Film

Arrival Points
von Rheim Alkadhi
LB/GR/DE 2021 | 40 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 45

Diskussion
Podium: Rheim Alkadhi
Moderation: Alejandro Bachmann
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Das Majnoon-Ölfeld im Südirak, der zerstörte Hafen von Beirut und die Küste von Lesbos: Bezugspunkte auf einer Linie, die unweigerlich in das Geflüchtetenlager Moria führt. Im Gehen und Verweilen registriert die Super-8-Kamera Spuren von Kapitalismus, Flucht und vorübergehendem Ankommen. Objekte des Überlebens und Markierungen von Differenz ragen aus dem grobkörnigen Bild hervor, geben Zeugnis und interagieren mit einem Text voller Dringlichkeit und Poesie.

Protokoll

Der in dreizehn Kapiteln erzählte Film „Arrival Points“ beginnt auf einem Ölfeld im Irak, reist weiter in das von einer Gasexplosion gebeutelte Beirut und erzählt entlang der Geflüchteten-Route nach Lesbos von einer Überfahrt von Nicht-Europa nach Europa. Dabei arbeitet der Film mit einer Überforderung durch Text und visuellen Details, um für die Überforderung selbst eine Sprache zu finden. Moderator Alejandro Bachmann beginnt das Gespräch im Diskussionssaal mit dem Eröffnungssatz im Film, der sich auf Rheim Alkadhi als Person und ebenso auf sie als Künstlerin bezieht. Er merkt weiter an, daß sich der Film für ihn wie ein Notizbuch anfühlt und fragt, wie sie dieses Verhältnis zwischen Bildern und Texten geprägt hat. Für Bachmann sieht die Beziehung zwischen Text und Bildern nach zwei Schritten aus: zu sehen, was Alkadhi sieht, um dann in einem zweiten Schritt zu reflektieren, was diese Bilder für sie bewirken.

Alkadhi findet – in mehreren Frage-Antwort-Runden erörternd – Selbstreflexivität zeige sich in dem „Bemühen, eine Methodik zu beschreiben, wie kann man darüber sprechen?“ Der Kern von „Arrival Points“ bestehe darin, diese Momente des Aufbegehrens oder Aufstehens zu betrachten, den Moment, wenn man den Kopf vom Privaten ins Öffentliche hebt und in ihm aktiv wird. Auffällig sind dazu die Objektbezüge, die Alkadhi im Film auf Lesbos herstellt: Ein Stofffetzen gespannt zwischen zwei Bäumen beschreibt ein Signal für Geflüchtete auf der Insel Lesbos nahe des abgebrannten Lagers Moria. Darunter eine Zitrone, die von ihrem „bitteren Empfang“ beeinflusst am Boden verschimmelt, Seegras auf einem Schwimmkörper, der so aussieht wie das Innere eines Autoreifens, eine Plastikflasche, deren „flüssiges Opak des Urins“ von vielen Stunden auf See zeugt – viele dieser Details dienen als Hinweise auf menschliche Schicksale auf der Flucht und gleichzeitig einer, die nach einer Sprache sucht, um diese zu beschreiben. Die Objektvignetten sind dadurch wie ein Inventar von kurzen, harten Fakten, die Geschwindigkeit des Schnitts zwischen Bild und Voice-Over oft schnell wie in einem Punksong. In einer anderen Szene im Film sehen wir Frauen Kleidung ordnen, für die weitere Verteilung an Geflüchtete. Diese Frauen, so meint Alkadhi später, wollte sie als eine revolutionäre Geste hervorheben. Ihre Strategie sei es, das „Innere des Films zu markieren“ und damit vielleicht etwas zu erfahren, was wir noch nicht gesehen haben.

Bachmann wirft ein, daß es es eine Stelle im Film gibt, an der sie ihre Skepsis gegenüber digitalen Bildern ausdrückt: Warum verwendet sie Super 8? Alkadhi sieht das Format als formales Mittel, um die Grenzen der digitalen Bildproduktionsmaschnine zu überschreiten, um kein neues Material zu kreieren, daß die Polizeimacht sich aneignen könnte. Damit ist der Film auch eine Entgegnung zum Spektakel der „EU-Grenzschutzagentur“ Frontex, die Geflüchteten ihre Habseligkeiten und Mobiltelefone abnimmt, um Bilder von Verbrechen gegen die Menschheit zu vernichten und so durch die Bildhoheit die Kontrolle über das Narrativ der Flucht zu halten. Um mit dem Film zu sprechen: Alkadhi bereitet in „Arrival Points“ bewußt Spuren wieder auf.

