Synopse
Samstagabend mit vom Wirtschaftswunder ermatteten Eltern vor den Empfängern: Kulenkampff, Alexander und Rosenthal sind so alt wie Papa. Sie bieten neuartige Zerstreuung, kleinbürgerliche Selbstvergewisserung, Therapie für ein Land in Amnesie – das war Spitze! In Versprechern, Unbeholfenheiten, Subtilitäten wiegt die beschwiegene Vergangenheit gleichwohl schwer auf der leichten Unterhaltung und ihren Zuschauern.
Protokoll
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch Massenmedien“, lautet einer der verständlicheren Sätze im Werk von Niklas Luhmann. KULENKAMPFFS SCHUHE – Eröffnungsfilm der 42. Duisburger Filmwoche – ist in vielerlei Hinsicht eine Demonstration dieses Diktums. Eine Demonstration, die jedoch nicht auf der Ebene geradliniger Argumentation verharrt: In einer Assemblage verschiedenster dokumentarischer Materialien montiert Regisseurin Regina Schilling Motive der deutschen Nachkriegs(fernseh)geschichte und ihrer Fernseh-Protagonisten mit der Biographie ihres Vaters, die, wie vieles im Film, weniger als individuelle, denn als Geschichte Pars pro Toto erscheint.
In einem Dokumentarfilm die eigene Familie und damit auch das eigene Selbst zu thematisieren, ja die eigene Innerlichkeit filmisch zu entbergen, scheint ein Wagnis darzustellen, dem die Regisseurin deshalb mit einem, stellvertretend von der Schauspielerin Maria Schrader gesprochenen, Voice-over begegnet. Es sind häufig nur Andeutungen, Wege die vielleicht gewiesen aber nicht abgeschritten werden und Lenkungen des Blicks, die der zugrunde liegende Text initiiert und den Regina Schilling parallel zum Schnitt des Films, in ständiger Auseinandersetzung mit dem Material, erarbeitete. Von Beginn an verdeutlicht uns diese Erzählinstanz, dass das Fernsehen die Vermittlung von Welt – vor allem der großen weiten – übernahm: In Hans-Joachim Kulenkampffs Show „Einer wird gewinnen“ sah Schilling zum erste Mal einen schwarzen Musiker und lernte durch die Darbietung von Chansons ein paar Brocken Französisch; Hans Rosenthal wiederum brachte ihr mit seiner Quizsendung Kopfrechnen und schnelles Denken bei. Zusammen mit Peter Alexander bildeten die Sendungen der Showmaster für Schilling so etwas wie Familienmitglieder – nur aufmerksamer und besser gelaunt.
Es mag vor diesem Deutungshorizont kaum verwundern, dass Schilling die Idee zum Film vor dem Fernseher ereilte: Dort sprach Kulenkampffs Sohn in einem Interview über die Kriegserlebnisse des Vaters und besonders eindrücklich auch über die Amputation der erfrorenen Zehen an der Front. Diese nicht per se ungewöhnliche Information widersprach zunächst aber dem Bild der Regisseurin vom lässigen Moderator Kulenkampff und so sollte das Interview zum Ausgangspunkt einer filmischen Reflexion werden, die vieles zusammen denkt, das bisher kaum zusammen gedacht wurde. In der Rolle eines Drogisten (Horst Tappert) im Film INDUSTRIELANDSCHAFT MIT EINZELHÄNDLER (Egon Monk, 1970) erkennt sie beispielsweise das Leben ihres eigenen Vaters wieder. Auch das beschreibt die Regisseurin als Aha-Erlebnis, machte es ihr doch den Umstand deutlich, dass sich in der Geschichte ihrer Familie auch ein Stück der Geschichte der Bundesrepublik spiegelt.
Sowohl Werner Ružička als auch Sven Ilgner, die die Diskussion gemeinsam moderieren, betonen das Potenzial des Films, Verweisstrukturen zu evozieren; die Zuschauerin und den Zuschauer beständig dazu anzuhalten, zwischen den Sequenzen aber auch zwischen sich und dem Film Bezüge herzustellen, die von ihrer Oberfläche her auf etwas Tieferes verweisen. Auch hierfür scheint der Voice-over-Text bedeutsam, weil er es ermöglicht auf Aspekte zu deuten, die eigentlich erst bei einer intensiveren Beschäftigung mit dem Material augenfällig werden – das leichte Humpeln Kulenkampffs etwa oder die oftmals nur verhuscht ausgesprochenen Andeutungen der Kandidaten. Diese präzise dramaturgische Lenkung des Films wird durch subtile Vorausgriffe gestützt, die eine antizipierende Rezeption ermöglichen.
