Film

Ex Voto
von Erich Langjahr
DE 1986 | 110 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
13.11.1987

Diskussion
Podium: Erich Langjahr
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Die beachtenswerte Musik des Films konnte leider nicht zum Gegenstand der Diskussion werden, da Manni Planzer, der diese Musik komponiert hat, auch für diese Filmmusik einen Preis zugesprochen bekommen hatte, wegen dessen Verleihung er nicht zugegen sein konnte, wie ihn Werner Ruzicka entschuldigte.

Mit der Frage nach dem Titel bzw. den ersten Worten Erich Langjahrs im Film, ein Gelübde abgelegt zu haben, setzte die Diskussion ein. Erich Langjahr wollte dies im wörtlichen Sinn verstanden wissen. Er sei zwar kein religiöser Mensch, doch ein gläubiger; er glaube, daß es weitergehe. Der religiöse Gebrauch von „Ex Voto“ bedeute ja nicht, diesen Ausdruck nicht auch anders gebrauchen zu dürfen. Er erläuterte, daß „Ex Voto“ den Bedeutungsgehalt habe, daß man sich für etwas bedanke, wo Gott geholfen habe, häufig in Form eines Bildes. und ein Film sei auch Bild. Dieses Versprechen habe er sich gegeben, nachdem er „Morgarten findet statt“ fertiggestellt hatte und dann 1979 zu den Reformationsfeierlichkeiten, die sich auf den ersten Bruderkrieg der Schweiz beziehen, mit EX VOTO begonnen hatte. Werner Ruzicka fragte verwundert ins Auditorium, ob denn dieser Film mit seinen Begriffen von Gnade und Heimat für uns Deutsche nicht provokant sei, ohne auf Widerhall zu stoßen. Der vorsichtigen Annahme, daß der Film Ausdruck einer Resignation sein könne, widersprach Herr Holl mit dem Zitat aus dem Film: “Ich habe den Vater, den ich habe. Ich habe das Vaterland, das ich habe.“ Hierin könne er keine Resignation ausmachen. Für ihn markiere der Film einen Querstrich der Generation der 40-50Jährigen, die nunmehr erwachsen geworden seien. Denselben Eindruck, daß sich Einsicht, eben nicht Resignation formuliere, habe er auch bei anderen Filmen der diesjährigen Filmwoche erhalten.

Das Gefühl der Resignation äußerte eine Zuschauerin danach in Bezug auf das Leben der liebenswürdigen Frau Hegglin, die sich anpassen muß. Eine andere Zuschauerin griff diesen Eindruck auf, um ihn für sich zu entkräften. Frau Hegglin auf dem Moped gesehen zu haben, habe sie erleichtert. In der Darstellungsweise von Frau Hegglin durch Erich Langjahr sei spürbar, daß er sie lieb habe, weshalb sie anfangs verleitet gewesen wäre, anzunehmen, daß sie seine Mutter sei. Auch wenn Frau Hegglin ’verrückt’ sei, so sei sie doch die einzig Heile. Claire Doutriaux formulierte gleichfalls den Verdacht, den ihr der Aufbau des Films nahelege, obwohl die Kamera diese Vermutung, daß Frau Hegglin Erich Langjahrs Mutter sei, nicht stütze. Für sie war daher das Gewicht, das Frau Hegglin im Film zugewiesen bekommt, fragwürdig. Auch die Frage nach der Dauer der Bekanntschaft Erich – Langjahrs mit Frau Hegglin zeugte von der Intensität der Darstellung. Daß er sie erst während der ersten Aufnahmen kennengelernt hatte, war eine etwas ernüchternde Auskunft. Der positiven Aufnahme der Darstellung von Frau Hegglin setzte Werner Ruzicka die Kritik der Solothurner Filmtage entgegen, daß die Kamera der Frau beim Kirschenpflücken voyeuristisch unter den Rock schaue und daß ihre Naivität und Natürlichkeit sich lediglich daraus herleite, daß sie nicht die Hellste im Geiste sei. Dem wurde sofort widersprochen: „Man nimmt sie ernst“.

Daß EX VOTO auch als ethnographischer Film Bestand habe, erweiterte Erich Langjahr. Natürlich solle der Film ethnographischen Ansprüchen standhalten, aber nicht nur. Im Gegensatz zu „Morgarten findet Statt“ habe er EX VOTO nicht als ethnographischen Film erstellt.

