Synopse
Rollkoffer klappern, in der Tiefgarage wummern die Bässe einer Party. Im Brunaupark, einer Siedlung in Zürich, ist ein neuer Sound eingezogen. In vielen der leerstehenden Wohnungen leben jetzt WGs und digitale Nomaden auf Zeit. Die Pensionskasse der Credit Suisse hat zahlreichen alten Mieter:innen für einen Neubau gekündigt. Die meisten sind gegangen, einige harren aus. Warten und Wandel: Während der ehemalige Pizzabäcker des Viertels in seiner Wohnung die Vergangenheit konserviert, schreitet draußen die Anonymisierung voran.
Protokoll
Die Stimmung ist heiter im Diskussionssaal, im Gegensatz zu vielen Momenten in den letzten Tagen. Einleuchtend, zeigt „Brunaupark“ doch allerlei humorvoll zugespitzte, bisweilen absurd anmutende Situationen und Charaktere. So wurde auch während der Kinovorstellung für Duisburger Verhältnisse erstaunlich viel und herzhaft gelacht und das Publikum genoss offensichtlich die willkommene Ausflucht in weniger formalistische, weniger deprimierende Gefilde.
Zunächst möchte Moderatorin Therese Koppe wissen, was der Ausgangspunkt des Projekts war. Wie so oft in dieser Festivalausgabe berichtet Felix Hergert vom „persönlichen Ausgangspunkt“ und seinen nicht direkt mit Brunaupark verbundenen Erlebnissen mit der Ungerechtigkeit von Wohnpolitik und Gentrifizierung. Konkret auf Brunaupark wurde er aufmerksam, als ihm 2018 eine Frau wegen einer Petition zur Rettung der Siedlung angesprochen hat. Erst fand er es dort „nicht so schön“, dann hat ihn jedoch das Machtverhältnis „die Eigentümer oben, die Siedlung unten“ fasziniert.
Der Prozess des Filmens vor Ort begann laut Dominik Zietlow damit, dass die Filmemacher Flyer in alle Briefkästen warfen und sich ihr Netzwerk an Dorfbewohner:innen mit der Zeit exponentiell erweiterte. Sie haben viel Zeit im Brunaupark verbracht, zugehört und Vertrauen aufgebaut. Ihr Anliegen war dabei ein sozialer Akt, die Suche nach Austausch, das Praktizieren eines „solidarischen Mit-Dabei-Seins“.
Auf Koppes Frage hin, ob die Mieter:innen auch Mitautor:innen des Films waren und wie der Austausch mit ihnen stattfand, holt Hergert zunächst nochmal aus, um zu beschreiben, wie sie Protagonist:innen über andere Protagonist:innen kennengelernt haben, manchen aber auch einfach vor Ort beim „Runden drehen“ begegnet sind. En passant beschreibt er, dass sie sich „von der Realität inspirieren ließen“. Fast unvermeidlich schließt daran eine Frage der Moderatorin nach der filmischen Form von „Brunaupark“ an, die konkret auf das Verhältnis von Inszenierung und Beobachtung zielt. Zietlow erläutert, dass beispielsweise die Sängerin eine Komplizin gewesen sei, die ihre Szenen fast selbst inszeniert habe, bei anderen Protagonist:innen sind sie hingegen komplett beobachtend vorgegangen. „Wir waren keine Fliege an der Wand aber ähnlich“, wie „ein langsam wachsender Pilz“, sagt er und Assoziationen zur vormittäglichen Direct Cinema Diskussion scheinen auf. Die Herangehensweise des Duos war nicht dogmatisch, eher von Figur zu Figur angepasst. Der Film ist in der „Ästhetik gefixed“ nicht in der Methodik, Kameraästhetik und optische Regeln schufen Halt und Form. Es war der Versuch, „jedem auf Herzhöhe zu begegnen“.
Nach einer Rückfrage zur statischen Kamera erzählt Zietlow, dass er sich die Kamera schwer wie Beton vorgestellt hat. Sie sollte „den Raum abdecken“ und „die Geografie des Ortes ersichtlich machen“. Dabei war der Bildausschnitt als Bühne gedacht, in der Menschen „auf- und abtreten konnten“. Sein Kollege Hergert fährt zum Thema Inszenierung fort: „So viel haben wir am Ende doch nicht inszeniert“, vieles was so wirkt, ist aus der Realität geschöpft. Die Herangehensweise war gewissermaßen ein Spiel oder ein „Deal mit der Realität“. In einer Szene, wenn die Jungsgruppe auf die drei Mädchen trifft, haben sie beispielsweise das Bild mit den Jungs eingerichtet und dann die Mädchen „angelockt“.
