Film

Le beau danger
von René Frölke
DE 2014 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
04.11.2014

Diskussion
Podium: René Frölke
Moderation: Jessica Manstetten
Protokoll: Sarah Ben Hardouze

Synopse

Weiße Schatten auf Schwarzem Grund. Schwarze Worte auf Weiß. Eine Collage aus Fragmenten. Norman Manea: Rumänischer Schriftsteller, KZ-Überlebender. Beobachtet und begleitet. Daheim, auf Reisen, Vorstellungen und Lehre. Raum und Zeit für eine biographische Textur. 

Protokoll

Macht es Sinn ein Filmportrait über einen Autor zu machen, der ohnehin autobiografisch schreibt, der über sich schon alles gesagt hat und zwar besser als ein Anderer es könnte? Diese Frage stand für René Frölke am Anfang seiner filmischen Auseinandersetzung mit dem rumänischen Autor und KZ-Überlenden Norman Manea. Sie ist es auch, die dem Film seine experimentelle Form gibt. Frölke stieß zufällig zu einem Filmprojekt eines anderen Filmemachers über Manea dazu. Er sollte sich zunächst als Kameramann beteiligen. Während der Vorbereitung vertiefte er sich in das literarische Werk des Autors und übernahm das Projekt schließlich selbst als Regisseur.

Wenn man einen Autor begreifen wolle, müsse man ihn lesen, sagt Frölke. Deswegen steht Maneas Werk als Text im Zentrum seines Filmes. Auf Texttafeln vor weißem Hintergrund begegnet der Zuschauer Fragmenten des Romans ‚Der schwarze Briefumschlag‘ sowie einer Kurzgeschichte Maneas, zu der Frölke einen besonderen Zugang gefunden hat. In ihr gehe es um vier Personen, die in ein komplexes Beziehungsnetz verwoben seien und im Wald ihren Leidenschaften folgten, fasst der Regisseur zusammen. Auch beim Drehen habe sich immer wieder Wald ergeben. Ein botanischer Garten in Buenos Aires, die alten Buchen an Maneas Wohnort in Upstate New York. Der Film zeigt Manea daheim und auf Reisen. Die Bilder unterbrechen den Text und anders herum.

In Gesprächsrunden und Interviewsituationen, wie etwa auf Buchmessen, erhält die öffentliche Person Norman Manea Eintritt in den Film. Immer wieder wird er als KZ- Überlebender vorgestellt, als Exilant. Diese markanten Eckpunkte der Biografie des Autors erzählt der Film so nur indirekt über die Beobachtung dieser Situationen. Er habe sehen wollen, wie Maneas Lebensgeschichte im Kontext der Buchmessen wiedergegeben werde und mit welcher Erwartung man dem Autor dort begegnen würde, sagt Frölke. Der auf diesen Veranstaltungen inflationär verwendete Begriff Exil käme so in Maneas Werk gar nicht vor. Das Ritual mit dem Manea vorgestellt werde und die damit zusammenhängende Vereinfachung der eigentlich viel komplexeren Biografie des Autors, habe ihn besonders interessiert.

Jessica Manstetten verweist auf die Distanz, die zwischen dem Filmemacher und seinem Protagonist herrscht. Sie beschreibt eine Szene im Film, in der diese Beziehung sichtbar wird. Manea dreht sich zu Frölke und seiner Kamera und fragt ihn, ob es ihm gut gehe. Dann wendet er sich wieder ab und spricht von ihm im weiteren nur noch in der dritten Person. Die Distanz habe sich zum Einen aus dem Altersunterschied ergeben und zum Anderen daraus, dass hier zwei Menschen in einer Fremdsprache kommunizierten, erklärt Frölke.

Auf eine längere Textsequenz folgt in der Mitte des Films eine Episode auf einem Friedhof in der Ukraine, an dem Ort an den Manea und seine Familie deportiert wurden. Auf den jüdischen Grabsteinen lassen sich die deutschklingenden Namen der Toten lesen. Sie erzählten von einer Assimilation, sagt Frölke. Die Reihung der Grabsteine wiederum multipliziere die fiktionalen Schicksale der vier Protagonisten aus Maneas literarischem Text. Hinter jedem Namen verberge sich eine unbekannte Geschichte, die in Wechselwirkung zu der großen Erzählungen des Holocaust stünde. In einer weiteren Szene besucht Manea den Friedhof, auf dem seine Mutter begraben liegt. Auch diese Episode lebt von der Distanz zum Protagonisten. Manea wird mit Abstand gefilmt, auch der Ton bleibt draußen, nur so habe diese intime Situation für den Film funktioniert, erläutert Frölke.

Manstetten geht auf die Gestaltung des Tons ein, in der mit Überblendungen und Brüchen gearbeitet wird. Frölke erläutert, dass alle Elemente im Film gleichberechtigt sein sollten. Der Ton diene als Verbindungselement. Er habe einen innovativen Umgang mit ihm gesucht, in dem die eigene Form immer wieder aufgebrochen werden sollte. Auch die Dialoge seien neben dem literarischen Text wichtig gewesen. In der französischen Version des Filmes wurde das Wort Holocaust in den Untertiteln vom Übersetzer durch das Wort Shoa ersetzt, was politisch und historisch korrekt sei. Man höre aber, das in der Originalsprache das Wort Holocaust verwendet werde. Dadurch würde die Differenz unterschiedlicher Sprachsysteme hervorgehoben. Dies seien interessante Unfälle, die Unvorhergesehenes während des Transfers von Inhalten zwischen verschiedenen Sprachen hervorbrächten.

Das Publikum beschäftigt vor allem die Verwendung des literarischen Texts im Film. Frölke erklärt, dass ihm die Idee den Text etwa von einem Sprecher lesen zu lassen inkonsequent erschienen sei. Beim Selbstlesen entstehe eine Erzählerstimme im Kopf, die man nicht simulieren könne. Die Begegnung mit dem Text im Bild führe außerdem zu einer direkteren Auseinandersetzung mit dem Werk und der Person Maneas. Auch erübrige sich so die Frage, welche Bilder über dem gelesenen Text liegen sollen. Die Verwendung der Texttafeln, sei somit auch die einfachste Lösung gewesen. Ein Zuschauer stellt dies in Frage. Der Rhythmus des Filmes konkurriere mit dem Rhythmus des Textes, was ein Mitlesen mitunter schwer gemacht habe. Es gebe natürlich keine optimale Lösung, antwortet Frölke. Auch eine Buchseite sei schließlich nur ein Kompromiss und habe ebenfalls ihre Begrenzungen. Frölke erklärt, dass er die Länge der verwendeten Textpassagen nach ihrer Einheit als Gedanke bestimmt habe. Abstrakte Stellen habe er länger stehen lassen, um ein mehrfaches Lesen zu ermöglichen, wohingegen Stellen, die handlungslastiger seien, schneller abliefen, um den Fluss der Erzählung nicht zu blockieren. Die Reaktionen auf den Text im Film seien übrigens bei jeder Sichtung sehr unterschiedlich gewesen.

Auch dem Vorschlag den Text vom Autor selbst auf rumänisch lesen zu lassen, um das Rumänische im Film erfahrbar zu machen, kann Frölke nichts abgewinnen. Lesungen von Autoren fände er oft schlecht. Die Kurzgeschichte habe Manea vor dreißig Jahren geschrieben, somit sei nicht gesagt, dass er diesem Werk heute noch nahesteht. Man könne also nicht davon ausgehen, dass diese Methode dem Text automatisch mehr Authentizität verliehen hätte. Darüber hinaus sei die rumänische Sprache an anderen Stellen im Film enthalten, wodurch die Diskrepanz zwischen Originalsprache und Übersetzung bereits thematisiert werde.

Eine Zuschauerin fragt danach, inwiefern der Umgang mit dem Text überhaupt filmisch sei. Diese Frage müsse sich jeder selbst beantworten, sagt Frölke. Auf der Berlinale habe jemand die Filmvorführung verlassen, mit den Worten, dass dies gar kein Film sei. Ihm selbst sei es darum gegangen eine Synthese zweier unterschiedlicher Elemente zu erzeugen. So etwas könne funktionieren oder eben nicht. Der Film finde auch keine abgeschlossene Form, aber das sei auch nicht der Anspruch gewesen. Wie filmisch seine Gestaltung sei interessieren ihn jedenfalls nicht.

Werner Ružička erklärt, dass ihm der Mut imponiere, keine Bilder für das Erzählte zu finden und sich von klassischen Methoden des Potraitfilms zu distanzieren. Frölke beschreibt daraufhin, wie ihn das Beobachten der konventionellen Interviews, wie sie auf den Buchmessen mit Manea geführt wurden, frustriert habe. Er habe schließlich festgestellt, dass man die Erinnerungsarbeit in diesen Gesprächen auch als eine Form des Vergessens sehen könne. Die Erinnerung werde in Fiktion umgearbeitet und es gelänge so, sich von den Schrecken der Vergangenheit zu distanzieren.

Frölke beschreibt seine Perspektive der filmischen Erzählung als extrem subjektiv. Das erste Textfragment im Film sei auch schon die Prämisse: ‚Nein, die Realität ist nicht die letzte Wahrheit‘. Das was man für Wirklichkeit halte, könne jeder Zeit negiert werden. Es gebe lediglich Splitter, die man selbst zusammenfügen müsse. Realität und Wirklichkeit gebe es somit auch nicht im Film. Auf den Einwand, dass im Film mehrfach die selben Elemente aus Maneas Geschichte auftauchten – wie er mit neun Jahren aus der Gefangenschaft entlassen wurde und im Alter von fünfzig immigrierte – man aber nicht erfahre auf welche Art sich in der Zwischenzeit seine Transformation zum Schriftsteller vollzogen habe, reagiert Frölke abweisend. Man könne diese vierzig Jahre nicht in hundert Minuten erzählen. Er verstehe auch den Anspruch nicht, eine Person im Film vollständig dekonstruieren zu wollen. Wenn neunzig Prozent des Universums schwarze Materie seien, über die man nichts wisse, warum sollte dies im Leben anders sein, fragt er zurück. Das wichtigste an einem Sieb, zitiert Frölke den Dichter Ringelnatz, seien schließlich die Löcher.