Film

Kern
von Veronika Franz, Severin Fiala
AT 2012 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
08.11.2012

Diskussion
Podium: Veronika Franz, Severin Fiala, Peter Kern (Protagonist)
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Christian Koch

Synopse

„Die einzige Chance für diesen Film ist, dass ich ihn übernehme“. Kern telefoniert, echauffiert sich, spielt mit der Hand des Kameramanns, erzählt Geschichten aus seinem Leben, dreht, kommentiert seine Filme, denkt sich was aus, übernimmt die Regie, singt. Ein „Fuchtelfilm“ über den Filmemacher Peter Kern.

Protokoll

Schon vor dem Start des Films, bei der Begrüßung im Kinosaal, beginnt Peter Kern, die Szene zu beherrschen. Nicht so sehr mit seiner Körperlichkeit, die immer mal wieder Thema des Films und auch der Diskussion wird, sondern mit seinem Gespür für die Situation, den Raum, der sich für ihn zur Bühne öffnet, sobald er sich dem Publikum gegenüber positioniert. Den Raum, seine Bühne, organisiert und reflektiert er über ein komplexes Geflecht aus Scherzen, Anekdoten, sexuellen Anspielungen, gelegentlichen Sottisen und kleinen wie großen Gesten.

Das setzt sich im Saal des Grammatikoff fort. Werner Dütsch, von Anfang an bemüht, die Diskussion in eine filmhistorisch adäquate Form zu bringen, wird schnell mit einem charmanten Sperrfeuer belegt. Die Bonbons auf dem Tisch, der zu niedrige Sessel, alles dient Kern als Munition für sein Strategiespiel, auch diese Diskussion ohne Übergang an das in Frage stehende Gesamtkunstwerk, sein Leben, anzuschließen. Man lernt im Verlauf des Abends, dass nichts, nicht die Wirklichkeit des Abends, die man mit Kern teilt, nicht die Vorbereitungen auf seinen Auftritt bei der Filmwoche, die das ganze Filmwochen-Team wuschig machen, vor dem unbedingten Gestaltungswillen Kerns sicher ist – Erst recht nicht der Film, der ja eigentlich zwei andere Regisseure hat.

Dütsch bringt die Sinnlichkeit des Films ins Spiel, die Fokussierung auf physische Details, das Schneiden des Schnittlauchs, das zärtliche Spiel mit den Händen des Kameramanns, das Ballett der Hände am Ende des Films. Ob diese Schwerpunktsetzung etwas gewesen sei, das sich erst im Nachhinein beim Schneiden ergeben hat? Severin Fiala verneint, es sei ja von Anfang an der Plan gewesen, einen Film zu machen, der für das Publikum auf eine sinnliche Weise erfahrbar werde. Dütsch bleibt beim Sinnlichen, kommt auf die österreichische Küche, will, dass die Regisseure dem deutschen Publikum „Fleischlaberln“ und „Schinkenfleckerln“ näherbringen, was diese widerwillig beginnen, schließlich aber, angestachelt von Kern, verwerfen. Kern: „Schön, dass wir jetzt bei einer Kochsendung angekommen sind, alle wollen schließlich Kochsendungen, das verstehen alle sofort, ein fetter Mann, der ständig isst, das ist so süß, so süß wie die Bonbons hier!“ – Bonbons fliegen ins Publikum – „Das sind ja wahnsinnige Fragen! Bitte stellen Sie andere Fragen, sonst fange ich noch wirklich an zu kochen!“

Der Moderator, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, versucht es mit den Angriffen Kerns auf die Regisseure, die den Film thematisch durchziehen, etwa den vom Anfang, in dem er ihnen vorwirft, sie machten einen „Fuchtelfilm“. Gab es diese grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Vorhaben der Regisseure? Und schon sind wir wieder bei Kern selbst, der den Regisseuren Komplimente macht, ihnen sein unbedingtes Vertrauen ausspricht, die Qualität der Szenen lobt, in denen sich mehrere Ebenen filmischer Darstellung (die Ausschnitte aus seinen Filmen, die er auf dem Fernseher betrachtet, mit ihnen und der Kamera interagiert) zu einem Bild verbinden. Nur die Szenen, in denen die Regisseure ihn „gelegt“ hätten, in denen Sie mit einander getuschelt hätten, heimlich die Kamera hätten weiterlaufenlassen, würden ihn heute ärgern. Auch wenn er das als filmische Strategie natürlich akzeptiere.