Die Frage nach den Liedern bzw. dem Singen von Frau Hegglin zog zahlreiche Anmerkungen und Vermutungen nach sich. Erich Langjahr berichtete, daß Frau Hegglin die einzige sei, die dies so pflegen würde, selbst zum Leidwesen der Nachbarn. Warum gerade sie singt, dafür hatte er auch keine Antwort. Zum Stil und der Weise ihres Singens konnte er ausführen, daß hierin durchaus Versatzstücke aus Kirchenliedern und altdeutschen Weisen auffindbar seien und daß ihre Melodieführung auch für Kenner hervorragend sei, da ihre Jodler sich von kommerziellen Aufführungen als authentisch abheben würden. Dennoch habe er aus dramaturgischen Gründen. ihre Liedkunst im FiIm begrenzen müssen. Die Beobachtung von Pepe Danquart, daß die: vorallem dann, wenn sie singt, etwas mitteilt, kaum aber wenn sie spricht, bestätigte Erich Langjahr mit der Einschränkung, daß sie mit ihrem Singen übertreibe.

Da Frau Hegglin von vielen Zuschauern als Trägerin einer Kultur verstanden wurde, die sich auflöst, wurde nachgefragt, wie sie von ihren Kindern begriffen wird, ob diese ihr Vermögen schätzen und ob diese das fortführen. Fragen, die sich aufdrängten, da die Kinder im Film für die Zuschauer unzureichend bzw. überhaupt nicht gezeigt werden. Erich Langjahr begründete das damit, daß sich die Kinder anfangs ihrer Mutter geschämt hätten und gar nicht verstanden hätten, was er, der Filmemacher, von ihr wolle. Und er wisse nicht, was sie von ihrer Mutter annehmen, da er ohne selbst dabei zu sein, nichts habe aufnehmen können. Auf jeden Fall seien sie, wie alle ihrer Generation, auf die Stadt hin ausgerichtet.

Mit der Impression von Pepe Danquart, daß er in der Kameraführung bemerkt habe, daß Erich Langjahr an den Drehorten aufgewachsen sei, weil überhaupt kein touristischer Blick ausmachbar sei und mit der Kritik, daß ihn im Aufbau des Films eine Unentschlossenheit, sich von gedrehtem Material zu trennen, störe, führte er das Reden über den Film in eine Diskussion über Strukturierung von Material und der Beziehung zwischen Dreh und Schnitt. Auch andere Zuschauer äußerten den Eindruck, daß der Film im letzten Drittel immer wieder von neuem ansetze, sich vom Bild der Bagger nicht löse. Dieser Kritik hielt Erich Langjahr entgegen, daß bei anderen Vorführungen Zuschauer an anderen Stellen durchgehangen hätten; er diese Stellen jedoch mehr als Orte verstanden habe, wo der Zuschauer Platz finde zur Reflexion, Eigenes zu entwickeln. Angelegt habe er den Film als Rondoform, was ein dramaturgischer Versuch gewesen sei, der im Dokumentarfilm immer wieder aufs Neue unternommen werden müsse. Die weiteren Einwände, daß der Film vielleicht kürzer sein könne oder daß er über den Bildern die Struktur vernachläßigt habe, veranlaßten Erich Langjahr nochmals zu betonen, daß sein Film nach musikalischen Gesetzmäßigkeiten gebildet sei. Er versucht habe, nicht mit Bildern zu illustrieren, keinen Naturalismus wolle, sondern Empfindungsbögen schaffen wolle. Sein Bemühen sei es gewesen, eine Poesie durchzuhalten, nicht nur etwas zu zeigen, vielmehr den Zuschauern zu ermöglichen, es zu empfinden. In Bezug auf Länge plädoyierte er für den Kinofilm, da er die letzte Chance für den Dokumentarfilm im Kino sehe. Der Erfolg in der Innerschweiz, in kurzer Zeit 12 Tausend Zuschauer erreicht zu haben, war ihm Bestätigung. Ein Zuschauer fragte daraufhin nach den Reaktionen bei der Vorführung vor Ort, weil für ihn einzelne Bilder unterschiedlich zu interpretieren seien; Der Widerstand gegen den Truppenübungsplatz, die Krudität des Landschaftsplaners oder die Ambivalenz des Bauernpaars. Daß der Truppenübungsplatz die Stadtbahn West der Schweiz ist und der Kiesabbau von den Anwohnern aus pekuniären Gründen erwünscht ist, während die Städter auf Erhalt der Landschaft drängen, diese Erläuterungen Erich Langjahrs führten zu weiteren inhaltlichen Nachfragen. In diesem Kontext machte Erich Langjahr deutlich, daß die Landschaft nicht als Natur begriffen werden kann, sondern Geschichte hat. Bis ins 16.Jahrhundert wurden die Hügel von Köhlern abgeholzt, danach setzte die Viehwirtschaft ein.

