wird. Das Vielgesagte in Heimans Monologen über Biniam steht dem wenig Gesagten direkt zu Biniam gegenüber. Dieses „Eine-Person-nicht-greifen-können“ attestiert Künemund der fluiden Persönlichkeit Biniams, der sich ständig mit neuen Faszinationen neu erfindet und sich so nicht festhalten, überführen lässt. Für Heiman war immer wieder starken Emotionen ausgesetzt zu sein der Impetus, sich ihnen mit einem Film zu nähern – immer wieder kreisförmig zu ihren Frustrationen zurückkommend, das Zurückgewiesenwerden in einer asymmetrischen Beziehung einfangend.
Es gibt auch Gegenstimmen: Mitglied der Auswahlkommission Bettina Braun sieht es als problematisch, wie Heiman mit den Menschen vor der Kamera umgeht. Es sei übergriffig, gar invasiv, wie sie zum Beispiel (in Umgebungspanoramen) ihre Nachbarn zeigt und hat ein leichtes Unbehagen über die Balance, was sie von Biniam verlangt und was Heiman damit selbst tut. Vielleicht wird dies noch unterstrichen, weil er so selten im Bild ist. Ich frage mich ein bisschen verwundert, daß Liebe doch immer übergriffig ist und, daß es doch auf das „wie“ ankommt. Dabei schwappt von der Diskussion am Vortag zu „Krai“ die Aussage Alexey Lapins über, daß „Film immer eine Gewalttat ist“, und eben diese Gewalttat der Obsession, der unerfüllten Liebe ist ja auch das Hauptthema und eine Technik dieses Films.
Heiman antwortet dazu: Natürlich hat sie Biniam benutzt, um den Film zu machen. Aber er sah sich den Film an und sie änderte ein paar Szenen mit ihm gemeinsam – am Ende billigte er den Film. Sie hofft, daß deutlich wird, daß es sich um subjektive Gefühle und Gedanken handelt und, daß dieser Film nicht die Wahrheit über Biniam ist. Dieses gestörte Distanz-Nähe-Verhältnis wird von Heiman übrigens schon im Film erzählt, als sie – inspiriert von einer Aussage ihrer Therapeutin – ein solches Biniam zuschreibt. Gleichsam sucht Heiman durch Ironie und Humor sich von ihren Emotionen zu distanzieren, Biniam als Material, als Objekt für einen Film zu sehen. Aber mit dem Inhalt beschreibt sie ihren eigenen Kampf mit der Obsession, daß ihre Liebe kompliziert und unerwidert bleibt. Und das franst dann gleichermaßen in Amplituden des Schmerzes und dem Ausdruck des Verlustes der Kommunikation aus. Damit ist „Picnic at Hanging Rock“ eben auch ein Versuch über das und den zu sprechen, zu dem und das die Sprechverbindung gestört ist.