Film

Höllentour
von Pepe Danquart, Werner Schweizer
DE 2004 | 123 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
10.11.2004

Diskussion
Podium: Werner Schweizer, Wolfgang Landgraeber (Produzent)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Hier ist das Adrenalin zu Hause und das große Geld: Ein Blick hinter die Kulissen der Tour de France, des härtesten Radrennens der Welt. Unterwegs mit Erik Zabel, Rolf Aldag und Co. vom Team Telekom auf der Jubiläumstour 2003 vom ersten Zeitfahren bis zur Ankunft in Paris. Intime Reflexionen im Hotelzimmer wechseln sich ab mit dem Spektakel am Straßenrand und der Dramatik des Rennverlaufs. Ein Parforceritt um die immer wiederkehrende Frage: Warum tut man sich das jedes Jahr aufs neue an?  

Protokoll

Die Tour de France kennen wir alle. Doch kennen wir sie wirklich?

Jenseits von Erfahrbarkeit, jenseits der allgemein bekannten Fernsehbilder, mit ihren kurzen Abrissen der jeweiligen Etappen und den Resultaten, werden hier dem Zuschauer mit dramatisch wie dramaturgisch hoher Messlatte die Erfahrungen dieses 3-wöchigen Happenings nahe gebracht. Man erlebt eben jene Höllentour, die die Radrennfahrer durchleben: Die lebensgefährlichen Momente bei Talfahrten oder Massenstürzen, totale Erschöpfungszustände, Ängste, Grenzerfahrungen. Die Leistung des Filmes, von Herrn Landgraeber hoch gelobt – dass er dies mit dokumentarischen Mitteln sichtbar macht.

Pepe Danquart wurde von Radsport begeisterten Redakteuren angefragt einen Film zur hundertsten Tour de France im Jahre 2003 zu machen. 2002 begleitete er die Tour ohne Kamera, lernte das Team Telekom kennen, baute Vertrauen auf und eignete sich das Wissen über den gesamten Ablauf und die Machtstrukturen dieses Sportevents an, die jedoch im Film keine Erwähnung finden. (Z.B. erfährt man von Werner Schweizer, dass die Organisatoren der TdF 2003 ihren „Hausfotografen“ erstmals verbieten, auf Celluloid zu fotografieren. Sie setzen das Digitale durch – auf Druck der Sponsoren.) Erst nach diesem Recherchejahr stieg Werner Schweizer in das Projekt ein.

Logik und Commitment, aber auch angestachelter Ehrgeiz treten anstelle von Spekulationen.

Die drei Kamerateams um Danquart und Schweizer nahmen wegen ihrer urtümlichen Super16 Kameras, dem schicken Outfit ihrer bunten „Höllentour“-shirts und ihrem nicht nach Resultaten heischenden Interesse neben den weiteren 2500 Medienleuten eine Sonderstellung ein. Im unglaublichen Rummel der Veranstaltung war ihnen das teilweise sehr behilflich. Durch drei Kameraleute, die sich vorher nicht kannten und im Vornherein auf eine ähnliche Bildsprache getrimmt wurden, gab es ein fruchtbares Konkurrenzverhalten – sie hatten die Auflage täglich eine sensationelle Einstellung, die sie mit Stolz erfüllen sollte, auf Bild zu bannen und dabei nicht mehr als zwanzig Minuten zu drehen.

Es gab ein rasterartiges Drehbuch mit Schwerpunktsetzungen, das nicht darauf angelegt war, einem potentiellen Sieger zu folgen. Während des Drehs kamen sie an ihre Grenzen. Koordination und Improvisation gehörten für drei Wochen zum Drehalltag.

Bis Drehbeginn war unklar, ob sie mit der Kamera im Intimbereich des Rennfahrerbusses zugelassen werden. Pepe Danquarts erworbenes Vertrauen zu den Fahrern, allen voran Erik Zabel, machten es möglich, nach anfänglicher Ablehnung durch den Teamchef. Der Bannkreis war gebrochen.

Körperkult und Männerfreundschaft

Die Reflexionen Zabels über Vertrauen im Team, Durchhaltewillen, Versagensängste und die Bebilderung der Männerfreundschaft, die Dualität einer traditionsreichen Romantik kämpferischer Sportler, stehen im Zentrum des Films. Einen dritten, jungen Fahrer filmten sie, um eine kleine Randgeschichte erzählen zu können, er wurde der Protagonist des verlorenen Traums, Anstrengungen bis zur Erschöpfung, ohne die Ziellinie zu überqueren.

Das Podium feiert den Film

Gerade durch die vielen persönlichen Momente, durch das Mythische der Narration funktioniert der Film. Durch Emotionalität, Leidensgeschichten und Grenzerfahrungen entgleiten die Bilder den herkömmlichen Darstellungen der Tour de France. Das Kammerspiel-artige der Hotelzimmersituationen mit Zabel und Aldag wäre wohl nie zustande gekommen, wenn Jan Ullrich Teil des Teams gewesen wäre. Eine glückliche Fügung.

Finanziell hat sich das Unterfangen gelohnt, die Kinozahlen beweisen dies, eine internationale Auswertung ist geplant. Und der Fernsehfassung, die auf neunzigminütige primetime-Formatlänge gekürzt werden muss, sieht Herr Landgraeber voll Zuversicht entgegen. Will jemand aus dem Publikum mit Kürzungsvorschlägen behilflich sein? Als gäbe es nichts zu kürzen.

Die Tour de France kennen wir alle. Werner Ruzicka enttarnt sich als mitfiebernder Fan

Werner Ruzicka, in Deutschland vorm Fernseher seiner Mutter sitzend, Werner „Swiss“ Schweizer mitten im Renngetümmel, aber ohne aktuellen Stand der Rennzeiten. Ein Anruf, die Situation ist gerettet. Der vorm TV Sitzende schafft Abhilfe. Ironie des Informationszeitalters.

Für eine romantische Ebene über die Informationspolitik zu fernsehlosen Zeiten und die Rennfahrergeschichten der Vergangenheit wurde der Archivar der Sportzeitung L’èquipe als Protagonist in den Film integriert. Er kennt alle Geschichten, ist ein begeisterter Sammler, der an der Tour nie live dabei war – ein reichhaltiger Fundus für einen eigenen Dokumentarfilm.

Erstaunlich ist der Einblick in das Verhalten der am Straßenrand stehenden Fans, die auch den ihre Favoriten gefährdenden Fahrern mit besonderer Fairness und ohne jegliche Hooligans-Manier zujubeln – ein weiterer Fundus für einen Dokumentarfilm.

Die Ästhetik der Bilder

Der Versuch, sich von TV-Features und Sportmagazinen abzuheben, gelingt nicht nur über die persönlichen Geschichten, sondern über das Bildkonzept – starker Zoom, extreme Brennweiten, Sektorenschärfe und ungewöhnliche Einstellungen.

Wenn sie nicht anwesend sein durften, bei der Ankunft der Fahrer im Ziel, half ihnen ein Deal mit der ARD, diese Sequenzen auf DigiBeta zu erhalten, im Austausch mit eigenen Aufnahmen. Natürlich fallen diese Bilder im Verhältnis zu Super16 ästhetisch ab.

Pepe Danquart hätte am Liebsten auf schwarz/weiß gedreht, um der grotesken Farbigkeit der Veranstaltung zu entkommen. Ein unerfüllbarer Wunsch, dem durch eine aufwändige Farbkorrektur Rechnung getragen wurde.

Die Tonspur

Die notwendigen Nachsynchronisierungen der Fahr- und Atemgeräusche etc. ließen großen Spielraum – der Lärm während des Rennens war immens. Sie wurden mit Hilfe einer Rad fahrenden Jugendgruppe produziert.

Eine kritische Stimme aus dem Publikum

Ist eine solch romantische Darstellung mit seinem Hang zum Mythologischen zeitgemäß oder vielleicht doch eher unaktuell? Als ein Thema fällt der Begriff Doping. Nein, die „Zeitlosigkeit“, das Romantische, nicht eine Unaktualität, waren konzipiert. Hätte man den Film nach einem Sieger ausgerichtet, wäre er vielleicht tatsächlich in zwei Jahren veraltet.

Es liegt im Ermessen des Filmemachers, worauf er sich beziehen will.

Im Drehbuch existierte der Aspekt Doping. Danquart und Schweizer war es jedoch viel wichtiger, nahe bei den Protagonisten zu bleiben, und nicht mitten im Wettkampf mit journalistischem Drive und kritischen Fragen eine Abwehrhaltung zu riskieren. Gerade 2003 wurde keiner beim Doping erwischt.! Durch Körper, Gesichter mit aufgerissenen Augen, hält Ruzicka entgegen, kann man das Thema als Subtext abgedeckt sehen. Man müsse dem Film nicht auferlegen, dies aufzudecken. Duisburg hat eine Phase der Höflichkeit. Deshalb wird auch das gerne kritisch beäugte Thema der Verwendung von Musik höflich ausgelassen.