Die anfangs von Werner Ruzicka gestellte Frage nach Heimat beantwortet nun Herr Holl mit der Parattelisierung der Wiedergabe der Deutschlandhymne in „Deutschland im Herbst“ und dem Lied „Ich war ein Schweizer Knabe“ in EX VD-16. Beide Weisen der Gestaltung waren ihm Ausdruck eines krisenhaften Identitätsverhältnisses. Ein anderer Zuschauer machte den Vorschlag, den Begriff Heimat durch Territorium zu ersetzen wie schon in andren Betrachtungen zum Heimatfilm. Diese Einschränkung wollte Erich Langjahr nicht nachvollziehen. In der Schweiz sei zum einen der Begriff nicht ‚braun‘ belastet, zum anderen beantworte der Film in seiner Reflexion des Begriffes schon seine Haltung. Für ihn sei Heimat in einer Zeit, in der es modern sei, depressiv zu sein, ein Ort der Geborgenheit, wo man sich wohl fühlt, der seelische Resistenz gibt. Auch habe Heimat etwas mit Mutter zu tun, was er verteidigen wolle, im Gegensatz zu Vaterland.

Den Eindruck, in seinem Film nostalgische Bilder den Einstellungen, in denen das Vordringen der Technik gezeigt werde, gegenüberzustellen, korrigierte Erich Langjahr mit seiner Absicht, Frau Hegglin als Kulturträgerin kontrapunktisch zu den Veränderungen gesetzt zu haben.

Doch die Struktur des Films war für Themas Giefer nicht hinlänglich beschrieben. Er habe bemerkt. daß der Film eine Struktur habe, der Film funktioniere, doch der Hinweis auf musikalische Strukturierungsweise führe ihn nicht weiter. Er habe den Verdacht eines Drehverhältnisses von 1:1. Diese Aussage wertete Erich Langjahr als Kompliment, denn er habe zwischen 1979 und 1984 14 bis 15 Stunden Material abgedreht. Hatte Bilder aber keinen Film. Er habe Bilder gemacht, habe versucht, in der Landschaft sich zu verstehen, ohne irgendein Drehbuch. Hierauf formulierte Themas Giefer tastend sein Verständnis des Films. Er funktioniere wie das Betrachten alter Fotos. Man schaue sie sich an, bleibe hängen, überblättere andere. Doch seinem professionellen Interesse genüge dieser Eindruck nicht. Er wolle wissen, wie der Film gemacht sei. Ob eher wie eine Improvisation oder mehr wie eine Komposition. Die Impression bestätigte Erich Langjahr. Er habe eine Vorliebe für Bilderbücher, worin er jedes einzelne anschauen könne, ohne die Bezüge untereinander zu übersehen. Und führte aus, daß er beim Drehen vor allem schaue und erst danach in einem Trennungsprozeß vom Naturalismus die geistige Arbeit beginne; er die Bilder anschaue, bis er sie im Kopf habe. Da er eine Ausbildung im chemischen Bereich habe, ordne er die Bilder nach Valenzen, begebe sich auf die Suche nach der inneren Logik des Materials.

Den Eindruck der Unentschiedenheit wiederholend widersprach Bertram Rotermund. Für ihn seien die Aufnahmen äußerst präzise, weshalb er diesem Teil der Arbeit genaues überlegen unterstelle. Mit seinem Ausführungen habe Erich Langjahr nicht sagen wollen, daß die Bilder nicht sauber kadriert seien, doch sehe er seine Hauptaufgabe als Dokumentarfilmer im Bilderanschauen und natürlich im Geldsuchen. Und prinzipiell könne man nur richtig denken, oder man denke besser nicht als falsch. (Heiterkeit!)

Doch die Darstellung bzw. der Wiedergabe des Lebens von Frau Hegglin war für einige Zuschauer noch immer nicht geklärt. Er vermutete, daß sie als Mutter dargestellt sei, im Sinne der Kulturträgerin der Landschaft, wo sie aufgewachsen ist. Auch Maria Hemmleb war das Bild der Frau noch widersprüchlich. Sie wirke auf sie merkwürdig asexuell und sie vermute daher, daß sie im Gegensatz zu Vater und Vaterland für Erich Langjahr in diesem Film Mutter sei. Zunächst verwies Erich Langjahr darauf, daß diese Anmerkung für ihn nicht einfach aufgreifbar sei. Denn seine Mutter sei ganz anders. Doch habe er nach einer Mutter dieser Landschaft gesucht, wie auch nach einem Vater, den er in dem Bauern, der seinen Most selber macht, gefunden habe.

Mit der Beobachtung, daß die meisten schweizer Filmemacher, wie es sich bei den Solothurner Filmtagen gezeigt habe, im Ausland arbeiten, fragte Werner Ruzicka abschließend nach der Rolle des Films, danach ob er ein Plädoyer für die Schweiz sei. Erich Langjahr stellte nüchtern fest, daß er dort bleibe, auch wenn es für Filmemacher in der Schweiz sattsam eng sei.