Film

Le Lac
von Fabrice Aragno
CH 2025 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
07.11.2025

Diskussion
Podium: Fabrice Aragno
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Ronny Günl

Synopse

Geisterhafte Spiegelungen auf dem Genfersee. Das Licht malt magische Muster, die Gischt brennt. Rufe von Wasservögeln in der Nacht. Ein Paar nimmt über mehrere Tage und Nächte an einer Segelregatta teil. Sie ist eine Schauspielerin, er ein Skipper. Mit wenigen Worten organisieren sie das Teamwork an Bord und versichern sich ihrer Liebe. Die Kamera studiert ihre Bewegungen, die Dynamik der Natur – und öffnet den Blick für eine zweifache Inszenierung: der Segelnden und des Sees.

Protokoll

Noch bevor der Film beginnt, schickt Patrick Holzapfel voraus, dass in der Diskussion zum Film mit Fabrice Aragno nicht danach gefragt werden soll, was er auf dem Festival aufgrund seines vermeintlich fehlenden Dokumentarismus zu suchen hätte. Damit war zumindest der Ton für die windigen und donnernden zweiundachtzig Minuten gesetzt, aus denen anschließend das mancherorts vorhergesagte Gesprächsgewitter beziehungsweise Grollen herausbrach. Aber vielleicht müsste man den Ablauf des Mittags in umgekehrter Reihenfolge schildern, um zu dem vorzustoßen, was überhaupt diskutiert werden sollte.

„Hast du das drin mit der Schweizer Wohlstandssentimentalität?“, heißt es amüsiert, während sich im Diskussionssaal die Reihen wieder lichten und sich vereinzelte Gruppen zusammenfinden, um über die Debatte informell weiter zu diskutieren. Zuvor noch hatte Fabrice Aragno gesagt, es sei interessant, wie sein Film bestimmte Knöpfe drücke, womit er uns zeigt, was der Unterschied zwischen Kino und Fernsehen ist. Es ist vielleicht der einzige polemische Satz des Filmemachers, der im Gespräch auf Englisch spricht, aber Deutsch trotzdem in Teilen versteht. Davor sagte Holzapfel, er rede schon zu viel: Aragno hätte sogar angeboten, einzelne Szenen auszusuchen und diese spezifisch zu diskutieren. Aber das hat man in Duisburg noch nie gemacht, stattdessen entwickelte sich eine allzu bekannte Diskussion darüber, was das Dokumentarische sei. Wobei: diese Diskussion hätte stattfinden können, allerdings drehte es sich dann doch wieder darum, ob dieser Film überhaupt dokumentarisch ist.

„Dann bist du nicht zufrieden mit meiner Erklärung“, meint Holzapfel zu Birgit Kohler, die zuvor noch davon gesprochen hatte, dass sie die Rede von der hybriden Form kennt und für sie nicht uninteressant sei, aber gerade bei Aragnos Arbeit den Bezug zur Realität vermisse. Davor hatte Holzapfel angegriffen-angriffslustig in ihre Richtung gefragt, was denn ein dokumentarisches Bild sei. Für ihn sehe man beispielsweise den Wechsel von Tag zu Nacht auf eine besondere Weise. Jedoch sei es unproduktiv so zu sprechen, als würde man Wein testen, denn die Realität des Genfersees gibt es nun mal. Das denke sich Aragno nicht aus, heißt es von Holzapfel, nachdem Kohler darauf hinweisen wollte, dass im Film von Anfang an eine Schauspielerin zusehen sei, die eine Rolle spiele. Bevor es zum kurzen Schlagabtausch zwischen Holzapfel und Kohler kam, wollte sie sich aber noch dem Statement von Matthias Dell anschließen, der Film sei „sentimentaler Impressionismus“ und es berge auch eine gewisse Verachtung, wie man über „zu einfache dokumentarische Formen“ spreche. Freiere Formen, für die sich sowohl Holzapfel als auch Mischa Hedinger aussprechen, wären für Dell ohnehin überall präsent. Das, was man nun zu sehen bekommt, wäre also „Schweizer Wohlstandssentimentalität“, wofür es schulhofmäßige Lacher gibt und wozu er noch hinzufügt, wenn man es so sehe, wie Holzapfel erklärt, wäre jedes schöne Landschaftsbild dokumentarisch.

Obwohl Holzapfel diese Diskussion eingangs vermeiden wollte, fragte Dell nämlich doch wie bestellt nach der Kommissionsbegründung für Aragnos-Film und erinnert damit selbst an seine Frage vor vier Jahren zu KRAI von Aleksey Lapin. Laut Holzapfel würden vierzig Prozent der Duisburger Filmgeschichte eher in die Kategorie des experimentellen Spielfilms passen, als dass sie klassische Dokumentarfilme wären. Zudem könnte man dieselbe Frage auch an die Hälfte des diesjährigen Programms stellen. Die Frage, die Holzapfel lieber stellen will, ist, woher wir wissen, was dokumentarisch ist, darüber müsste man sprechen. Und zu diesem Zeitpunkt in der Mitte des Gesprächs konnte man sich schon fragen, ob diese Diskussion überraschend oder doch mit Ansage kam. So wie man sich auch fragen könnte, ob man immer etwas vom Kino wissen oder manchmal nicht auch etwas sehen will. War es also ein Gesprächsunfall oder prophezeites, aber vorbeiziehendes Gewitter? Der nicht vorhandene Unterschied könnte sich wohl daran zu erkennen geben, dass sich mit dieser Diskussion für Aragnos Kino nichts wesentlich ändert und wahrscheinlich auch nichts für die Filmwoche.

Zu Beginn des Gesprächs hatte Holzapfel noch gesagt, dass es ihm gefiele, wie der Film mit den Elementen umgeht, gleichzeitig musste er aber zugeben, dass ihn das Aussehen vieler Bilder an Werbung erinnere, weshalb er vor allem über Ästhetik sprechen wollte. Aragno sagte zunächst, er arbeite nicht mit Theorie, er sei nur ein Praktiker und sowieso auch kein professioneller Filmemacher, sondern nur jemand, der mit ein bisschen Hilfe alles selbst machen möchte. Den Eindruck zu den kommerziellen Bildern konnte er aber nachvollziehen, gleichzeitig erklärte er auch, dass so wenig wie möglich Technisches seinen Film bestimmen sollte. Er holte noch weiter aus und erwähnte einen Text von Heinrich von Kleist über Caspar David Friedrich, der ausdrücke, was er mit dem Film machen wollte. Dann spricht er darüber, wie er seine Schauspielerin kennenlernte und dass es zwar ein Skript gegeben hätte, aber eigentlich nur noch „for the feeling“ behalten wurde.

Für Aragno entstand der Film vor allem nach seinen eigenen Vorlieben und dem Drang mit dem Kino zu spielen, ohne nach vorgegebenen Regeln zu arbeiten. Das könnte man als sein Credo begreifen, wie es das von Jean-Luc Godard war. So interessiert sich Aragno einerseits für das Licht; alles würde vom Licht bestimmt werden. Andererseits begeistert er sich für die Töne, die alle Vorort selbst von ihm aufgenommen wurden (teils aber auch in Alentejo) und von ihm mit Gesten und Mundgeräuschen nochmals für das Publikum dargestellt werden. Es mag irritierend sein, in seinem Film nicht mal etwas Allegorisches, sondern vor allem Physisch-Sinnliches zu finden. Duisburger Selbstgespräche, ob allegorisch oder sinnlich, irritieren manche zumindest weniger.