Dokumentarfilme verhandeln den Zugriff auf Landschaft: Dem Ausbeuten wird ihr Bestaunen, dem Verdrängen die Verwurzelung in ihr, dem unschuldigen Anschauen die Zurichtung ihres Bildes entgegengesetzt. Landschaften werden in Filmen als Formationen sichtbar, die unser Leben, Denken und Fühlen prägen. Gleichzeitig sind sie Projektionsflächen für soziokulturelle Umwälzungen, die an ihnen sichtbar werden. Wir interessieren uns dafür, wie Landschaft in Dokumentarfilmen zum umkämpften Gelände wird. Als ausbeutbare Ressource, als biodiverser Schutzraum, als Ort, an dem Zugehörigkeiten verhandelt werden. Als Ort, von dem ein Bild entsteht.
Protokoll
Landschaft als biodiverser Schutzraum, als extraktiver Ort, als kultureller Ort. Wer darf wie in Landschaft überhaupt eingreifen? Und zuallererst als Bild selbst: Zu Beginn des diesjährigen Extras schärft Alexander Scholz das Publikum auf mögliche Zugangspunkte zum Sprechen über Landschaft im Dokumentarfilm ein.
Anschließend erörtert Moderatorin Vivian Buchhorn entlang der künstlerischen Biographien der beiden Panelisten wie Landschaft in deren Arbeiten verhandelt wird. Daniel Kötter beschäftigt sich mit Landschaften im Umbruch und deren geopolitischen Herausforderungen, Lukas Marxt mit experimentellen und dokumentarischen Einschreibungen in Landschaften. Marxt selbst interessierte in seinen früheren Arbeiten eher kontemplative Gesten in einer Landschaft, die er mit minimalen Eingriffen ausdrücke. Jetzt sei er mit Landschaften von multiplen Geschichtsschreibungen und deren Schichten beschäftigt, die er versucht, im Abtragen mit künstlerischen Interventionen sichtbar zu machen. Für Kötter wiederum sind Räume im Allgemeinen, aber vor allem ein gesamträumliches Erlebnis und Raumpolitiken interessant. Und Landschaft sei eben eine dieser Raumpolitiken.
Dem Landschaftsbegriff und dem Thema Vergänglichkeit in Landschaften nachspürend werden Ausschnitte aus Marxts „Valley Pride“ und Kötters „Rift Finfinnee“ gezeigt. Im Clip von „Rift Finfinnee“ unterhalten sich ein Mann und ein Kind, von einem Talbett aus einen Hügel erklimmend, ob „die Stadt oder das Land besser sind“. Dabei schwenkt die Kamera lateral um ein wesentliches Objekt herum: Der Brücke über das Great Rift Valley, in dem sich das östliche Afrika vom Rest des Kontinents in Millionen Jahren in zwei geologische Teile abspalten wird. Die Landschaft wirkt beruhigt, Menschen gehen auf ihr und ihren Alltagsverrichtungen nach. Das Voiceover und ein dazu brummendes Sounddesign suggerieren aber eine tektonische Aktivität unter der uns sichtbaren Oberfläche.
Buchhorn greift dazu die Schwenks – die Vertikalen und Horizontalen – in Kötters Arbeit auf – was schon ein prominentes Thema in Kötters Gespräch mit Mischa Hedinger zu „Landshaft“ am Vortag war. Kötter mag es, mit langsamen Schwenks zu arbeiten. Der Schwenk in „Rift Finfinnee“, so er, sei für ihn wichtig – ebenso wie mit der Kamera durch die Landschaft zu laufen, sie durch das Körperliche zu konzipieren. Buchhorn meint sie hätte auch das Gefühl, dass der Film hier den menschlichen Wegen im Blick nacharbeite; dass Kötter hier auch das ausschnitthafte ausstelle, und zeige, dass man (als Mensch) nicht immer und überall eingreifen könne. Es kommt zur Sprache, dass Landschaft eben nichts Statisches ist und in unterschiedlichen Zeitdimensionen und Verhältnissen vonstatten geht.
