Synopse
Die Hochschule für bildende Künste in Hamburg: Wo früher ein Kreißsaal war, ist heute ein Kino. Hier wurde Katharina Pethke geboren. Später kehrte sie zurück, erst als Studentin, dann als Filmemacherin und Professorin. Auch ihre Großmutter und Mutter studierten an diesem Ort – doch ihre künstlerischen Karrieren kamen ins Stocken, als die Kinder kamen. Drei Generationen im Spannungsfeld zwischen Geschlechtergerechtigkeit und Kunstbetrieb. In Archivrecherchen und architektonischen Beobachtungen tritt Privates hervor, aber auch die patriarchalischen Strukturen einer Akademie.
Protokoll
Es nehmen von rechts nach links am Podium Platz: Moderator Mischa Hedinger, Regisseurin Katharina Pethke, Kameramann Christoph Rohrscheidt und Editor Simon Quack. Hedinger blättert in seinen Notizen, testet sein zitronenfarbenes Mikrofon und heißt das Publikum willkommen.
Was Hedinger an „Reproduktion“ bemerkenswert findet ist, dass mehrere Generationen „via Film“ in ein Gespräch treten. Vordergründig ist der Film eine Biographie. Dann arbeitet er mit dem öffentlichen Raum der Hochschule und der Architektur. Wie entstand dieses Verhältnis Architektur–Biographie?
Pethke meint, der Film war eine Kollektivanstrengung von fünf Jahren. Die Produzentin Julia Cöllen sollte ebenfalls hier sitzen mit der sie gemeinsam am Film geschrieben hat. Der Ort spannt den Bogen vom Anfang ihrer Geburt und der Ort, an dem sie nachher studiert und gearbeitet hat. Sie wollte in ihrer Geschichte aber auch ein Porträt des Ortes selbst zeichnen.
Hedinger daraufhin: es gibt Metaphern, die für etwas Größeres stehen – das große Wandbild in der Aula der HFBK, die Skulpturen, die Architektur allgemein. Hat sie nach solchen Spiegelverhältnissen zwischen der Architektur und der eigenen Biographie gesucht?
Pethke erzählt von ihrer Studienzeit, als sie „den Genius an der Wand gesehen“ hat und dachte: „das will ich sein“. Damals bezog sie dieses Ideal nicht auf ein Geschlecht, auch die Frauenfiguren hatte sie damals gar nicht so „dechiffrieren“ können. Erst mit dem Mutterwerden merkte sie, dass das alles viel komplexer ist, als sie zuerst dachte. Dann fragte sie sich zur der im Film immer wiederkehrenden Skulptur einer Frauenfigur mit ihrem Kind und dachte über ihre eigene Familie nach und machte sich zu diesem „inneren Streit mit der daheimgeblieben Person und dem anderen Partner, der raus konnte“, Gedanken.
Hedinger fragt inwiefern sie die Dreharbeiten, Schnitt und der Voice-Over Kommentar parallel erarbeitet haben? Er könnte sich vorstellen, dass der Film „so schritthaft entstand“.
Pethke meint, sie habe mit ihrer Co-Autorin zunächst „sehr viel geschrieben“ um nach und nach „einigermaßen Klarheit“ zu finden. Im Zuge einer Ausstellung präsentierte sie eine Bildtafel im Stil von Aby Warburg auf einer schwarzen Fläche mit ihren Recherchen und entwickelte entlang dieses Konzepts den Film. Danach kam Editor Simon Quack zum Projekt, der hier selbst anfügt, dass sie die Überlegungen der einzelnen Erzählstränge gemeinsam im „Ping-Pong“ geschnitten hätten. Rohrscheidt erzählt weiter die Beziehungen mit dem Text seien später entstanden und waren nicht darauf ausgelegt, chronologisch genau zu den Skulpturen zu passen.
Hedinger möchte tiefer in den Schnittprozess eindringen: „Was war der Prozess? Was funktionierte, was habt ihr nicht gefunden?“
Quack verweist auf den Text, dessen Inhalt „das schon ansteuert“. Sie wollten die Bögen in der Geschichte der Generationen (an dem Ort und in der Familie) so nachvollziehbar bestimmen und die richtigen Abstände finden und die richtigen Schlusspunkte setzen. Im ersten Teil wird sehr viel „angereichert“, und dann im zweiten Teil wieder „geschlossen“. „Wir wollten elliptisch immer wieder aufgreifen, was wir schon geästelt hatten“, so er.
