Dokumentarfilm ist ein unsicheres Terrain. Ist das, was wir sehen, noch dokumentarisch, oder schon fiktional, irgendwas dazwischen und was bedeutet das? Dürfen wir über das, was komisch wirkt, im Dokumentarfilm auch lachen? Wohnt dem Beobachten als dokumentarische Methode eine demokratische Kraft und ein utopisches Moment inne und hilft es manchmal, knapp an etwas vorbeizuschauen, um scharf zu stellen, was wichtig ist?
In den Texten unserer Essayreihe Distanzmontage 2024 spielen die irritierenden Momente des Dokumentarischen – im Zeigen wie im Sehen – eine Rolle. Momente, die uns stutzen lassen, nachdenklich machen und uns dazu zu animieren, das Gesehene, unser eigenes Wissen von der uns umgebenden Realität neu zu bewerten. Nicht immer ist das mit einem knallharten Realitätscheck oder Wahrnehmungsdrill verbunden, wie humorvolle Dokumentarfilme beweisen, die sich selbst aufs Korn nehmen und die eigene Position des Betrachtens zu reflektieren. Manchmal eröffnet uns die filmische Ästhetik neue Sichtweisen, vielleicht sogar eine andere Form von Wissen. Dokumentarfilme fordern uns im besten Fall auf, ohne vorgefasste Meinung hinzusehen, genau zuzuhören, ergebnisoffen zu bleiben und nicht alles, was wir sehen, in Schubladen zu sortieren. Das gilt sowohl für die Position hinter der Kamera als auch für Betrachter:innen im Kinosaal. Dokumentarfilme zeigen, was ist, aber auch, was sein könnte oder so nicht sein sollte; sie zeigen, was veränderbar ist.
Joachim Schätz widmet sich in seinem Text drei Filmbeispielen, die mit Mitteln des Komischen über ihre Selbstpositionierung im Feld des Dokumentarischen nachdenken. Das Lachen ist hierbei kein Zeichen von Verlegenheit. Die komische Erzählung im doppelten Sinn sichert nicht ab, sondern exponiert die Stresspunkte – und die Weirdness – des dokumentarischen Arbeitens.
Auch Hybridfilme bewegen sich auf unsicherem Terrain. Bianca Jasmina Rauch nähert sich dem oft gebrauchten aber selten ausdifferenzierten oder hinreichend definierten Begriff des Hybridfilms und erkennt in der hybriden Form eine notwendige Skepsis gegenüber dem Potenzial des Zeigens, was auch auf uns als Zuschauer:innen abfärbt. In dem Moment, in dem wir als Publikum unsere Souveränität dem Bild gegenüber einbüßen und anzweifeln, was wir sehen, hinterfragen wir auch unser eigenes Verhältnis zum Sicht- und Hörbaren.
Eine buchstäbliche wie metaphorische Unschärfe beschäftigt auch Eh-Jae Kim. Sie geht der Frage nach, welche Formen von Wissen Dokumentarfilmen inhärent sind und was ephemere, nicht-produktive Bilder vermitteln können. Dabei geht sie von der Beschreibung der mittelalterlichen Allmende nach Silvia Federici aus.
Aufmerksames Hinsehen, Zuhören und eine ergebnisoffene Haltung charakterisieren die beiden Filme, die Kaspar Aebi in den Blick nimmt. Er erkennt in ihnen eine demokratische Kraft die darin liegt, durch die bewusste Unabgeschlossenheit des dokumentarfilmischen Beobachtens den politischen Diskursraum für neue, zuvor ungehörte Stimmen zu öffnen. Das vermag im besten Fall eine filmische Gegenerzählung wider das manichäische Weltbild, das rechte Populist:innen so gern und grob skizzieren, zu schaffen.
Texte und Autor:innen laden Sie ein, bekannte Filme neu zu sehen, sich niemals allzu sicher zu sein und trotzdem immer wieder den mutigen Vorstoß in unbekannte Gefilde zu wagen.
Maxi Braun
(Redakteurin Textreihe Distanzmontage)