Film

Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern
von Ulrike Pfeiffer
DE 2017 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
07.11.2017

Diskussion
Podium: Ulrike Pfeiffer, Gerd Haag (Produzent)
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Theresa Münnich

Synopse

Alchimist der optischen Medien, Historiker des Kinos, Blicküberlister: Experimentalfilmer Werner Nekes prägte die Filmgeschichte mit seinem Œuvre und machte sie technisch erlebbar in seiner großen Sammlung optischer Apparaturen. Künstler wie Sammler einen die kindliche Faszination, durch Kunstfertigkeit Wunder – Filmwirklichkeit – zu schaffen.

Protokoll

Die Gemeinsamkeit vieler Filme der diesjährigen Duisburger Filmwoche sei das Thema der Behausung, des Habitats, also eines Ortes, wo sich Heimat entwickle, stellt Sven Ilgner zu Beginn der Gesprächsrunde fest. So sei es auch beim Film WERNER NEKES – DAS LEBEN ZWISCHEN DEN BILDERN, denn darin würde es sowohl um das Haus als auch um die private Sammlung Werner Nekes gehen. Er fügt hinzu, dass auch die Frau des verstorbenen Künstlers, Ursula Richert-Nekes im Publikum zu Gast sei.

Der beste Ort um mit Werner Nekes ins Gespräch zu kommen

Die erste Frage richtet sich an die Regisseurin Ulrike Pfeiffer, wo die im Film zu sehenden Gespräche mir Werner Nekes am besten zu führen gewesen seien. Dies sei vor allem die Sammlung Nekes in Mühlheim. Einige andere Orte waren allerdings nicht freiwillig gewählt, da u. a. mit Helmut Herbst kein direktes Treffen möglich war. Es sei eben nicht möglich gewesen, für alle Freunde und Weggefährten Werner Nekes’ ein Treffen in Mühlheim zu organisieren. Vor allem sollte der Film eine gemeinsame Erinnerung sein.

Das Kindliche

Ulrike Pfeiffer erzählt, dass sie den Protagonisten ihres Films 2005 auf der Ausstellung „Schaulust – Sehmaschinen, optische Theater und andere Spektakel“ im Altonaer Museum kennenlernte. Dort hätte sie fünf Monate jeden Tag lang mit Begeisterung in die Ausstellung gehen können. Aufgrund ihrer Fotografie- und Filmausbildung war ihre Aufgabe, die Ausstellung dokumentarisch zu begleiten. Unter anderem entstand dort so eine Serie zu Kindern und Jugendlichen in der Ausstellung. Sie stellte fest, dass Kinder die optischen Täuschungen oft erstaunlich schnell entschlüsselten. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die oft mit Vorurteilen in die Ausstellung gehen würden. Werner Nekes hätte dazu einmal gesagt, dass Kinder Bilder in ihre Augen fließen lassen würden. Nekes hätte sich seinen kindlichen Blick bewahrt, daher kämen auch die verrückten Ideen für seine eigenen Filme.

Ilgner verweist ebenfalls auf die starke Thematik des Kindlichen im Film als auch im Schaffen des Künstlers. So hätte Helge Schneider im Film treffend gesagt, dass Werner Nekes ein Kind geblieben sei. Ebenso hätte Nekes selbst formuliert, dass der Film selbst noch in den Kinderschuhen stecke.

Die Struktur und der Entstehungszeitraum des Films

Sven Ilgner stellt im Verlauf der Diskussion fest, dass im Film oft Kommentare aus dem Off eingesetzt wurden. Die Struktur in Kapiteln funktioniere seiner Meinung nach sehr gut, obwohl es offenbar in der Entstehung des Films viele spontane Momente gab. Er fragt Ulrike Pfeiffer, wie diese Struktur entstanden ist. Sie entgegnet, dass sie während des Schnitts oft mit separaten Tonaufnahmen gearbeitet habe, in denen Werner Nekes zu Wort kommt. Außerdem habe sie die Gespräche mit den Protagonisten vorbereitet, aber oft auch auf spontane Momente vertraut.

Die nächste Frage zum Zeitraum des Filmes stellt Ilgner dem Produzenten Gerd Haag. Dieser findet die Fragestellung nicht besonders interessant, sondern nimmt lieber Stellung zum eingangs erwähnten Thema des Habitats. Es kämen im Film dafür nämlich genau zwei Orte in Frage: Zum einen der Keller Nekes mitsamt seiner Sammlung historischer optischer Objekte und zum anderen das Haus in Schweden, wo auch viele Filme von Werner Nekes entstanden sind. Somit erhalte der Film eine klare Struktur durch die Ortswechsel. Es beginne mit Schweden, danach Mühlheim und zum Schluss wieder Schweden. Zum Produktionszeitraum gibt Gerd Haag an, dass der Film drei Jahre in Anspruch genommen habe und dass vor allem die Finanzierung des Projektes schwierig gewesen sei. Da viele Leute Werner Nekes allerdings kennen würden, wollten sie mit diesem Film dem Werk Nekes einen Abschluss geben. Er selbst hätte so auch Lust bekommen, sich mit dem Leben und Werk des Künstlers zu beschäftigen, denn anfangs konnte er damit zunächst nichts anfangen. Durch den Film konnte er schließlich die Welt des Werner Nekes immer besser entschlüsseln.