Eine andere Zeitlichkeit zeigt sich im Ausschnitt von „Valley Pride“. Hier sehen wir aus der Kopfüber-Perspektive einen in geometrischer Perfektion geradlinig angelegten Palmenwald. Nach und nach windet sich das Kamerabild in einer Rotationsbewegung durch dieses in seiner rigiden Abgestecktheit unheimlich anmutende Dickicht und bahnt sich den Weg ins Freie. In der nächsten Szene zeugen ebenso perfekt-eckige Felder von einer brutal sorgfältig geplanten Landwirtschaft. Wir sehen Phasen der Feldarbeit – von der Aussaat über die Bewässerung, das Wachstum der Pflanzen und schließlich deren Ernte. Dabei bleibt die Kamera betont distanziert zu den Arbeiter:innen. Auf der Tonebene jedoch hören wir das Zischen der Ventile der Sprinkleranlagen, den Maschinenlärm der Erntemaschine, die sich langsam durch das Feld pflügt und wo die Arbeiter:innen die Früchte in einem auf Effizienz getrimmten Fließbandprozeß direkt am Feld in Boxen verpacken. Die laterale Bewegung der einen Maschine wandert danach in eine Zentralperspektive einer anderen, in der diese fast bewegungslos-spirituell unterstrichen vom Dröhnen des Motorenlärms tantrisch über das Feld zu schweben scheint. „Valley Pride“ ist Teil eines mehrgliedrigen Projekts über die Salton Sea im Dust Bowl in Südkalifornien, einer Gegend geprägt von unverantwortlichem Monokultur-Anbau und dessen Folgen: Das toxische Seebett und mit ihm die Dürre, aber auch Atomwaffentests bringen die Lebensrealitäten der dort ansässigen Communities und vor allem Native Americans in Gefahr.
Buchhorn weist darauf hin, dass man in „Valley Pride“ die Arbeiter:innen nicht hört, ein Schild im Bild verbiete es ihnen sogar, mit anderen Leuten über ihre Arbeit zu sprechen. Marxt sagt, er habe mit den Arbeiter:innen Interviews geführt, konnte diese jedoch nicht verwenden. Die Felder seien in der Nähe von Mexiko, und viele der Arbeiter:innen hätten keine Aufenthaltsgenehmigung. Die Feldbesitzer hielten dies gerne so, um Dumpinglöhne „a penny for a dollar“ zu bezahlen. Marxt wollte mit „die Welt steht Kopf“-Kamerakniff eine Desorientierung einbauen, um vom Menschen gemachte Bilder einzuleiten, und dies mit den vom Menschen gemachten Feldern in Beziehung setzen.
Buchhorn fokussiert nochmal auf die Titelfrage der Diskussion: „Wem gehört das Bild“. Welche Rolle spiele da das Digitale für Marxt? Für ihn war es schnell klar, er wolle als fremde Person diese Gegend nicht einfach so abbilden, sondern noch eine „Schicht des Eingriffs applizieren“.
Buchhorn spinnt diesen „Ownership“-Gedanken weiter in die Dimension des Einschreibens beider Filme in die Landschaften, die sie abbilden. Wie gehen Kötter und Marxt damit um? Kötter sieht das in seinem Fall nicht als Einschreibung, sondern es betone eher die Wichtigkeit der Verantwortung, die man bei der Reproduktion von Landschaft habe. Die Distanz zur Kamera sei da entscheidend. Ein weiterer wichtiger Teil in „Landshaft“ sei der Ton, über den wir die Landschaft „hören und fühlen“ können. Buchhorn präzisiert den Tonfokus auf die eigene Sichtbarkeit der Filmemacher im Film. Bei Marxt sei ihr seine Präsenz in „Valley Pride“ durch seinen Atem und das Geräusch seiner Schuhe aufgefallen, auch wenn er selbst im Film nicht sichtbar ist. Marxt nennt das eine „performative Einschreibung“ und, dass die Kamera und das dahinter zu spüren ihm sehr wichtig sei. Eine Person dahinter zu hören mache den Raum auch „plastischer“.
