Film

Reichsautobahn
von Hartmut Bitomsky
DE 1986 | 93 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
05.11.1986

Diskussion
Podium: Hartmut Bitomsky, Werner Dütsch (Redakteur)
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

Zu dem Thema sei er zufällig gekommen, so Bitomsky, als er während der Produktion eines anderen Filmes auf Autobahn-Material gestoßen sei; später habe er dann eine überraschende Fülle an Informationen zu dem zunächst marginal erscheinenden Thema entdeckt – die den Autobahnausbau als Kulturprojekt verdeutlichten.

Weiteres Material habe er an unterschiedlichen Stellen gefunden, beispielsweise ein Buch über die Deutsche Reichsbahn, in dem Filme der Verkehrswissenschaft aufgeführt seien. Der Großteil des verwendeten historischen Filmmaterials sei im Bundesarchiv zu finden, während Autohersteller darüber kaum verfügten, da ihre Filme 45 konfisziert und an den Bund übergegangen seien.-

Der damalige Stand der Motorisierung werde heute überschätzt, einen privaten Pkw-Markt habe es kaum gegeben. Auch die kurz vor dem Krieg durchgeführte KdF-Aktion (VW-Käfer) sei eher ein indirektes Mittel der Kriegsfinanzierung gewesen, kaschiert durch Bilder vom privaten Konsum (später wurden die Fahrzeuge eingezogen). Die Motorisierung als solche hätte der Kriegsvorbereitung und -führung gedient. während die Autobahnen dabei überhaupt keine Rolle gespielt hätten – für den Einmarsch in die Tschechei etwa hätten die notwendigen Straßen gefehlt.

Der Autobahnausbau als Kulturprojekt habe ablenkende Funktion gehabt; so hätte er der Arbeiterbewegung ihren Zündstoff genommen. Konsumismus und Kriegsvorbereitung wie Krieg hätten die Arbeiterbewegung ihrer Ziele beraubt. Sicher habe es anfangs den Glauben gegeben, der Autobahnbau würde die Arbeitslosigkeit bekämpfen, doch letztlich wäre von den angekündigten 1 Mio Arbeitsplätzen nur ein Viertel bis ein Fünftel geschaffen worden.-

Auf das Faszinierende der damaligen Filmbilder (und des Faschismus) angesprochen, führte Bitomsky aus: schon Benjamin habe darauf verwiesen, daß die Nazis politisch wie ästhetisch gerade in den ersten Jahren hemmungslos von der Commune geklaut hätten; dies spiegele sich in den Bildern und ließe die angebliche Verführung spürbar werden. Er wolle, daß man sich dem heute aussetze und – aktualisiert – darüber rede.

Im heutigen und damaligen Dokumentarfilm gäbe es Formunterschiede; zwischen 1935 und 40 habe sich einerseits die Filmtechnik entwickelt, andererseits die Formsprache: der sprachliche Kommentar habe an Gewicht gewonnen und die kommentierende Bedeutung der Musik zurückgedrängt, ferner hatten Bilder und Schnitte politische Dienste zu erfüllen.-

Die damaligen Bilder seien in ihrer Art notwendig gewesen, um das Faszinosum des Fahrens zu vermitteln und auch darüber die technologisch-kulturelle Entwicklung voranzutreiben – gehöre doch der Verkehr auf der Autobahn zu den prägenden Momenten von Fahrkultur. Neben dem hätte die Einführung der Eisenbahn einst zum Verlust des Reiseprivilegs des Großbürgertums geführt – die Verbreitung des Autos habe ihm dies in neuer Form wiedergegeben. Die Filme würden zwar zum Geist der „fröhlichen Volksgemeinschaft“ passen, doch der fröhliche Durchschnittsbürger käme in ihnen nicht vor – die meisten Menschen hätten das, was sie da sehen, gar nicht nutzen können.

Ein Redner versuchte zwei Gedankenstränge zu verbinden: „Reichsautobahn“ reflektiere die Autobahn als Medium und den Dokumentarfilm in seiner Entwicklung; so, wie die Autobahn erst Sport, dann Luxus und schließlich Gebrauchsgegenstand gewesen sei, wäre der Film zum Gebrauchsgegenstand geworden. Er habe den Eindruck, Bitomskys Film wolle die Bilder als Luxusgegenstand zurückgewinnen der bildlichen Opulenz von damals würden sehr karge 8Llder von heute entgegengesetzt, um diesen Bruch zu verdeutlichen und den damaligen Luxus wieder einzufordern.