Ilgner spricht daraufhin Nekes’ Film MAKIMONO (1974) an, der in Pfeiffers Film über den Künstler in Ausschnitten zu sehen war. Er bezeichnet das verwendete Stilmittel als eine gewagte Annäherung und fragt sich weiter, ob es im Film weitere unentdeckte Elemente der Wiederholung gäbe. Pfeiffer antwortet darauf, dass der Moment des Nachdrehs eines Filmes von Nekes in Schweden die einzige Situation sei. Sie habe es spannend gefunden auf den hohen Berg zu steigen, um dann anhand des Kamerastandpunktes nachzuvollziehen wie MAKIMONO dort entstand.

Die Melancholie

Zunächst bedankt sich ein Zuschauer für den Film und stellt dann fest, dass er selbst zu jung sei um sich wirklich mit Werner Nekes auszukennen. Das sei für ihn auch das Wesentlich am Film, dass er das Werk des Künstlers zugänglich mache. Der Film habe bei ihm vor allem Melancholie ausgelöst. Für ihn sei nämlich die Freiheit zu experimentieren, so wie er es beim Protagonisten gesehen habe, heute vorbei. Für ihn stelle sich die Aussage „der Film steckt noch in den Kinderschuhen“ (Nekes) heutzutage als schwieriger heraus, da die visuelle Welt viel komplexer geworden sei. Aber Nekes schaffe Bilder und das sei für ihn das Wesen des Kinos. Für diesen Kommentar erhielt er Applaus aus dem Publikum.

Ilgner schließt daraufhin an die Melancholie an und fragt, ob es sich bei diesem Film möglicherweise um einen Nachruf auf den Protagonisten handele. Pfeiffer antwortet, dass der Film nicht so angelegt sei und auch keinesfalls so geplant gewesen war. Aber auch sie stimmt zu, dass der Film eine gewisse Melancholie in sich trage, die ihrer Meinung nach vor allem durch die ruhige Sprechweise und den melancholischen Tonfall Nekes’ zustande komme.

Haag fügt hinzu, dass der Film über Nekes nicht ins Fernsehen gehöre, sondern vielmehr eine archäologische Arbeit mit einem modernen Kern sei. Werner Nekes habe vor allem Wahrnehmungsprozesse seziert, und das sei für ihn auch das Wesentlich am Film, dass man Zeit zum Kontemplieren erhalte, was für ihn eben auch eine Form der Melancholie ausmache. Diese Art der Melancholie beziehe sich allerdings nicht auf Nekes selbst, sondern sei eher ein nostalgisches Gefühl, weil man sich beim Sehen des Films fragen würde, wo die Diskussionen heute bleiben würden, die es während der Zeit Films in Hamburg gegeben habe. Dort sei nämlich innerhalb von drei Tagen ein Film gedreht, sofort entwickelt und gleich diskutiert wurden. Aber gleichzeitig mache ihm eine neue Generation von Künstlern in Kassel, Münster und Venedig, die neue Kraft in den künstlerischen Diskurs bringe, wieder Mut gegen die Melancholie.

Das Persönliche

Dank anekdotischer Erzählungen, die mit Archivmaterial unterfüttert seien, habe man laut Ilgner einen guten Eindruck von der Arbeit des Protagonisten erhalten. Dennoch werde der Film nie persönlich. Er fragt die Regisseurin, ob diese Distanz durch die Gespräche mit Nekes zustande kam oder ob seine Arbeit an sich schon persönlich sei. Pfeiffer antwortet darauf, dass es ihr darum ging, die Idee des Künstlers zu vermitteln und sie deshalb keinen persönlichen Aspekt in den Film aufnehmen wollte. Die Intention ihrer Arbeit sei gewesen, die kinematographische Sammlung zu bewahren und Werner Nekes als Aufklärer darzustellen. Er selbst habe sich nämlich dafür eingesetzt, an Schulen einen visuellen Unterricht einzuführen, um Kinder vor der Bilderflut zu schützen. Allerdings sei diese Initiative an der geringen Resonanz vonseiten der Eltern und Lehrer gescheitert. Ilgner geht daraufhin ebenfalls auf die im Film zu sehenden Kinder ein und spielt auf eine Szene an, in welcher der Protagonist seinem Enkelsohn mit Fachbegriffen einen visuellen Effekt erklärt, der in einem Buch dargestellt ist und der Junge daraufhin nur entgegnet, dass dies ja genau wie mit einem Zerrspiegel funktioniere. Für Ilgner sei in den Szenen mit den Kindern diese Neugier besonders spürbar gewesen. Er verweist weiterhin auf eine Szene, in der man den Künstler beim Arbeiten beobachten könne und daraufhin im Film ein Teil der Arbeit zu sehen ist. Pfeiffer fügt hinzu, dass man nur den ersten Teil der Idee im Film sehe, weil die gezeigte Arbeit Nekes’ nie beendet wurde. Eigentlich sei der Plan gewesen, im Film zu zeigen, wie Nekes eine Arbeit beende, und dann das Ergebnis zu sehen.