Kötter erklärt Sichtbarkeit über zwei unterschiedliche Kameratechniken: Panoramaschwenks zur Distanz und Kontemplation. Und die Momente, wo die Kamera aktiv eingreift, die Präsenz und Einschreibung spürbar wird: Zum Beispiel beim Kreiseln der Kamera mit den Schafen in der Schlußszene von „Landshaft“. Das gebe ein anderes Gefühl für die Landschaft und böte and um Teil von ihr zu werden und sie dadurch zu verändern.
Eine Frage Buchhorns thematisiert Aktivismus und Protest im Dokumentarfilm und wie man die eigene Position abbildet. Kötter meint, er sei eher kein aktivistischer Filmemacher – „leider“– aber er versucht das eher auf einer konzeptuellen Ebene zu denken. Ebenso Marxt, der den Aktivismus nicht ausformulieren würde.
Die erste Zuschauer:innenfrage von Annette Brauerhoch rekurriert auf den Landschaftsbegriff zurück. Ihr sei in der allgemeinen Diskussion zu kurz gekommen, was Landschaft im und für den Dokumentarfilm bedeutet. Im Bezug auf dem Spielfilm bedeute Landschaft für sie immer ein Setting. In „Rift Finfinnee“ habe sie so etwas gesehen. Ist Landschaft dort eher ein Setting oder Landschaft? Gibt es da unterschiedliche Umgangsformen im Spielfilm oder Dokumentarfilm? In der Theorie gebe es ja keine Landschaft: „Ein der Funktionalität entkleideter Blick ist Landschaft.“
Kötter versucht zu antworten. Landschaft konstituiere sich für ihn durch Bewegung, wie durch die Mineralien in ihr oder Menschen auf ihr. Eine wie von Brauerhoch erwähnte Begriffsbildung sei das eine, beim Bewegen einem sprachlichen Begriff von Landschaft gerecht zu werden. Man könne Klischees durch das richtige Körperverhältnis vermeiden. Die psychogeographische Analyse sei ihm dabei immer wichtig: Zum Beispiel in „Rift Finfinnee“ den geographischen Teiler mitzudenken und im Fall von „Landshaft“ eine Gegend, die von drei Seiten von Bergen umgeben ist. Sich eben mit Fragen einer kollektiven Psyche und deren unterschiedliche Schichten beschäftigen. „Landshaft“ sei ein Film über Landschaftsverhältnisse und gleichzeitig auch wie man sich mit einer Landschaft in ein Verhältnis setzt. Durch das „Auffalten“ und „Abschaben“ der Layers wird das Zeichensystem der Landschaft sichtbarer.
Mischa Hedinger möchte mit einer Frage aus dem Publikumsraum Brauerhochs Unterscheidung zwischen Landschaft und Setting nochmal aufgreifen. Häufig werden dennoch auch im Dokumentarfilm Settings gesucht, um „geile Bilder zu finden“. Die Gefahr sei hier die des Exotisierens. Was denken Marxt und Kötter darüber?
Lukas Marxt kontert: „Egal wo du hingehst, hast du geile Bilder.“ Für ihn ist es in seiner Arbeit eine andere Motivation, einen anderen Fokus auf die Landschaft zu finden. Das „Einschreiben“ in der Landschaft sei ein sprachliches Mittel, ein Hinstellen und einfach nur Filmen allein sei es nicht. In Kötters „Landshaft“ sehe er das Einschreiben zum Beispiel in Gesprächen mit den Menschen vor Ort, die für ihn eine andere Dimension bieten und den Eingriff ausmachen. Kötter, dann: „Wie spielt Landschaft mit Schönheit? Im Konkreten wollte er in „Landshaft“ die zwei Regime herausarbeiten: die Bilder und die Gegend, in Vertikalen und Horizontalen.“ Buchhorn fasst zusammen, dass für sie die Suche den Brüchen und Transformationen gelte. Interessant sei, wie dann die Überästhetisierung mit solchen Brüchen transformiert wird. Als Beispiel nennt sie ein Panorama in „Landshaft“, in dem der Berg im Hintergrund über allem thront, während gleichzeitig ein vorbeifahrender Güterzug das Panorama der Berglandschaft mit der ökonomischen Realität des Erzabbaus durchbreche.