Bitomsky bestätigte dies und fügte an, die eigenen Bilder seien nur bei Regen gedreht – was auch etwas über die Produktionsbedingungen aussage; in den Autobahnfilmen gäbe es nur schönes Wetter, die entsprechend wesentlich längere Drehzeit sei damals eben ermöglicht worden.-

Werner Dütsch (für den Film zuständiger WDR-Redakteur) merkte an, daß der Bildstil der Autobahnfilme nicht typisch sei für den damaligen Film. Kleinere Produzenteil hätten sie als Auftrag bekommen, die noch stark an den expressionistischen Mitteln des Stummfilms orientiert waren. Bitomsky fügte hinzu, dies gelte auch für andere filme zu ähnlichen Sujets, deren Regisseure sich an den frühen russischen Filmen ausgerichtet und z. B. extreme Kamera-Positionen sowie eine schnelle Montage bevorzugt hätten, Als die Orientierung an 4er Ästnetik der Commune dann allgemein obsolet war, verschwand auch dieser Filmstil und wurde tierabsetzend als „Russen-Salat“ bezeichnet.-

Eine Frage galt der Widerstand gegen den Autobahnausbau; von einer solchen Aktion hatte vor einiger Zeit Ludwig Gehm, ein Widerstandskämpfer, auf der Duisburger Filmwoche berichtet. Bitomsky konnte dazu nichts Näheres sagen. Es existierten zwar viele Berichte zu den Konflikten in den Autobahn-Baulagern, über schlechte Entlohnung und über Unfälle, aber solche über eine Opposition gegen das Autobahnprojekt seien ihm nicht untergekommen.-

Die Legende des Autobahnbaus (Anlage für Kriegszwecke) hätten die Nazis selbst in die weit gesetzt: die Reichswehr hätte alle größeren Ausgaben moniert. und um den Argwohn gegen die Autobahn als Kulturprojekt zu besänftigen, hätten die Nazis ihre scheinbare Verwendbarkeit für militärische Zwecke in den Vordergrund gerückt. Nur: Die Autobahnen waren für die kurz vor dem Krieg erhöhte Achslast der LKWs ungeeignet gewesen, für das Gewicht von Panzern erst recht. Außerdem wurden die, um den knappen Treibstoff zu sparen, ohnehin mit der Bahn an die Front geschafft, während Truppen- und Munitionstransporte bevorzugt über Landstraßen abgewickelt wurden. Und schließlich: das Autobahn-Netz war Dis 1939 nur in Bruchstücken ausgebaut und reichte kaum bis an die Grenzen.

Ein Redner sprach die untypische Aufnahme von kritischen Äußerungen in solchen Filmen an. Bitomsky: Derlei wäre in Filmen nicht vorgekommen, sondern die entsprechenden Zeitpassagen in seinem Film hätte er aus Büchern zum Straßenbau. Die Lagersituation wäre teilweise katastrophal gewesen, an einigen Orten habe der Lohn unter dem Sozialhilfe-Satz gelegen, so daß die Aroeiter zur Arbeit gepreßt werden mußten. Der damit verbundene Unwille sollte als Eingeständnis einer unabwendbaren Tatsache aufgefangen werden „der Meckerer kommt halt vor“. Die Nazis hätten regelrechte Meinungsumfragen zu kreisenden Gerüchten durchgeführt, um ihnen bzw. manifester Kritik propagandistisch begegnen zu können.-

Werner Dütsch wurde nach den Produktionsbedingungen eines solchen für das Fernsehen ungewöhnlichen Films befragt – ob es beispielsweise schwer gewesen sei, das Projekt senderintern durchzusetzen. Nein , dies sei nicht das Problem gewesen, sondern die hohen Kosten für die Klammerteile, alles andere sei da herum drapiert worden. Man habe sich für eine Zusammenfassung entschieden, um der Qualität des Originalmaterials gerecht zu werden, zusätzlich habe der notwendigerweise besondere Kameramann (=Spielfilm-Ausrichtung) bei einem Dokumentarfilm und die ungewöhnliche Länge der Schnittzeit (gemessen an dem für Features üblichen) die Kosten in die Höhe getrieben, so daß der Programmgewinn für das Fernsehen in keiner Relation stehe zu dem ökonomischen Gewinn des Produzenten.

Bitomsky: Oie eigenen Teile seien überhaupt nur gedreht worden, weil ein Film, vollständig aus Klammerteilen bestehend nicht zu finanzieren gewesen wäre.

Schlußendlich: Sei es im Sender eine Schwierigkeit gewesen, die fertige Fassung von „Reichsautobahn“ durchzusetzen – der ja ein Film über Film und weniger ein Film über die Autobahn geworden wäre?

Dütsch: Nein. Und das gegebenenfalls zu begründen, wäre kein Problem geworden.