Film

Galiläa – Im Namen der Steine
von Bernard Mangiante
DE/FR 1996 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
06.11.1996

Diskussion
Podium: Bernard Mangiante
Moderation: Sabine Fröhlich
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Dieser Film, sagt Bernard Mangiante, sei weniger als der Grundriß eines Films, ein Skelett sozusagen, das die ursprünglich geplante Form nur erahnen läßt. Die zuletzt nicht in der erhofften Konsequenz verwirklichte Idee beschreibt der Regisseur folgendermaßen: Er habe die Archäologie als ‚Gedankenform‘ benutzen wollen, die die Erforschung von Wirklichkeit strukturiert, und dabei über ein abgegrenztes Stück Land andere Landschaften und die damit verknüpften Familiengeschichten sichtbar machen wolle. Vielleicht habe er mit dieser komplexen Idee der Verbindung von privater Geschichtsgrabung und Archäologie als Prinzip zu hoch gegriffen, in jedem Fall wäre zusätzliches Material unverzichtbar gewesen. Die Kürze und hohe Informationsdichte des tatsächlich entstandenen Films sind vor allem einer Entscheidung des Co-Produzenten La SEPT zuzuschreiben: die anfangs geplanten 90 Minuten wurden auf 60 zusammengekürzt. Ein weiterer Einschnitt: der Tod des Ausgrabungsleiters Kempinski unmittelbar nach dem zweiten Drehtermin hat es unvermeidbar gemacht, Rekonstruktion und Kommentar an die Stelle von beobachtetem Leben und Interview zu setzen.

Dieser Film also, der dem Regisseur als „Destillat“ und bloße Spur seines eigentlichen Projekts erscheint, vermag es dennoch, dem Zuschauer die politische Funktionalisierung von Archäologie sinnfällig nahezubringen, befindet Sabine Fröhlich. Freigehauene Steine als Bilder für Ge-Schichten eines Landes: An einem der Ausgrabungsorte werden die Sedimentierungen verschiedener Epochen freigelegt: Die Antike, die Kreuzritter, die Ottomanen, zuletzt die Briten haben sich in Akko steinern verewigt. Mahmoud Hawari dagegen gräbt 1948 zerstörte Häuser aus und sucht jüngere Verwerfungen der Geschichte dieses Landes dem Vergessen zu entreißen.

Damit kommt das Gespräch auf die Protagonisten des Films. Den Vorschlag eines französischen Produzenten („Mach was über die Palästinenser“) hat Mangiante aufgegriffen nicht um platte Konfrontation zu inszenieren und damit vielfach gesehene, schlichte Bilder zu wiederholen, die dem Verständnis der Konfliktlage nicht dienlich sein können. Der Regisseur setzt dagegen auf Protagonisten, die nicht als Repräsentanten verfeindeter Lager erscheinen, sondern in der Individualität ihrer Geschichte und Anschauungen eine differenzierte Sicht ermöglichen. Wie eng die Verflechtungen zwischen ‚privatem‘ Alltagsleben und Politik auch hier sind (Klaus Kreimeier hat sie heute nachmittag in seinen Bemerkungen zu Südafrika betont), illustriert das Wiedersehen der ehemaligen Studienkollegen, die sich trotz enger Freundschaft sieben Jahre lang nicht getroffen haben und erst durch die Dreharbeiten wieder zusammengeführt wurden. Grenzverläufe und tiefe Schnitte im leben jedes Einzelnen. Gekämpft hat Mangiante daher auch um Bilder, die leben und Lebensraum außerhalb von Sprache zur Anschauung bringen.

Archäologie als Kampfschauplatz: Die politisch-militärische Vereinnahmung der vermeintlich objektiven Wissenschaft schildert Mangiante am Beispiel staatlich organisierter ‚Raubzüge‘ in die Gegend von Jericho. Vor Rückgabe des Gebiets an die Palästinenser fielen Soldaten mit Hubschraubern. in eine Gegend ein, die archäologisch längst erschlossen war, um sich letzter Geschichtsreste zu bemächtigen. Tatsächliche Funde wurden dabei zum Teil zerstört: dem ideologischen Symbolwert von Archäologie geschuldetes Opfer.

Archäologie des Unsichtbaren: Ein Zuschauer merkt an, daß die Ausgrabungsfunde selbst im Film kaum zu sehen waren. Tatsächlich gibt die archäologische Sensation für das Kamera-Auge bisweilen wenig her, und im Fall Mahmoud Hawaris treten die materiellen Funde (Gebrauchsgegenstände der vierziger Jahre) hinter dem Anliegen zurück, einer ‚palästinensischen Archäologie‘ Anerkennung zu verschaffen. Die oberste Schicht des Vergangenen soll nicht als Abraum beiseitegeschaufelt werden. In der Film-Idee, Archäologie als Metapher zu begreifen, spiegelt sich damit der allenthalben stattfindende Prozeß einer Bedeutungsaufladung, der jeden freigelegten Stein für das ideologische Mosaik zu verwerten weiß.