Für viele Diskutanten bietet der Film ein Identifikationsangebot und reminisziert Teile ihres kollektiven wie individuellen Gedächtnisses. In seinem ganz eigenen Duktus fasst Werner Ružička dieses Vermögen des Films als das Erzeugen einer Lagerfeuerstimmung zusammen. Die dargestellten Situationen, so das beinahe einmütige Urteil, bilden Teile der eigenen (Familien-)Geschichte ab. Auch hier: Schweigen über den Krieg, traumatisierte Väter, die zu viel gearbeitet und noch mehr geraucht haben und der Fernseher, der zum Artefakt einer rituellen Zusammenkunft wurde, die Günther Anders in diesem Sinne einmal als „negativen Familientisch“ beschrieb.
Regina Schilling ist zwar mittlerweile mit den emotionalen und emphatischen Reaktionen, die ihr Film bei den Angehörigen ihrer Generation regelmäßig hervorruft, gut vertraut, war anfangs aber durchaus überrascht davon, schließlich konnte sie bei der Produktion nur ihr eigenes Empfinden als Gradmesser anlegen. Dass ihre subjektiven Erfahrungen und Perspektiven mit denen anderer korrespondieren, war laut eigener Aussage eine Hoffnung – kein Kalkül.
Man kann durchaus die Frage stellen – und Joachim Schätz tut dies im Verlauf der Diskussion –, ob die Eleganz und Geschmeidigkeit des filmischen Arrangements nicht auch kritische Blicke auf den Film einzutrüben vermag. Besonders der Begriff des Traumas könnte in dieser Konstellation verfehlte Lektüreweisen forcieren. Das Verhalten der Fernsehmoderatoren zeugt ja weder von einer im Unterbewusstsein induzierten Übererregung noch agieren diese in ihren Auftritten etwas Verdrängtes aus, sondern sind sich durchaus bewusst, was sie wie sagen können. Sie sprechen über den Krieg in humorvollen Ellipsen; auf eine Art und Weise, die gerade nicht weh tut. In ihrer Replik unterstreicht Schilling, dass sie den Traumabegriff nicht als die Erklärungschiffre des Films versteht, erwähnt aber auch – es wirkt paradox, ich weiß – dass Kulenkampff gegen Ende seines Lebens viel geweint habe und nicht schlafen konnte.
Ein anderer Einwand betrifft vielleicht weniger die Konstitution des Films, als die Nachvollziehbarkeit einer Zäsur, die im Film beschrieben wird. Nachdem Schilling Alain Resnais’ NACHT UND NEBEL (NUIT ET BROUILLARD, 1956) gesehen hatte, waren ihr die Fernsehshows plötzlich nicht mehr wichtig, sie wirkten angesichts der dargestellten Gräuel lediglich wie banalste Unterhaltung. Einem Diskutanten erscheint dieser Wechsel – von leidenschaftlichem Fernsehen zu völligem Desinteresse daran – zu rapide. Zwar räumt Schilling eine dramaturgische Verdichtung ein, die andere wesentliche Zäsuren wie die Pubertät ausspart, der Film sei aber tatsächlich ihre erste Begegnung mit dem Holocaust gewesen – eine medial vermittelte Begegnung, möchte man dem hinzufügen.