Auf diese Weise bleibt Kern auch auf dem Podium in der Rolle des brillianten Geschichtenerzählers, der die Grenze zwischen Fiktion und Dokument je nach Laune durchlöchert, verschiebt oder ausradiert. Am deutlichsten wird dies vielleicht in der in „Kern“ vorkommenden Erzählung von seinem Versäumnis, der Mutter seine Homosexualität eingestanden zu haben, was er dann im Film „Glaube, Liebe, Tod“ von 2011 gegenüber seiner Filmmutter Traute Furthner nachholt. Nicht ohne die Schauspielerin am Set gewissermaßen als Rache für die Selbsterniedrigung übelst zu beschimpfen und bis zur Erschöpfung Szenen wiederholen zu lassen. Und nicht ohne sich vom Publikum im Grammatikoff dafür und für andere Wutausbrüche Absolution erteilen zu lassen. Letztere, gibt er zu verstehen, seien ihm deshalb unangenehm, weil sie beim Zuschauer das Gefühl auslösten, er selbst sei ja eigentlich so eine „Fotze“, da er die „Opfer“ ja nur aus Ärger über die eigene Unzulänglichkeit aufs Übelste beschimpfe. Er hoffe auf die Sensibilität des Publikums, es gebe eine Poesie unter der Gürtellinie, die eben auch ein Mittel künstlerischen Ausdrucks sein kann.

Angesprochen auf die Idee zu der Nacktszene insistiert Kern, dass er selbst auf so eine Idee nie gekommen wäre. Ihn interessiert sehr, wie die Zuschauer sie gesehen hätten, er selbst fühle sich ja nicht so, wie man ihn sieht, er fühle sich leicht wie eine Feder, ganz zart. Aus dem Publikum schlägt ihm einhellige Bewunderung entgegen, ein großes ästhetisches Interesse an den Formen seines Körpers, des „Kolosses von Wien“. Eine Zuschauerin hätte hier gern das Ende des Films gesehen. Die Regisseure hatten indes eher im Sinn, den Bogen der „Inszenierung des Dokumentarischen“ zu Ende zu führen, daher die Sitztanzszene zu „Stand by me“ am Ende, die für Veronika Franz die Schönste des Films ist. Auf die Bemerkung der Regisseurin Pary El-Qalqili, sie habe die Oberfläche des Kernschen Körpers nie durchdringen können, er sei im Film immer überpräsent gewesen, reagieren die Regisseure gereizter als Kern. Der akzeptiert das, versucht aber freundlich die Aufmerksamkeit der Fragerin auf den Zusammenhang zu lenken, in dem die Darstellung seiner Nacktheit gefälligst stehe: die 50 Jahre, in denen er als Künstler aktiv sei und die Kunst, für deren Anerkennung und Sichtbarmachung er diesen Film schließlich gemacht habe.

So wird man den Verdacht nie los, dass Kern den Vertrag, den er vorgeblich mit den Regisseuren über seine Mitwirkung an dem Film geschlossen hat, für sich selbst von vorneherein aufgekündigt hatte – nämlich die Bedingung, alles mitzumachen, wenn er den Film „am Ende“ selbst übernehmen könne. Nicht in einer Sekunde des Films erscheint es so, als habe Kern fremden Regieanweisungen gefolgt. Was Peter Ott auf die Frage bringt, ob die Figur Kern Protagonist des Films oder Objekt der filmischen Ausdruckssuche der Regisseure sei. „Eine sehr gute Frage“, bestätigt Kern und überlässt es den Regisseuren, eine eher ausweichende Antwort zu geben.

Werner Ružička, der den Film auch als seltenes Beispiel für ein gelungenes Künstlerportrait lobt, betont die Untrennbarkeit von Protagonist, Objekt und Regisseur. Kern kenne eben alle filmischen Tricks aus langer Erfahrung, wisse, wie er sich den filmischen Raum erobere. Es mache Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er immer wieder aus der Rolle des Objekts ausbricht und die Szene zu dirigieren beginnt. Für Ružička ist das eine Hommage an die Möglichkeit der Beschreibung von Kunst im Film. Das wäre ein schönes Schlusswort gewesen, das aber bleibt um ein Haar Dütsch überlassen: Immerhin hat er ein Zitat aus Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“ im Gepäck, das er an den melancholischen Grundton anschließt, den er bei Kerns Rückblicken auf die Vergangenheit, die vielen an AIDS verlorenen Freunde, entdeckt: „Man könnte sagen, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.“ Aber Kern reklamiert natürlich doch das letzte Wort, er bedankt sich beim Publikum, es habe ihm Mut gegeben, weiterzumachen. Und auch dies noch, das schwant einem, ist Teil des subversiven Theaterstücks, zu dem Kern diese Diskussion gemacht hat.

 Veronika Franz, Severin Fiala, Peter Kern, Werner Dütsch v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Veronika Franz, Severin Fiala, Peter Kern, Werner Dütsch v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald