Film

X-Mission
von Ursula Biemann
CH 2008 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
06.11.2008

Diskussion
Podium: Ursula Biemann
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Der Videoessay erkundet die Logik des Flüchtlingscamps als einen der ältesten extraterritorialen Räume. Nach internationalem Gesetz stellt das palästinensische Flüchtlingscamp zudem eine Ausnahme innerhalb der Ausnahme dar.

Protokoll

Werner Dütsch möchte dort beginnen, wo der Film aufhört. Mit einem allerletzten zusammengesetzten Bild ohne Sprache. Vorweg ein Film, für den in „aller Welt Dinge zusammengetragen wurden“ (Dütsch). Der kinematographische Raum ist einem imaginären Raum gewichen. Ein Raum, der den der Flüchtlinge repräsentiert. Ein Film in Reflexionsketten, die sich permanent fortsetzten. Dütsch zitiert aus dem Film: „I concentrate on how to make sense of it”.

Ist eine traditionelle Art von Filmemachen (sich Zeit nehmen, sich auf Leute einlassen) noch zureichend um so komplizierte Zusammenhänge wie die eines exterritorialen Volks darzustellen? Braucht es diese extreme und verstörende Form und ist das Kino noch der ideale Raum für diese? Auf dem PC, so Dütsch weiter, könne man den Film anhalten und selber weiter recherchieren.

Duisburg, antwortet Biemann, sei ein wunderbarer Ort um ihren Film zu zeigen. Aber dennoch, ihre Filme werden eher auf DVD multipliziert, auf dem PC angeschaut und als Ressource genutzt, studiert. Mit X-Mission will sich Biemann vom ethnographischen Film absetzten und spricht ihre Interviewpartner deshalb selten auf der direkten Erfahrungsebene an. Nicht Individuen, sondern Systeme interessieren sie. Und die Frage, ob es überhaupt noch möglich sei, etwas neues zum Thema beizusteuern.

„Ihnen ist jedes Material recht“ wendet sich Werner Dütsch an die Filmemacherin. In ihrer Methode kann jede Art von Material sinnvoll werden, die Idee eines reinen Kinos wird unterlaufen. Und dann wieder die Frage, ob eine Methode, die sich auf Einzelheiten konzentriert, noch angemessen ist.

Alle ihre Filme, so Biemann, sind sehr konzentriert und überfrachtet. Ihre Art mit Themen zurecht zu kommen sieht weder eine eingebaute Masternarration noch eine homogene Bilderwelt vor. Dütsch stimmt ihr zu, eine Beziehung zwischen Leuten, die nichts miteinander zu tun haben in Form einer Erzählung darzustellen, wirkt oftmals lächerlich. Für ihn hat das Bild der Palästinenserin, deren Verwandtschaftsverhältnisse anhand einer Grafik dargestellt werden, eine besondere Nachdrücklichkeit. Die Leinwand ist gefüllt mit Personen, einem Soziogramm, das über das Erzählen hinaus geht. Die Palästinenser, so Biemann, sind schon per Definition eine transnationale Gesellschaft und mit der Grafik hat sie genau das sichtbar machen wollen.

Werner Dütsch stellt fest, dass Biemann im Film ihre eigene Perspektive ganz klar von Davos aus einnimmt, das „hier und anderswo“ wird so deutlich. Biemann ist der Bezug zur eigenen Heimat wichtig und die Möglichkeit, von dort aus über die Situation der Palästinenser zu reflektieren.

Pepe Danquart fragt, ob Biemann mit der unterschiedlichen Tonqualität (in den Sequenzen aus der Schweiz surround, ansonsten spärlich von vorne) versucht hat, das Fremde, das weiter weg ist, darzustellen. Da sie teilweise undercover und ohne Mikro drehen musste, antwortet Biemann, war das eine rein technische und keine inhaltliche Überlegung. Die letzte Sequenz des Films, der stimmenlose palästinensische Flüchtling, für den im Voice-Over gesprochen wird, verdeutlicht für Biemann die Sprachlosigkeit, zu der die Flüchtlinge verdammt werden. „Wir sprechen für sie“ (Biemann).

Aus dem Publikum wird gefragt, warum sich Biemann im Gespräch mit einigen der Interviewpartner dann doch für einfache Talking Heads entschieden hat. Sie wollte, antwortet sie, die Experten als Experten ausweisen und sie kategorisieren. Es sprechen der Architekt, die Juristin und der Historiker von ihrer Position aus. So zeigt sich, wie verschiedene Diskurse den Raum definieren.

Werner Dütsch kommt noch einmal auf die Kürze der Interviews und den Zusammenschnitt zu sprechen. Er wundert sich, dass dieser Umgang mit dem Material vom Publikum nicht provozierender empfunden wird. Eine ganz neue, andere und aufregende Form, die vielleicht schon, wie Dütsch sich aufgrund der ausbleibenden Reaktion aus dem Publikum fragt, selbstverständlich geworden ist.

Ein Diskutant fragt nach der verwendeten Musik, die ihm nicht an allen Stellen schlüssig erscheint und die seiner Meinung nach die Absicht des Films verwässert. Biemann erklärt, sie hat etwas „ganz reines“ verwenden wollen, das nichts mit der normalen Art von Footage aus Gaza zu tun hat. Ebenso wenig wollte sie Musik aus dem palästinensischen Kulturkreis verwenden, da sie eine völlig künstliche Situation schaffen wollte.

Die Diskursanalyse des Films wird aus dem Publikum kritisiert: es geht nicht mehr um Themen, sondern nur um Zuordnungen. Fraglos würden die Experten immer aus ihrem Fach heraus argumentieren, so Biemann. X-Mission lief bisher nur als Installation und nach den einzelnen Kapiteln getrennt auf einzelnen Monitoren. Die Kinoprojektion hat sie in Duisburg das erste Mal gesehen und befindet sie als „ziemlich strange.“ „Aber“, so Biemann weiter, „wir werden uns dran gewöhnen müssen.“

Der Film hat einen aufklärerischen Wert, so eine weitere Meinung aus dem Publikum, aber es fehlen hinter Begriffen wie „the refugee“ die Geschichten. Das Bedürfnis mehr zu erfahren wird mit dem Film nicht befriedigt. Der Filmemacherin wird eine geheime Komplizenschaft der Klischeeproduktion mit den Medien vorgeworfen. Dütsch widerspricht: Durch den Film ist mehr als reine Klischees zu erfahren und der Begriff „refugee“ werde in einer Szene auch aufgelöst.

Ein Diskutant kommt auf die Provokation des Dokumentarischen zurück: Arbeiten wie X- Mission zirkulieren schon lange im Kunstbereich und sind dort „state of the art“. Werner Dütsch bezeichnet die Kluft zwischen Videokünstlern und Filmemachern als verhängnisvoll und glaubt, das Filmemacher noch viel von Videokünstlern lernen könnten.

Die Stärke des Films, so ein weiterer Diskutant, liegt darin, Bilder zu finden für etwas, für das es keine Bilder gibt. Namen von Verwandten werden zum Ersatz für ein fehlendes Territorium. Die Palästinenser werden in Beziehungen gedacht, als Networksociety, ergänzt Biemann.

Ein Film, schließt Werner Dütsch, der einen Schub Neuigkeiten und Lektionen gebracht hat.