Auf eine Frage aus dem Publikum, ob der Businessman überspitzt dargestellt wurde, erwidert Zietlow unter Publikumslachern „es gibt solche Leute“. Da er selbst drei Monate in einem Room Estate im Brunaupark gelebt hat, lernte er den Protagonisten als Mitbewohner kennen. „Man darf sich nicht lustig machen, aber es ist schwierig“, sagt er. „Diese Menschen gibt es einfach“ und sie hätten Angst gehabt, dass man ihn „falsch lesen würde“ und deshalb versucht „vorsichtig zu sein“, erklärt er weiter.
In Bezug auf den Prozess der Montage werden auf Fragen von Koppe hin mehrere Aspekte besprochen: die Unterscheidung zum klassischen Protagonist:innenfilm und die Herausforderung, das Ensemblehafte zu kreieren. Bei 130 Stunden Material diente Restaurantbesitzer Ciccio dafür als Leitfigur. Die Schwierigkeit in der Montage war, die Menschen einzuführen, in den Raum einzubetten und die Probleme aufzuzeigen. Der Aufzug als strukturierendes Element und Alltagssituation diente dazu, verschiedene Menschen am gleichen Ort zu sehen, generell sollten „die Räume die Menschen verbinden“.
Aus dem Publikum kommentiert Eva Königshofen, die Musik habe sie gestört, da sie einen einebnenden Effekt hat. Warum wurde Musik verwendet und an welchen Stellen? Hergert scheint überrascht, die Musik falle nicht vielen Leuten auf und sei noch nie kritisiert worden. Für ihn ist sie spannend, um Distanz herzustellen und die Realität anders zu sehen. Klar, man könne dogmatisch ein, aber diesen Eingriff hätten sie sich erlaubt.
Bei einem kurzen Exkurs zur Einstellung des Restaurantbesitzers Ciccio gegenüber seinen Gäst:innen wird klar, dass früher im Brunaupark auch Bänker:innen der Credit Suisse gewohnt haben. Ein Fakt, den der Film ausspart, was verständlicherweise eine Rückfrage aus dem Publikum motiviert: Warum wurde dieser fürs Verständnis wesentliche Aspekt nicht einbezogen? „Es gibt so viele Geschichten, die wir nicht erzählt haben“ erwidert Hergert und Zietlow ergänzt, während des Drehzeitraums hätten keine Bänker:innen mehr dort gewohnt.
Mischa Hedinger meldet sich aus dem Publikum zu Wort und konstatiert, der Humor des Films habe viel mit dem Schnitt zutun: die Zuspitzung und die kleinen Miniaturen, die mit Kontrasten montiert sind. Er möchte wissen, wie klar das im Drehprozess schon war oder ob die Idee dafür erst im Schnitt kam. Hergert betont, dass sie nicht nur tragische Geschichten erlebt und viel mit den Menschen gelacht haben. Bei den Teeangern fiel es ihnen schwer, nicht hinter der Kamera zu lachen. Zietlow beteuert erneut, auch die inszenierten Momente seien „aus der Realität geschöpft“, sie hätten „den Humor einfach angetroffen“. Weiterhin meint er, es sei „eine Sichtweise“, wenn man bei den Szenen im Café lacht und ergänzt, dass sie „sich nicht lustig machen wollten“. Hedinger hält dagegen: Der Humor ist schon gebaut durch beispielsweise „Reactionshots“ und auch das Café funktioniert nur und ist lustig, wenn man davor etwas Gegenteiliges sieht. Hergert bleibt dabei, er könne es nicht erklären und mache „aus dem Bauch heraus“. Am Ende wird dann wohl doch lieber gelacht, als darüber zu sprechen, warum und worüber man lacht und der Rückzug aufs Bauchgefühl lässt den Einwand zur Konstruiertheit des Humors ins Leere laufen.
Wieder zurück im Fahrwasser der Inszenierungs-/Beobachtungsfrage möchte eine Person aus dem Publikum mehr zu den Gesprächssituationen im Film wissen, die teils im Moment, manchmal aber auch eher illustrativ wirken. Inwieweit haben die Filmemacher da Impulse gegeben? „Natürlich geben wir auch Impulse“ erklärt Hergert, der Moment wie es passiert, ist dann aber wieder Realität. Manchmal war ein Ausgangspunkt oder ein Thema für die Menschen vor der Kamera auch eine Hilfe.
Koppes letzte Frage interessiert sich für die aktuelle Situation im Brunaupark, woraufhin klar wird, dass sich im Vergleich zum Ende im Film wenig verändert hat. Das Baugesuch für den Neubau hängt beim Bundesgericht, weil der Widerstand sich darauf stützen kann, dass die Nachbarsiedlung denkmalgeschützt ist. Eine weitere Information, die nun erst im Gespräch Erwähnung findet. Zietlow betont noch, dass die in „Brunaupark“ gezeigte Form der Verdrängung oft in Zürich stattfindet und schließt: Die Siedlung steht immer noch und wird wahrscheinlich auch noch länger stehen. Und das ist gut so.