Film

Heidelberg
von Norman Richter
DE 2008 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
07.11.2008

Diskussion
Podium: Norman Richter
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Das Haus der Großeltern und wie man sich erinnern kann: Aufnahmen der Großmutter, von Zimmern, Gegenständen, dem Garten. Ein Exkurs in die eigene Familiengeschichte.

Protokoll

Mit einem längeren Zitat von Lukas Engel eröffnet Peter Ott die Diskussion. Im Kern steht eine „dritte Realität“, neben der fiktionalen und der dokumentarischen. Eine „Realität der Bezeichnung“? Davon ausgehend stellt Ott die Frage, was der Film mit uns macht. Ein Versuch, sich der Antwort zu nähern ist der Blick auf die Struktur. Die drei Bestandteile des Films. (Weißbild mit Text, Bilder ohne Ton, Szene der Großmutter)

Der Text der Großmutter ist hochkomplex. Es ist Bildbeschreibung ebenso wie Erzählung in der dritten Person. Wenn sie im Plural spricht, scheinen andere Personen im Raum aufzutauchen. Passagen aus dem Buch werden vorgelesen, verfremdet, weiterentwickelt, zu sich selber gebracht. Es ist ein „sehr moderner Text“.

Norman Richters ursprünglicher Plan war, diesen Ort in Heidelberg für ein Projekt basierend auf der Kurzgeschichte „Die Musik des Erich Zann“ von H. P. Lovecraft zu nutzen. Es war die Ausstrahlung dieses Ortes seiner Kindheit. Immer zentraler wurde dann aber sein Bedürfnis, diesen „Zustand“ seiner Großmutter festzuhalten. Er wollte in den belastenden Zustand eingreifen, dass das Krankheitsbild sich seit vier Jahren nicht mehr verändert hat, statisch geblieben ist und der Tod täglich eintreten könnte. Im Abspann heißt es „Zur Erinnerung an…“ Seine Großmutter lebt noch, doch der Film ist eine Art der vorsorglichen Erinnerung.

Peter Ott lobt gerade die reflektierte Art, mit der der Film sich der tief persönlichen Thematik stellt. Für ihn war die serielle Anordnung der Dinge ein Storyboard. Für einen Phantomfilm? Was war die Ordnung der Dinge? Wie ist sie entstanden?

Norman Richter hatte ein Konzept, ein Drehbuch, entwickelt. In seinen Augen war es aber nicht genügend ausgearbeitet, so dass die Bilder doch intuitiver entstanden. Die Erinnerung an seinen Großvater über die Dinge kristallisierte sich heraus. Während der Arbeit am Schnitt, während langer Probierphasen, dogmatischeren Versuchen, die Ordnung zu entwickeln entstand dann die endgültige Version. Einer der Auslöser sei ein Gemälde von Magritte gewesen. Darin vier Kader: eine Hauswand, Ziegelstein, ein Jäger und der Wald. Eine surreale Verknüpfung der Dinge. Ein Einfluss auf den Bildschnitt.

Zwei aufeinander folgende Diskutanten loben den Film für eben diese (surreale?) Ordnung. Die fragmentarische und „absurde Sortierung“ gab einem Teilnehmer die Möglichkeit, seine eigene Ordnung zu finden. Der zweite Diskutant fühlt sich an Besuche bei seiner eigenen Großmutter erinnert. Er spricht vom „gleichen Blick auf die Dinge“, mit denen die Kamera sich diesem Ort nähert.

Die Länge der Einstellungen ist nicht strukturell identisch. An dieser Stelle undogmatisch soll der Film „weitergetrieben“ werden, es ist, so bestätigt Richter ein zweites Mal, eine, nach langem Suchen entstandene, intuitive Montage.

Mit Verweis auf Chris Marker fragt ein Diskutant nach dem Weißbild und stellt fest, dass es kein Schwarzbild ist. Warum? Richter bietet zwei Gründe. Zum einen ist er der Meinung, dass eine weiße Leinwand besser mit Fantasie, Vorstellung und Kopfbildern gefüllt werden kann. Die zweite, hochinteressante Begründung ist, dass die Filmrolle mit jeder Vorführung Kratzer, Spuren und Beschädigungen erfahren wird. Es wird ein Rauschen entstehen. Ebenso wie die Erinnerung und die Situation seiner Großmutter. Ein faszinierender Gedanke.