Experimental- oder Dokumentarfilm?

Die nächste Wortmeldung aus dem Publikum zeigt die Frage auf, ob die Filme des Künstlers Nekes nicht nur Experimentalfilme seien, sondern streng genommen vielleicht auch Dokumentarfilme. Pfeiffer entgegnet, dass in den Filmen des Protagonisten immer auch dokumentarische Elemente enthalten seien. Zum einen seien die Filme teilweise im familiären Umfeld entstanden und zum anderen seien sie die Umsetzung der kinematographischen Theorie, die Nekes aufgestellt hatte (das „Kine“ als kleinste Einheit im Film; der Moment zwischen zwei Bildern). Daraufhin meldet sich die Frau des verstorbenen Künstlers zu Wort und weist explizit darauf hin, dass ihr Mann seine Filme als Experimentalfilme verstanden haben wollte und dass es sich dabei nicht um eine Dokumentation der Familie handele. Sie verweist dabei auf die Filmreihe MEDIA MAGICA. Im Zuschauerraum entwickelt sich eine Diskussion darüber, dass mit dieser Anmerkung die Unterscheidung zwischen Dokumentar- und Experimentalfilm grundsätzlich in Frage gestellt werden sollte. Schließlich dokumentiere Nekes in seinen Werken Visuelles, was ja auch eine Form des Dokumentarischen sei. Ursula Richert-Nekes weist nochmals daraufhin, dass das Werk Nekes eindeutig als Kunst zu verstehen sei.

Die Weggefährten

Eine weitere Anmerkung aus dem Plenum richtet sich an die Regie. Der Film sei eine Arbeit über den Filmemacher Nekes, aber trotzdem kämen auch andere Protagonisten zu Wort. Dies könne teilweise als etwas Erklärendes und Lehrhaftes verstanden werden. Ulrike Pfeiffer verweist als Antwort auf das Treffen Nekes’ mit Alexander Kluge. Die beiden hätten sich bereits 2000 zu einem Interview getroffen, wobei die Kommentare Kluges immer aus dem Off kamen. Dies sei dieses Mal anders gewesen, da beide Gesprächspartner im Bild zu sehen seien, weil sie sich noch von früher kennen würden. Der folgende Kommentar einer Zuschauerin stellt die Frage nach der Protagonistin Dore O., die im Film zwar erwähnt wird und zu sehen ist, aber selbst nicht zu Wort kommen würde. Pfeiffer erklärt, dass Nekes und Dore O. viel zusammengearbeitet hätten, sie aber nicht über ihn sprechen wollte. Die Künstlerin hätte nach der Trennung von dem Protagonisten weiter allein Filme gemacht und sich dann der Objektkunst zugewendet. Der Grund ihrer Absage sei gewesen, dass sie nicht über Werner Nekes identifiziert, sondern als eigenständige Künstlerin wahrgenommen werden wolle.

Lernt wieder sehen!

Zum Schluss erkundigt sich Ilgner nach den Reaktionen auf den Film und fragt, ob der Film auch als eine Auferstehung der Toten begriffen werden kann (die Auferstehung der Toten wird im Film selbst thematisiert). Gerd Haag verweist nochmals auf die vorher besprochene Melancholie und sieht den Film vor allem als eine Hommage an den Künstler und Filmemacher Werner Nekes. Ulrike Pfeiffer fügt hinzu, dass für sie die Neugier in der von ihr begleiteten Ausstellung etwas Besonderes gewesen sei, und diese positive Neugier auf den Filmemacher und Sammler solle man auch aus dem Film mitnehmen. Leider gebe es für diesen Zweck noch kein Museum oder eine dauerhafte Ausstellung der Mediengeschichte. Ursula Richert-Nekes bemerkt aus dem Publikum, dass dies auch das große Ziel ihres Mannes gewesen sei. Momentan liefen zwei Ausstellungen, die das Werk des Künstlers lebendig halten würden: im diorama in Frankfurt und die Ausstellung „Never ending stories – der Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kunstgeschichte“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Sie verweist darauf, dass Filme ausleihbar und als DVD käuflich erwerbbar seien und dass sie jederzeit bereit sei die Sammlung ihres Mannes zu zeigen. Auch der Produzent meldet sich nochmals zu Wort und führt ein Zitat des Künstlers an. Am Ende einer Ausstellung habe nämlich statt der Worte „Auf Wiedersehen“ der Ausspruch „Lernt wieder sehen“ gestanden. Dafür sei der Film vielleicht auch eine Hilfe, nämlich wieder sehen zu lernen. Sven Ilgner schließt daraufhin die Diskussion mit den Worten Werner Nekes’.