Film

Ecce Mole
von Heinz Emigholz
IT 2025 | 28 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
04.11.2025

Diskussion
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Ronny Günl

Synopse

Treppengeländer, Fensterrahmen, Fassaden ziehen die Linien im Bild. Nah heran, dann wieder aus der Distanz. Räume werden betrachtet – von innen nach außen, vom Privaten ins Öffentliche. Im Fokus stehen zwei Turiner Wahrzeichen des neoklassizistischen Architekten Alessandro Antonelli: das schmale Casa Scaccabarozzi und die monumentale Mole Antonelliana, heute Sitz des Museo Nazionale del Cinema. Emigholz tastet sich durch die räumlichen Ordnungen und trifft ganz nebenbei auf das Echo Hollywoods.

Protokoll

Atmosphärisch nimmt der Film von Heinz Emigholz über die Turiner Mole Antonelliana einen Gegenpol zum Tagesprogramm ein, nicht wirklich eine Gegenhaltung (Wortspiele dieser Art benutzt man gerade gern); aber dabei ohne viel zu reden, wie der Regisseur vorausschickt. Von Festivalroutine kann am zweiten Tag zwar keine Rede sein, allerdings lässt sich einiges hören, was schon oft, vielleicht zu oft besprochen oder debattiert wurde. Ein Zeitpunkt, an dem sich nicht selten Neugierde und Zynismus begegnen, wenn nicht aufeinanderprallen, dort, wo vielleicht wenig überraschend auch seine Filme ihren Platz haben.

Mit Blick auf den Autounfall im Film fragt Patrick Holzapfel nach dem Kippen in die Fiktion und schneidet damit gleich den Weg zur immer wieder diskutierten Bildsprache von Emigholz Architekturfilmen ab. Man müsste vielleicht eher von Gebäudefilmen sprechen, denn die Architektur als Planungstechnik nimmt selten Anstoß an der „natürlichen Umgebung“, in der sich die Gebäude befinden, wofür sich Emigholz viel mehr interessiert. So entstand die Car-Crash-Idee aus einem Gefühl der Bedrohung, das der Regisseur während der Nachtaufnahmen empfand. Im Film wird diese Einstellung mit einer weiteren auf eine Luke aus James Camerons Film TITANIC konterkariert. Es handelt sich dabei um ein Exponat, das im Zusammenhang der James Cameron-Schau des Turiner Museo Nazionale del Cinema in der Mole ausgestellt wurde. Für Emigholz sei dies also eine Transformation in die „Cameron World“, deren Präpotenz ihn beim Besuch sehr überrascht hat. Generell hält er aber nicht viel vom Hollywood-Filmkünstler. Als neuen Impuls in seinem Werk versteht Emigholz den Autounfall allerdings nicht, denn immerhin gäbe es in seinen letzten drei Filmen schon welche.

Zurück zum Gebäude beziehungsweise den beiden Gebäuden will Holzapfel dann über die Einladung durch Carlo Chatrian, den aktuellen Direktor des Filmmuseums, sprechen. Laut Emigholz war zwar die Mole das Hauptthema des Films, allerdings wollte er auch den Kontrast und die räumliche Nähe durch das andere Gebäude, das sogenannte Polentastück des Architekten Alessandro Antonelli, miteinbeziehen. Hier kommt das Gespräch nun doch wieder bei der Filmkonzeption an, wozu der Regisseur mit einer gewissen Routine erklärt, es gäbe bei ihm nie ein Drehbuch, keine Tableaus und keine Bewegungen, sondern nur Bewegungen im Kopf, erst im Schnittraum wird ein „Gang“ festgelegt. Man könnte wohl fragen: ein Gang zu Fuß oder ein Gang am Schalthebel? Jedenfalls bestimmt die Form des Films immer die Frage, wo oder wie man als Mensch in den Gebäuden sein kann. Klarerweise benutzt Emigholz auch Zugänge, die dem normalen Besucher oder der Besucherin vorbehalten bleiben. Das Vorgehen im Gebäude entstünde aber letztlich aus dem eigenen Gefühl, das aus seiner Vorliebe für komplexe Räume hervorgeht. Etwa einhundert bis zweihundert Einstellungen entstehen so pro Tag. Ähnlich komplex sei auch die Arbeit am Ton, der die Räume nachkonstruiere, indem aus dem Off das, was zu sehen ist, vor- und nachbereitet wird. Camerons Avatarmusik hätte aber ziemlich genervt. In Bezug zur Mole interessierte sich Emigholz vor allem für die wolpertingerhafte Konstruktion des Bauwerks. Dass dieser Architekt nicht in seine Liste der großen Modernen hineinzupassen scheint, soll damit als persönliche Idiosynkrasie durchgehen, obschon es sich um eine Auftragsarbeit handelt.

Im Publikum gibt es zunächst eher wenig Interesse am Zustandekommen der Arbeit, stattdessen taucht die übliche Frage zur Bildkomposition und Taktung auf. Emigholz erläutert daraufhin nochmals seine Ästhetik oder Antidogmatik, in der nichts aus dem Bild fallen kann und ihm deshalb Horizonte oder Gravität schlichtweg egal sind. Vielmehr versuche er Bilder zu komponieren, aus denen sich dann auch der jeweilige Rhythmus ergäbe, fast so als schreibe er einen Song über das Gebäude. Auf die vermeintlich indiskrete Frage, was er denn nicht filmen würde, antwortet er mit der Elbphilharmonie; nicht mal für eine Million würde er diesen „Scheißhaufen“ filmen, wofür es nicht zum ersten Mal anerkennende Lacher gibt.

Hinsichtlich einer Wortmeldung zur Entstehung der Gebäudefilmserie mit dem Namen „Photographie und Jenseits“ wird schließlich nochmal eine andere Perspektive auf die unausgesprochene, aber stets mitverhandelte Frage nach Filmaufträgen und Geld deutlich: Aus einer Pleite nach einem WDR-Spielfilm in den 1980ern und auf einem großen Schuldenberg sitzend, hatte Emigholz beschlossen, fortan auf Schauspieler und Schauspielerinnen zu verzichten, denn die kosten immer zu viel Geld. Um nochmals Geld vom WDR-Redakteur Wilfried Reichart zu bekommen, entwickelte der Regisseur zuerst ein theoretisches Konzept, worin das Jenseits (im Kopf) als Modus des Bilderlesens abgehandelt wurde. Damit begann er dann wieder zu drehen, konnte den geplanten und vorfinanzierten Film allerdings aufgrund einer Blockade nicht mehr fertigstellen, stattdessen entstanden daraus immer mehr einzelne Filme.
Seine Filme verstehen sich damit als Kataloge der Gebäude, von denen es mittlerweile einige gar nicht mehr gibt, weshalb es Emigholz bereut, nicht schon früher damit begonnen zu haben. „Als junger Mensch glaubt man, es bleibt alles, wie es ist.“

Diese Aussage veranlasst Holzapfel dazu, nach dem Filmerbe des Filmemachers zu fragen. Da Emigholz laut eigenen Aussagen nicht sehr erfolgreich sei, blieben alle Rechte bei ihm, seiner Foundation Pym Films und der Filmgalerie 451, die wohl alle Rechte irgendwann einmal geschenkt bekommt. Erstaunlicherweise wird im Diskussionssaal mehr gelacht als bei seinen Gebäudefilmen, deren schroffe und zugleich versteckte Komik eigentlich noch entdeckt werden muss.