Neben privaten Super-8-Aufnahmen arbeitet der Film vor allem mit Archivmaterial bekannter Unterhaltungsshows wie „Dalli Dali“ oder „Einer wird gewinnen“. Pepe Danquart ist aus eigener schmerzlicher Erfahrung deshalb an den Kosten für den Erwerb der jeweiligen Rechte interessiert. Schnell wird im Nachgang der Frage eine dringliche dokumentarpolitische Problemlage deutlich: Archivaufnahmen und deren Hüter scheinen Angehörige arkaner Traditionen zu sein, die ihre gut gehüteten Reliquien nur gegen schauererregend hohe Summen verleihen. Obwohl Schilling in der komfortablen Situation war, die hauseigenen Archive des fernsehfinanzierten Films nutzen zu können, macht ein kleines Rechenexempel des Produzenten Thomas Kufus die unhaltbaren Verhältnisse deutlich. Das Bildmaterial von Peter Alexander und Caterina Valente nimmt zwar weniger als fünf Minuten der Filmlaufzeit ein, ein Drittel des Budgets ist jedoch für den Kauf der entsprechenden Rechte verwendet worden, die notabene nur für Deutschland gelten und nach nicht einmal sieben Jahren erneut gezahlt werden müssen, möchte man den Film weiter zeigen dürfen.
Auch Sichtung und Montage des Archivmaterials haben erwartungsgemäß enorme (zeitliche) Ressourcen in Anspruch genommen. Allein die Zeit im Schnittraum war mit über 100 Stunden für eine Fernsehproduktion äußerst üppig bemessen, was wahrscheinlich erneut davon zeugt, dass Schilling unter vergleichsweise privilegierten Bedingungen arbeiten durfte. Die intensive Beschäftigung mit dem Material hat darüber hinaus auch eine spezifische Vertrautheit mit und ein implizites Wissen über die dokumentierten Showmaster befördert. Vielleicht spricht Schilling deshalb über ihre Arbeit mit den Archivaufnahmen in einer für Dreharbeiten mit Schauspielern typischen Terminologie – Kulenkampff, Rosenthal und Alexander wurden für sie zu handhabbaren Protagonisten. Irgendwann wusste Schilling im Voraus, wie der jeweilige Charakter in einer Situation agiert; wann Kulenkampff zum Beispiel einen Witz einstreut oder auf was Rosenthal insbesondere (nicht) reagiert. Die Strahlkraft dieser Protagonisten baut sicher auch auf dem restriktiven Medienangebot, das nicht mit der Medienpluralität von heute vergleichbar scheint. Für Till Brockmann bricht sich deshalb neben der Nostalgie, die er trotz seines Altersrückstandes nachvollziehen kann, auch ein Gefühl der Beklemmung bahn. „Ja, Es war ja auch eine kleine beschränkte Welt in den TV-Shows“, bestätigt ihn die Regisseurin.
Es scheint eine beeindruckende Übereinstimmung hinsichtlich der Szenen mit besonderer Nachwirkung zu geben. In einer dieser Szenen entlarvt der vermeintliche Scherz eines Kandidaten, er könne nicht singen, weil er es von Juden gelernt hätte, vieles von der Künstlichkeit des Fernsehens. Kulenkampff geht über die Situation mit gespielter Empörung hinweg und eskamotiert deren Brisanz mit dem banalen Ausruf: Zensur!
Nicht zuletzt das Schlusswort des Films nistet sich eindringlich in das Rezeptionsgedächtnis – er klingt vom Ende her über den gesamten Film hinweg. Es ist ein Satz aus einer Rede Hitlers, der im ursprünglichen Kontext euphorisch von der Konfektionierung der deutschen Jugend kündet; vor dem Hintergrund des Films aber zur bitteren Erkenntnis der Nachkriegsgeschichte wird: „Und sie werden nicht mehr frei, ihres ganzes Leben.“
Es gibt schlussendlich durchaus Aspekte der Welt, die man außerhalb von Massenmedien alltäglich erfährt. Der unverhohlene Sexismus eines Kulenkampff – für den eine Sendung schon dann äußerst vielversprechend scheint, sobald junge Frauen diese als Staffage zieren – ist auch heute noch omnipräsent; die Versprechung der Reklame, die ein gelungenes Leben als Feier von Konsum inszeniert und dafür den Preis der Selbstausbeutung verlangt, hat sicher ebenso wenig an Valenz verloren; und auch die in der heutigen Zeit noch offen zu Tage liegenden patriarchalen und diskriminierenden Strukturen sind kaum aufgeweicht. Auch solche Verknüpfungen stünden den Rezipienten des Films offen, erhalten jedoch in der Diskussion keine Aufmerksamkeit oder verhallen an der Watte der Identifikation.
© Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald