Film

Prekid Vatre
von Jakob Krese
DE/IT/SI 2025 | 31 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
05.11.2025

Diskussion
Podium: Jakob Krese
Moderation: Serpil Turhan
Protokoll: Eva Kirsch

Synopse

Seit 29 Jahren schweigen die Waffen, doch Hazira findet keine Ruhe. Ständig ist sie in Bewegung: sammelt Brennholz, jätet Unkraut, putzt und raucht. Die Bosnierin hat das Massaker von Srebrenica überlebt. Sie wohnt in einer Siedlung für Geflüchtete, 100 Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Ein Dauerprovisorium. Mit schwarzem Humor begegnet sie dem Trauma eines Krieges, der ihr Leben weiterhin bestimmt. Ihre Resilienz ist aus Routinen und Rastlosigkeit gebaut.

Protokoll

„Ceasefire“ ist die englische Fassung des bosnischen Filmtitels PREKID VATRE – ein Wort, das retrospektiv betrachtet als dringliche Forderung und Anklage über dem Gespräch zu schweben scheint. Es ist ein Film, der sie eindringlich beschäftigt hat, eröffnet Serpil Turhan die Diskussion mit Jakob Krese, dessen Abbild dem Publikum im Videocall auf der Leinwand hinter dem Podium gegenübersitzt. Die Moderatorin spüre eine bestimmte Vertrautheit zwischen dem Filmemacher und der Protagonistin Hazira und möchte wissen, wie diese Verbindung und die Notwendigkeit, den Film zu machen, entstanden ist. In ihrer Recherche ist sie auf einen Artikel von Kreses Tante gestoßen, der Hazira portraitiert. Der Filmemacher erzählt, dass er 2015 mit seiner Tante Meta Krese in Serbien auf der Balkanroute unterwegs war und dort zum ersten Mal erfahren hat, dass es in Ex-Jugoslawien Geflüchtetenlager gibt. In der darauffolgenden jahrelangen Recherche hat Meta Krese Hazira kennengelernt. Der Filmemacher entdeckte sie wiederum durch die Fotos und Erzählungen seiner Tante, aus denen sie herausstach. Das Vertrauen zwischen Filmemacher und Protagonistin entstand durch Haziras Vertrauen zu seiner Tante, darin wurde er sofort mit aufgenommen. So haben Krese und die Protagonistin bei ihrem ersten Treffen 2021 gemeinsam Kaffee getrunken und nach zwanzig Minuten meinte Hazira schon: „Wann geht’s los?“. Dann ist auch direkt die erste Szene des Films entstanden.

Wie Hazira mit dem Filmemacher interagiert und erzählt (teilweise auch von sich selbst in der dritten Person), hat eine große Direktheit und es ist eine Notwendigkeit spürbar, Dinge auszusprechen. Meist erzählt sie aus einer Tätigkeit heraus und was gesagt wird, ist sehr in der Situation verhaftet. Die Moderatorin hebt eine Szene hervor, in der sie am Tisch sortiert und Krese hinter der Kamera adressiert, er solle alles aufnehmen und könne dann entscheiden, was er wieder lösche. Wie hat er sich diese Momente konzeptuell vorgestellt und wie hat er sie gesucht? Der Filmemacher erzählt, er habe noch nie so viele Ideen und Konzepte gehabt wie bei diesem Projekt, auch weil es ein so großes Thema sei und er sich gefragt habe, ob er diesen Film machen dürfte. Als er dann jedoch mit seinen „1000 prätentiösen Ideen“ im Geflüchtetenlager Ježevac ankam, habe Hazira sofort übernommen und er seine Konzepte über Bord geworfen. Teil ihres Traumas sei es, immer in Aktion zu sein, weshalb er die meiste Zeit „hinter ihr hergerannt“ sei. Die Protagonistin habe vollkommen den Dreh bestimmt und die Gespräche mit ihm gesucht, während er nur auf sie reagiert habe.

Für Turhan sind die verschiedenen Ebenen und Ansätze im Film trotzdem spürbar. Beispielsweise in den „reinen Beobachtungen“ der Influencerinnentätigkeit von Haziras Tochter und bei der Versammlung der Frauen. Krese erzählt, dass der Instagram-Videodreh eine geplante Sache für den Film war, die Versammlung der Frauen hingegen hätte sowieso stattgefunden und er musste nur in die Situation reingehen. Es klingt an, dass obwohl PREKID VATRE immer als Kurzfilm geplant war, sich Krese selbst gefragt hat, wie er der Komplexität der Situation in der Kürze gerecht werden könne. Dieser Gedanke kam auch in der Kommission auf, beschreibt Turhan. Der Film habe verschiedene Ansätze und sei in den Zeitsprüngen und dem unruhigen Schnitt sehr verdichtet. Sie will wissen, warum die Entscheidung für die kurze Form forciert wurde. Krese entgegnet, er habe das Gefühl gehabt, das sei die richtige Länge. Das Material und die Geschichte gäben noch zehn weitere Filme her, doch dies sei der Rahmen gewesen, dem sie in der Zeit gut gerecht werden konnten. Die Hektik, das Schnelle und Harte im Schnitt erscheinen ihm passend zu Haziras Rastlosigkeit. Es gäbe auch „viele Fallen“ in die man bei einem Portrait über eine solche Person tappen könne. Wie nebenbei erwähnt er außerdem eine Kurzfilmförderung, laut der der Film eigentlich auch unter 30 Minuten lang hätte werden müssen.

Eine Person aus dem Publikum bedankt sich für den Film und spricht die zwei Drohnenaufnahmen an, die auch auf der Soundebene aus dem sonst nüchternen Film herausfallen. Der Filmemacher erläutert, dass sich in dem Gebäude im zweiten Drohnenshot die Wohnungen befinden, in die die Geflüchteten im Rahmen von Bosniens gewünschtem EU-Beitritt abgeschoben werden sollten. Dies sei genau einer der Punkte gewesen, wo sie bei dem „riesig gewordenen Thema“ und den „vielen verschiedenen Geschichten“ einen Weg finden wollten, etwas nur anzudeuten. Sobald sie in eine der Geschichten oder Konflikte weiter reingegangen wären, hätte das der Meinung des Filmemachers nach das Portrait übernommen. Sie wollten die Brutalität der Situation zeigen, ohne sie den Zuschauenden auf die Nase zu binden. Die Drohne hält er wegen der Assoziationen als „militärisches Instrument“ und „Waffe“ für ein wichtiges und gutes Element. Die Frage, warum sich dieser ‚Antikriegsfilm‘ in seiner Bildstrategie einer „Waffe“ bedient und inwiefern er dadurch ein militärisches Vorgehen zitiert bzw. reproduziert, kommt nicht auf.

In Fragen zum Drehprozess des Filmemachers in Personalunion (Kamera und Regie) wird kurz darüber gesprochen, dass die Direktheit der Blicke in die Kamera und die kurzen Momente des Innehaltens, die Turhan tief berührt haben, zwar auch mit einem Team hätten entstehen können, die Zweisamkeit von Filmemacher und Protagonistin jedoch sehr interessant sei. Auf eine Publikumsanmerkung zur Wichtigkeit der Verständigung in gemeinsamer Sprache hin erzählt Krese von seinem biografischen Hintergrund. Er ist im damaligen Jugoslawien und in Deutschland aufgewachsen und als seine Familie später in Berlin gelebt hat, war ihre Wohnung aufgrund des politischen Aktivismus‘ seiner Mutter in Srebrenica eine Art „bosnisches Auffanglager“. Der Krieg sei dadurch Teil von ihnen gewesen, er sei damit groß geworden.

Aus dem Publikum kommt eine Person indirekt erneut auf die Frage nach der Kürze des Films zu sprechen: Eigentlich habe der Regisseur einen ‚Cliffhanger‘ eingebaut. „Erzählst du die Geschichte weiter?“ Erneut verneint Krese, jetzt drehe er nicht weiter, dazu fühle er sich psychisch und emotional nicht im Stande, auch wenn die Situation vor Ort gerade schlimmer werde. Obwohl die Bewohner:innen von Ježevac bereits alle Vorbereitungen treffen mussten, fand der Umzug immer noch nicht statt, da es einen Streit darüber gab, wer die Stromrechnung im neuen Wohnkomplex bezahlen soll und mittlerweile wurden die leerstehenden neuen Wohnungen geplündert. Die Ausführungen zur aktuellen Situation nutzt Krese, um auf einen Spendenlink hinzuweisen und das Publikum zu bitten, Hazira finanziell zu unterstützen.

Zuletzt kommt Turhan noch auf das Ende des Films, die Aneinanderreihung der Bilder der Bewohner:innen vor ihren Häusern in den verschiedenen Jahreszeiten zu sprechen. Krese erklärt, die Sequenz sei eine Hommage an den Ort und solle offen sein für die Zuschauenden. Sie markiere außerdem das Vergehen von Zeit. Er beschreibt, dass die neuen Kinder in Ježevac sich alle Geflüchtete nennen, woraufhin Turhan ihre Überraschung darüber ausdrückt, dass die Tochter im Film immer noch von Diskriminierung betroffen ist. Da grätscht der Filmemacher ein und möchte nochmal über den Titel sprechen. „Als Gaza passiert ist“ und er seine Premiere auf der Berlinale hatte, war dort gerade ein Waffenstillstand. Die Situation in Bosnien wiederum sei für sie ein langanhaltender Waffenstillstand, in dem es sofort wieder losgehen könne und nichts aufgearbeitet wurde. Er ist der Meinung im Kontext von Gaza sei es wichtig zu sagen, dass die internationale Anerkennung der Gewaltverbrechen damals geholfen habe den Genozid zu stoppen. Deshalb sei es auch wichtig, heute zu benennen, dass „in Gaza ein Genozid passiert“.

Mit diesem politischen Appell endet das Gespräch, es bleibt jedoch noch eine kleine Gruppe Zuschauende im Saal versammelt, weil der Filmemacher erfolglos versucht, den zuvor erwähnten Spendenlink über das projizierte Zoombild zu teilen. Er möchte, dass der Link ins Protokoll kommt, aber ich denke, ich kann dem Duisburger Publikum so viel Selbstständigkeit zutrauen, auf die Website von Majmun films zu gehen und ihn dort zu finden.