Film

Wurlitzer oder die Erfindung der Gegenwart
von Antje Starost, Hans-Helmut Grotjahn
DE 1985 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
08.11.1986

Diskussion
Podium: Antje Starost, Hans-Helmut Grotjahn
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Nach den ersten Äußerungen, die den Film lobten, versuchte Werner Ruzicka, den Wermutstropfen der Kritik in den Becher des Lobs zu träufeln. Er fragte hach dem Verhältnis der Filmemacher zu der portraitierten Familie Vogt, weil er die Sequenz, die den Großvater beim Nachmittagsschlaf zeigt, als zu nah empfunden hatte. Indem Antje Starost ihr Verhältnis zu den Vogts beschrieb, erläuterte sie die Entstehungsgeschichte des Films. Die Familie haben sie über Aufenthalte in Niederbayern vor 4 Jahren kennengelernt. Ohne die Geschichte des Erfinders des Lichttonfilms zu kennen, hatten sie vor, über die ihnen sympathische Familie einen Film zu machen. Die Szene mit dem Großvater sei Ausdruck dieser langen Zeit, die man sich kenne. Er wäre nie zu solch einer Aufnahme zu bewegen gewesen, wenn nur sie es von ihm verlangt hätten. Hans-Helmut Grotjahn beschrieb dann den Produktionsprozeß, der an kein Buch gebunden war, als ein ständiges Verwerfen und Aufbauen. So habe es in den fünf Jahren, die sie an dem Film arbeiten, auch die Idee gegeben, einen Film über das Land zu machen, wofür sie bereits einige Musikkapellen, die mit alten Instrumenten spielen, aufgetan hatten. Nie habe jedoch die Vorstellung existiert, einen Film über die Geschichte des Tonfilms zu realisieren. Bei all den verschiedenen Entwürfen hätten sie jedoch die Jahre hindurch, so Antje Starost, an einem Grundthema festgehalten, die Arbeit zu zeigen und wie die Menschen durch sie bestimmt werden. Die Erfindergeschichte und auch die von Wurlitzer, der in die USA ging, wären hinzugekommen und werden im Film aus der Perspektive derer gesehen, die dageblieben sind, die nicht berühmt wurden und die heute leben. Da die Arbeit die Kommunikationsform der Familie ist und der Kuhstall das Zentrum, was für sie faszinierend gewesen sei, gibt es im Film keine Gesprächssituationen, die alle umfassen, war die Antwort auf die kritische Beobachtung, daß im Film vor allem die Familienmitglieder einzeln gezeigt werden.

Diese Äußerungen der Filmemacher wurden in dem Stichwort „verharren und weggehen“ von einigen Diskutanten aufgegriffen und dem Film als Prinzip zugesprochen. Die Filmemacher selber wollten ihren Film darauf nicht beschränken und lösten Verknüpfungen und Verbindung, die von Zuschauern unter diesem Motto hergestellt wurden, wieder auf. Die Familie habe bis auf den Großvater, dessen Bruder der Erfinder ist, kein Interesse an ihrem Ahn. Die ältere Tochter, die angibt, Atomphysik nach der Schule studieren zu wollen, sei die, die sicherlich auf dem Hof bleiben wird; ihre Schwester will den Hof verlassen. Es zeigte sich, daß die Filmemacher selber an der Person des Erfinders interessiert waren, weil er weggegangen war, ohne sich zu verlieren.

Dieses Sprechen über Dableiben und Weggehen schnitt Werner Ruzicka ab mit seinem Lob der Kameraarbeit. Dieser Blick auf die Arbeit, sei präzise und doch distanziert, vermeide, die Arbeit zu idealisieren. Dieser Laudatio wurde die Vermutung hinzugefügt, daß die Filmemacher den Schnitt selbst besorgt hätten, was diese aber verneinten. Sie haben mit einer Cutterin zusammengearbeitet.

Die Darstellungsweise der Arbeit wurde von den beiden Autoren zum einen über ihre längere Anwesenheit und Mitarbeit auf dem Hof. Hans-Helmut Grotjahn meinte, daß man eine Arbeit, die man selbst erfahren habe, nicht idealisiere. Zum anderen bezog Antje Starost das Ergebnis auf ihre spezifischen Arbeitsbedingungen. Sie hätten zwar ihren Plan, beim Dreh den Jahresrhythmus einzuhalten, nicht voll realisiert, aber waren öfters 10 Tage zum Drehen hingefahren. Außerhalb des Fernsehens, ohne den Druck von Redakteur und Abgabetermin, sich die Zeit nehmen zu können, am Film zu arbeiten, sei ein Glücksfall.

Die Mitarbeit von Axel Brandt, nach der Werner Ruzicka gefragt hatte, habe sich aus ihrem DFFB-Studium ergeben. Sie wäre auch notwendig gewesen, da dies ihr erster 35mm-Film sei. Trotz des Formats hätten sie aber meistens nur zu zweit, ganz selten zu viert gedreht.

Lediglich der Kommentar wurde, nachdem er als „raunend“ qualifiziert worden war, der Kritik unterzogen. Wenn auch einige Zuschauer die poetische Form des Textes der Komposition der Bilder lobend zuordneten, wurden Inhalt und Form des Textes doch als mißglückt von den meisten beurteilt. Der Text würde gegen die Bilder einen Zusammenhang behaupten zwischen der Darstellung der Familie und ihrer Arbeit mit dem Leben des Lichttonerfinders. Der Kommentar würde vom Abenteuer ‚Technik‘ sprechen, hingegen im Bild würden soziale Folgen deutlich werden, das Abenteuer negiert. Aus den Einwänden der Filmemacher gegenüber dieser Kritik ergab sich, daß sie den Text nicht selber verfaßt hatten. Er wurde aufgrund des Rohschnitts, ohne Kenntnis der vorgängigen Entwürfe von einem Bekannten erstellt. Gewünscht hätten sie sich einen literarischen Text, den sie glaubten, nach den vorausgegangen Entwürfen, nicht formulieren zu können. Den Text betrachten sie nicht als Erläuterung, sondern als eine Herausforderung des Zuschauers auf einer anderen Ebene wie die Bilder. Dennoch soll er die Funktion besitzen, die Idylle, die die Bilder hervorrufen könnten, zu verhindern. Gegen den Anwurf von Werner Ruzicka, daß der Ton für den Film nicht nötig sei, setzte Hans-Helmut Grotjahn den mühevollen Produktionsprozeß und einige Thesen zur Stellung des Tons im Film. In Ihrem Film sei nicht nur der literarische Text, sondern auch der Ton der Wochenschauen oder die Sequenz mit Stresemann, woraus erkennbar werde, daß Sprache benutzt und besetzt sei. Er wolle auf gar keinen Fall eine Kommentierung wie sie im Dokumentarfilm der 50iger Jahre verwendet wurde, die einen Text von oben auf die Bilder draufspricht.