Der dritte Teil, in dem seine Großmutter spricht, wird diskutiert. Wie war die Entstehung? Richter ließ die Technik entscheiden, er ließ eine 300 Meter lange Filmrolle durch die Kamera laufen. Er meint dennoch, einen Anfang und ein Ende auszumachen. Ein Kreis im Denken seiner Großmutter wird offenbar. Ist der Film, wie ein Diskutant anmerkt, ein ständiges Unterlaufen der kinematographischen Möglichkeiten? Erst fehlt Ton, dann Bild, dann treffen sie sich in der Sprache, sind aber zunächst nicht vereinbar? Nein, für Norman Richter ist es nichts besonderes, den Ton oder das Bild für einen gewissen Zeitraum wegzulassen. Auch das ist Kino!

Die Dinge des Großvaters sind nun Thema im Saal. Warum handelt es sich um so viele solcher männlichen Dinge und wie kommt es zu dem Arrangement, dass Richter sie in seinen Händen präsentiert? Es ist seine Art, den Großvater zu erinnern. Sich diesem „Mannbild“ (Richter) zu nähern. Das geschieht über Waffen, Werkzeuge, Pfeifen. Er hält sie so, wie sein Großvater sie hielt. Er präsentiert sie, er breitet sie auf dem Bett aus, es ist eine „Grabbeigabe“, wie er es nennt. Die Dinge seiner Großmutter tauchen nur sehr viel weniger auf. Einerseits weil der Enkel sie ja noch hat, andererseits entspricht auch das wieder der verschwindenden Erinnerung, ihrem Rauschen. Ihrer Krankheit, ihrem Zustand. Ein Diskutant hält den Film nicht nur für „vorsorglich“, sondern auch für „fürsorglich“. Für ihn besteht die Leistung des Films darin, durch die Struktur den Text der Großmutter am Ende lesbar zu machen. Eine, wenn auch im Grundsatz von Ott abgelehnte „filmische Metapher“ sei die Türszene von Enkel und Großmutter. Zuvor entstand ein Bild des Großvaters auf dem weißen Hintergrund. Der Film bereitet vor, der Text wird lesbar.

Ein Diskutant sieht die Ordnung der Dinge als Stellvertreter, als ethnologische Sammlung, einer Kunstkammer ähnlich. Eine „verrückte Ordnung“, die so auch in einem wissenschaftlichen Zusammenhang aufgereiht sein könnte. Peter Ott weist auf ein Gemälde Albrecht Dürers hin, das dessen Mutter zeigt. Das Gesicht ist plastisch, die Hände sind nur noch Striche, immer unklarer. Auch hier wird das Rauschen und die verschwindende Erinnerung erzählt. Der Film bildet das Denken ab. Die Dinge selber sind Denkfiguren.

Abschließend wird die Sprache der Großmutter noch einmal zum Thema. Ihr „moderner Text“ wird vom Plenum untersucht. Ein Diskutant sieht zum Großteil Poesie darin, gleichzeitig bekommt er den Eindruck, in eine Verarbeitung hineingezogen zu werden. Die Verarbeitung gelingt ihm aber nicht. So entsteht Existentielles. Gegen Ende des Textes heißt es, „er“ hat die Fahrt genossen. Bedeutet das, dass die Großmutter ihren Frieden machte mit dem Tod ihres Mannes?

Norman Richter hat sich selbstverständlich damit beschäftigt. Da sein Großvater im Krankenhaus starb, kann dieses Heimkommen nur auf einer anderen Eben gemeint sein und nicht im eigentlichen Sinne. Seit 1995 leidet die Großmutter an der Demenz. Eventuell spielt auch die Heimkehr des Mannes aus der Kriegsgefangenschaft eine Rolle. Es ist eine Mischung aus Vielem. So wie die Diskussion auch.