Film

Imaginäre Architektur – Der Baumeister Hans Scharoun
von Hartmut Bitomsky
DE 1994 | 65 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
13.11.1994

Diskussion
Podium: Hartmut Bitomsky
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Die Architektur Hans Scharouns kalkuliert mit der Verwendung der Gebäude, bezieht die Lebensbedürfnisse zukünftiger Bewohner mit ein, nähert sich dem Menschen an, so daß spätere Benutzer nurmehr Gäste sein können: Widersprüche entstehen. Nur bruchstückhaft in den Film eingegangen ist die intellektuelle oder materielle Aneignung der Bauwerke durch ihre neuen Bewohner, die wie Bitomsky ausführt vorfindlichen Formen ihr eigenes Leben anzuhängen, einzudübeln, anzunageln suchen. Aus der Fülle des Materials, das auch diese Prozesse beschreibt, wurde eine „Kurzfassung“, die manches beiseitelassen muß. Ein Zuschauer vermißt diese genauere Auseinandersetzung mit der Individualität der Häuser, die einst menschlichen Individualitäten anvermessen waren, mit der Zeitlichkeit. Dagegen hält Bitomsky die Verabschiedung der Menschen aus den von ihnen nur unter Lizenz bewohnten Räumen als Zustandsbeschreibung, in der eben dies erkennbar werde. Mensch und Raum: Dietrich Leder beschreibt die Schwierigkeit, den Blick neu zu fokussieren, nicht Personen im Netz-werk von Sozialbeziehungen, sondern die Räume selbst zu sehen, den Menschen in Bezug zum Gebäude zu denken. Ein Problem des Sehens selbst, das im Film erfahrbar wird, ist damit angesprochen, denn sogt Bitomsky – Gebäude rufen stets Menschen auf den Plan und erlöschen darauf in der Wahrnehmung. Damit habe er im Film versucht zu spielen. Fragen der Annäherung und des Vorgehens: Der Regisseur beschreibt seinen Film als Versuchsonordnung, die an jedem Bauwerk mit einem neuen Blick experimentiert, um den je neuen Herausforderungen zu begegnen. Begehung mit der Kamera, durch die Kamera, die zur Begleiterin des Erkundens, Erwanderns und Erfahrens wird, das sich der Filmemacher vorgenommen hat. Der Anstoß zu „imaginäre Architektur“ bildete die Erfahrung einer problematischen Übertragung des Raums in ein Filmbild, die Transponierbarkeit des primären Blicks in einen sekundären ein Beispiel: In der Rechtwinkligkeit des Bildes verflacht oder verengt sich die Rechtwinkligkeit des Gebäudes, wird stumpf oder spitz, so daß die Vermeidung rechter Winkel in einer Architektur wie dieser nur im Kommentar noch zu vermitteln ist. Das gibt einem Zuschauer die Frage nach im Film fehlenden Grundrissen ein, die organische Formen doch erkennen ließen. Bitomsky verweist auf die äußerste Abstraktion solcher Pläne von der Dreidimensionalität des Bauwerks, von der Erfahrung durch Bewegung, Berührung auch. Aber ist denn Scharouns Architektur, so fragt einer, „nur gut“? Wieder der Verweis auf notwendige oder von Produktionsbedingungen erzwungene Verkürzung. Bitomsky skizziert, was in dieser Kürze nicht mehr zur Sprache zu bringen war: Stilveränderungen im Werk Scharouns, zum Beispiel, denn die in Mari errichtete Schule könne im Vergleich mit dem älteren Schulbau in Lünen auch als Spiegel einer „Gerinnung der Bundesrepublik“ gelesen werden. Von der spielerischen, freien Zugänglichkelt des Wissens in einer sich selbst noch erschaffenden Demokratie zur Strenge des Kurrikulums. Der Film: Eine kulturelle Betrachtung ohne Gegenstimme also? Trotz aller Kürze: Das nicht. Eine Spur habe er zu legen versucht, beschreibt Bitomsky die in der Architektur eine vom Driften Reich erzwungene, innere Emigration noch erkennbar mache, die Tarnung der Gebäude, die Außensicht als baulicher Panzer, die Fassade dagegen noch innen gestülpt und gekehrt – und all dies setzt sich in die Zeit der Bundesrepublik hinein noch fort, im Widerspruch zur historischen Linearität, der Programmatik von Epochen.

Ein erstes, letztes Problem des Sehens von Architektur, von Architektur-Bildern betrifft die Großprojektion des Videobildes, dessen Raumvermessungen in Schwenks und Fahrten anderen Dimensionen angepaßt war: ein Mangel an Maßstäblichkeit schleicht sich ein durch die optisch höheren Geschwindigkeiten. In flimmernden Bildpunkten löst sich die Stofflichkeit des Gebäudes auf. So wird sichtbar, was Bitomsky über seinen Film sagt, was auch dessen Titel zum Ausdruck bringt, daß nämlich dies alles nur die Vorversion eines eigentlichen Filmes wäre, dessen Konturen sich im Gespräch abzuzeichnen beginnen: Imaginäre Architektur.

 Dietrich Leder, Hartmut Bitomsky v.l. © Ekko von Schwichow
Dietrich Leder, Hartmut Bitomsky v.l. © Ekko von Schwichow