Michael Baute meldet sich zu Wort und merkt an, dass er schon beim Anfangsbild von „Valley Pride“, dem mit den umgedrehten Palmen, den Film nicht mehr ernst nehmen konnte. Da werde die Landschaft für ihn, um mit Hedinger zu sprechen, „zum geilen Bild“. Jegliche vorher erwähnte Positionalität oder Psychogeographie falle ihm dadurch weg. Für Marxt bedeute dieser Kamerakniff jedoch eher das Gegenteil, eher ein Hinweis, dass mit der abgebildeten Landschaft „etwas nicht stimmt“.
Buchhorn öffnet noch einmal den Videoraum für zwei weitere Ausschnitte, um über das Dystopische zu sprechen. Dazu gesellt sich ein ungeplanter Glitch, ein grün flickerndes Artefakt als Störung im Projektorbild des Diskussionsraumes, der zwar nicht wegzusehen ist, aber nicht vom Verständnis der hier gezeigten Bilder ablenkt. In einem weiteren Ausschnitt von Marxts Film sehen wir Bewässerungspools, Furchen, Pflanzenlinien. Zu bedrohlich-gewaltvoll anschwellendem Tinitus-Ohrenlärm tastet sich die Kamera entlang der Felder-Rillen voran, wie ein Trip auf einer niemals enden wollenden Agrikultur-Autobahn. In Kötters Clip zu „Hashti Tehran“ ist danach ein Kinderspielplatz umrahmt von einer Betonwohnsiedlung zu sehen. Dahinter wird die Realität spielerisch durch die appliziert-idealisierten Landschaftsbilder auf den Mauerwänden im Hintergrund aufgebrochen.
Auf die Dystopie und Landschaftskritik im Bezug auf „Hashti Tehran“ meint Kötter er wollte die „unsichtbaren Dinge“ filmen – im Spannungsfeld der unterschiedlichen Bebauungssituationen in der Stadt mit den Mauerbildern – und diesen „Split“ mit der vermeintlichen Schönheit der Landschaft aufarbeiten. Er betone eben das Bewußtsein dieser Fallen. Für Marxt war es wiederum wichtig, keinen Horizont zu zeigen, sondern das größte Anbaugebiet USA durch ein Laufbild zu vermessen, wo man dessen Weite nur erahnen könne.
Kurz vor dem Ende der Diskussion wiederholt sich hartnäckig die lautmalerisch eingebrannte Frage zu den „geilen Bildern“: Wie vermeiden beide Filmemacher in die Falle einer Ästhetisierung zu tappen?
Für Marxt sei die Ästhetisierung wichtig, um die „Uncanniness“ des Ortes zu zeigen. Er wolle damit die Prozesse herausarbeiten und diese Formensprache über die Landschaft weiterdenken. Wie zum Beispiel nach der Ernte die Produkte in Supermärkten weiter ästhetisiert und angepriesen werden. Das Gespräch endet dann etwas abrupt und dem Zeitmangel geschuldet mit Buchhorsts bildhaften Worten, die, wie ich finde, ex post auch als Untertitel für die Diskussion gepasst hätten: „Die Fallen unserer eigenen Wahrnehmung“.
Vivian Buchhorn, Lukas Marxt, Daniel Kötter v.l. Foto: Maria Kotylevskaja