Film

Ray D’Addario
von Rainer Holzemer
DE 1993 | 44 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
10.11.1994

Diskussion
Podium: Rainer Holzemer
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Ein Film bebildert die Bilder eines Photographen, welche das Bild vom nationalsozialistischen Bild als vertauschtes Schwarzweiß-Positiv von fernher, um eine polychrome Facette bereichern. Und somit darf sich auch die Diskussion in ein Bild allgemeiner Harmonie ergießen.

Klaus Kreimeier eröffnet die Diskussion, indem er die allseits bekannte Version des nationalsozialistischen Bildes, die propagandistische Körnung des Wochenschaubildes in seiner sinistren Faszination, kontrastiv absetzt gegen die wirklichkeitsnahen und lebendigen Photographien des im Film porträtierten Ray d’Addario. Die Entstehungsgeschichte des Films, vom Autor im folgenden vorgetragen, läßt sich denn auch recht simpel auf die Faszination am Bild gründen. Im Fokus des Interesses stehen die in Deutschland bisher unveröffentlichten Bilder, die Ray d’Addario Ende 1945 auf dem Nürnberger Prozess machte sowie eine aus relativ wahllos und zufällig versammelten Photographien zusammengeschnittene 16mm Filmrolle. Im Bannkreis dieser Bilder entsteht beim Autor der Wunsch, den Photographen persönlich kennenzulernen. Im Jahre 1992 lädt Rainer Holzeimer Ray d’Addario nach Nürnberg ein. Die Beschwörung des Bildes initiiert eine Übertragung in eine weitere Bildserie: der Dokumentarfilm „Ray d’Addario“ wird innerhalb einer Woche gedreht.

Ikonoklastische Affekte können innerhalb dieses Hallraums umeinander gravitierender photographischer, kinematographischer und mentaler Bilder innerhalb der Diskussion keinen Raum finden. Dennoch kann die Diskussion nicht ganz in auratischer Bildbewunderung versinken, ohne der mit dem Thema des Films verbundenen politischen Brisanz die ihr zustehende geschichtsbewußte Abgabe zu leisten.

Eine allzu leichtgeschürzte Übernahme der Optik d’Addarios, der zur Zeit der Nürnberger Prozesse ein 25jähriger GI war, der sich der nationalsozialistischen Problematik nicht über den Rahmen einer amerikanischen Tageszeitung hinaus nähern konnte, sei nicht ungefährlich. Wenn sich die Jovialität eines American Way of Life mit jugendlicher Unbedarftheit verkopple, sei das Resultat nicht weiter verwundlerich, daß aus der Perhorreszenz des nationalsozialistischen Verbrechers als personifizierte Satanie eher die Bestaunung einer suggestiven Persönlichkeit werde. ln diesem Sinne moniert Thomas Rothschild eine zu unreflektierte Einstellung des Regisseurs seinem Protogonisten gegenüber. Der Publikumstenor schließt sich dem weitgehend an. Eine dezidierte Kommentierung der Bilder müsse jenen die notwendige Gravität zurückerstatten. Der Regisseur pariert diese Kritik mit einem bei bestem Willen nicht mehr als originell zu etikettierenden Hinweis auf die Polarität von telling und showing. Vor die methodische Wahl zwischen perspektivierender Darstellung und kommentarloser Ablichtung gestellt, optiert er für die letztere. Denn das Grauen deklamiert sich ohne auktoriale Einweisung mit weitaus effektiverer Wirkkraft. ln diesen Zusammenhqng stellt der Regisseur seine Integration schonungsloser Leichenbilder in den Film. Daß die Absenz jedes richtungsweisenden Über-lchs die cerebrale Agilität des Zuschauers ja erst ankurbelt, daß dagegen die Solidarisierung mit dem Opfer die klassische Matrix des Dokumentarfilms und mithin ein filmtechnischer Atavismus ist, oll das macht nicht unbedingt den innovativen Charme der Duisburger Filmwoche 1994 aus.

Erst in differenzierter Form wird jene These, die den Filmzuschauer aus dem neutralen Bild einen größeren didaktischen Nutzen destillieren läßt, interessanter. Joachim Klinger nämlich konkretisiert sie am debattierten Film, indem er die Bedeutung der privaten Optik, der provinziellen Unanimität des amerikanischen Soldaten aus dem entlegenen Massachusetts anspricht. Gerade diese Abseits-Position ermöglicht die Überwindung einer mittlerweile zum Klischee pervertierten Dämonisierung des nationalsozialistischen Verbrechers. Jene Stereotypisierung aber blockiere jeden veritablen Einblick in historische Konstellationen. Eine Haltung reflektierten Verständnisses sei dem Zuschauer so von vornherein verwehrt. Zur Illustration dieses Sachverhalts führt er die Bücher zweier amerikanistischer Gerichtspsychiater an, welche während der Nürnberger Prozesse tätig waren. Während der eine, Gilbert, völlig unnüchtern die Sphären hysterisiere, gewähre der andere, Kelly, gerade indem er die Angeklagten als klinische Fälle mit der gebührenden wissenschaftlichen Detalliertheit analysiert, einen klaren Blick auf die Situation.

Der Regisseur kennt die Bücher von Gilbert und Kelly nicht. So wenig wie ihm Max Ophüls Filmbiographie “ … “ ein Begriff ist. Immerhin vermag er zu konjekturieren, daß Ray d‘Addario, seinen Schilderungen nach ein sehr belesener Mann, diese Quellen bekannt sein dürften. Der Film wird wohl eher durch die leicht juvenile Bewunderung des Starphotographen getragen als durch theoretische und thematische Absorbtion. Aber dafür ist er spannend, was ja wohl die Hauptsache ist. Kurz vor dem Ende wird die Diskussion noch von einer kleinen Abirrung erfaßt. lsar oder Bach, diese Kontroverse erobert die Runde. Es geht präzise um die Einäscherung der exekutierten Nazi-Verbrecher und deren Versenkung im Wasser, Wasser der lsar oder Wasser eines namenlosen Baches. Man kommt zu keinem befriedigenden Ergebnis. Dafür kann sie die Diskussion eines interessanten Abschlusses rühmen. Eine sehr prägnante Profilierung des wahrhaft passionierten Photographen kommt aus dem Publikum. Das eigentliche Photographensyndrom stelle jede moralisch Haltung gegenüber der auratischen Kontamination mit dem Objekt ob. Nur so könne jene Unmittelbarkeit, jene photographische Essenz sich ergeben, die später neue Blickwinkel erschließen.