Ein Mann meldet sich aus dem Publikum und dachte erst, die Erzählstimme des Films sei sehr roboterhaft, distanziert, dann wieder hatte er das Gefühl, daß sie ihm sehr nahekam. Welche Intimität meint sie, wenn sie sich dem Thema nähert ohne in eine wirkliche Begegnung mit Geflüchteten zu treten? Alkadhi glaubt, „auf europäischem Boden zu landen“ und ihn zu berühren, bedeutet für sie allein schon eine sehr starke Intimität. Für sie gab es eine Spannung, die sie nicht für sich beanspruchen wollte, sondern dafür, daß sich die Dinge selbst definieren. Wenn sie diese Stellen, welche sie sieht, offenbart, bietet sie dem Zuseher das an, was sie selbst sieht, „ihren intimen Blick“. Für sie sei es eine existenzielle Wahrheit der Migration, dieses Über-die-Straße-gehen, das sie hier aus ihrer Mikro-Sicht einfangen wollte. Bachmann konnte diese Idee der Bewegung spüren, als er den Film sah. Dieses nicht in der Lage zu sein, anzuhalten, wegen der Menge an Informationen mit zuvielen Bilder, zuviel Text, es kommt nie zu einer Lösung – all dies bedeutet für ihn die Schönheit des Films. Dieses Hinterherlaufen, das bei gleichzeitig ständiger Entfernung Zu-fassen-suchen.

Dieses Nicht-beschreiben-können stößt aber auch im Publikum auf einige kritische Beobachtungen und Fragen: eine Zuseherin meint sie wäre zuerst verärgert, dann selbst überfordert mit den Bildern gewesen, mit Gefühlen, die sie sich nicht erklären konnte. Bettina Braun fragt, ob es Teil einer bewußten Methode war, den Anfang des Films übermäßig komplex zu machen, inwieweit „der Film für ein spezielles Publikum gemacht“ sei und stellt sich die Frage nach dem „Film im Gegensatz zu einer Installation oder zur bildenden Kunst“. Alkadhi antwortet hierzu nur recht knapp, daß sie sich freuen würde, wenn sich jemand mit ihr in den „Wahnsinn der kapitalistischen patriarchalen Abstraktion“ begibt.

Ich wundere mich, warum diese Vergleiche immer zwischen Kino und bildender Kunst als umkämpfte verwandte Arenen, jedoch nicht mit anderen Kunstsparten wie zum Beispiel der Musik gezogen werden, die ich hier eher sehe: Der Film arbeitet mit Rhythmus, Anschwellen von Stimme, komprimierter Zeit, der Schnitt ist erst kontemplativer, dann schneller, dann wieder gleichmäßiger und bei seinen 13 Kapiteln plus Koda in 40 Minuten hätte er übertragen auf ein Musikalbum eine ungefähre Durchschnittzeit von 3 Minuten pro Track.

Aber zurück zum Auditorium. Till Brockmann ist die Verwendung der Super-8-Kamera, als würde sie sich in die Lage von Migranten versetzen wollen, eine Realität, die sie selbst natürlich nicht hat. Er fragt, ob sie da eine Gefahr der dadurch entstehenden Bilder sieht, die man mit Geflüchteten in Verbindung bringen könnte. Alkadhi antwortet, sie selbst sei keine Migrantin, aber sie sei auch Nicht-Europäerin. Sie finde es ganz schön, sich vorzustellen, wie ihr Bild „einen nicht-europäischen Blick reflektiert“. Dann entkommt Brockmann eine Formulierung, die in ihrer geballten Reduktion Rätsel über das vorher Gesagte aufgibt. Er meint, Alkadhi sei in ihrer Position „viel privilegierter als Geflüchtete gewesen“. Alkadhis Antwort deutet in ihrer Position auf dem Podium natürlich die Lösung nur an: Sie war sich ihrer Position als Nicht-Migrantin in diesem Kontext immer bewußt. Doch, daß ihr Leben eben eine Sammlung aus intersektionellen Erfahrungen ist, und von ihren Privilegien als queere, nicht-europäische Frau – woher soll jemand das wissen.

Daß dieser Film sich nicht allein um Geflüchtete, sondern darum, wie man darüber reden kann, dreht, wurde zuvor eingehend behandelt. Dennoch spinnen sich diese Reflexfragen wie ein roter Faden durch die Filmwoche: Die Frage nach der dokumentarischen Ethik beginnt auch dort, wo es heißt, komplexe Biographien zu erkennen und mitzudenken, bzw. böte es sich an, zuerst Fragen entlang des Films selbst zu präzisieren, bevor man, entgegen der Strategie dieses Films, Sprache a priori als abgeschlossen betrachtet.