Hedinger kommentiert dies am Beispiel von sich wiederholenden Szenen – wie die der Aktszenen, in die der Film immer wieder neue Perspektiven einbaut.
Publikumsfrage: hat die Zuseherin sehr berührt. Man bekommt den Eindruck, als würde Pethke „neben sich stehen“, um die Geschichten von unterschiedliche Perspektiven aus zu sehen. Wie haben ihre Mutter und Großmutter auf den Film reagiert?
Pethke: „Stimmt. Man wird ja so in Bedingungen reingeboren, die man erst mal nicht versteht.“ Deswegen haben sie sich entschieden, dieses -ihr- Ich erst später zu zeigen.
Sie verweist auf einen Berg von Büchern über Mutterschaft bei ihr zuhause, und im Speziellen auf Mareice Kaisers Das Unwohlsein der modernen Mutter, deren Kernaussage „dieses Unwohlsein als ein politisches Unwohlsein zu begreifen“. Darum geht es ihr in diesem Film, aber auch um eine Familiengeschichte. Ihre Mutter fand das gut, weil die erste feministische Welle eher als reine Gegenbewegung entstand, gegen Ehe etc. Ihre Mutter fand schön, dass sie da etwas weitergedacht hat was diese „vielleicht schon begonnen hatte“. „Welche Internalisierungen hatte ich selbst“, hat sie hinterfragt. Ihre Großmutter war leider schon verstorben, als der Film fertig wurde.
Hedinger sieht diesen Prozess als „Potenzial der Heilbarkeit“. Das Beschreiben der Mutter ist „ja eine große Verantwortung“, ist es ihr leicht gefallen das Leben der Mutter zu beschreiben?
Für Pethke sind das die Essenzen des Filmemachens, „die Auslassungen, die Zuspitzungen“. Aber so einen Film zu machen ist natürlich stark mit ethischen Fragen verbunden. Natürlich konnte sie ihre Großmutter nicht mehr fragen, ob sie mit dem Film einverstanden wäre, daher musste sie sich das selbst beantworten.
Eine weitere Frage aus dem Publikum kommt von Joachim Schätz: „Reproduktion an der Kunsthochschule ist natürlich auch Reproduktion von Klasse (und Geschlechterordnung)“. Er findet, dass der Film das auch zeigt, dass er „ein bürgerlicher Familienroman“ ist. Was war da die Überlegung dazu, dass man das andere, marginalisierte nicht unbedingt reinholen kann?
Für Pethke geht es an der Kunsthochschule „klarerweise“ sehr viel um Sichtbarkeit, um Bilder zu machen. Was für sie aber auffällig war und was „am Ende immer noch zu sehen ist“, sind diese reproduzierten „Prototypen der Geschlechterrollen“ in der Institution (in den Skulpturen und dem Wandbild zum Beispiel). Diese Familiengeschichte ist eine von tausenden, die sich hier als Privileg abspielen und ihnen war es wichtig auch auf die ökonomischen Verhältnisse einzugehen. „Wer kann Kunst studieren nach dem Schutt und der Asche des 2. Weltkriegs?“
Im Stehen will Michael Baute jetzt wissen: Der Film versucht ja eine kritische Position zu diesen Bildern zu finden. Es gibt mehrere Erzählstränge – den des Wandgemäldes und die Reflektion und Interaktion mit dem Gemälde. Der Strang der unterschiedlichen Mutterskulpturen. Für ihn „initiiert der Film Interaktionen mit diesen Skulpturen“. Und baut im Schnitt Verhältnisse zu diesen Skulpturen auf, schneidet jedoch kurz davor weg und zeigt sie nicht in einer „befriedigenden Kadrierung“. Haben sie „revealende“ Bilder, die nicht den Weg in den Film fanden, wo man diese Skulpturen ganz zeigt? Er spricht die Suche „mit den langen Kameraflurfahrten“ an. Das Bild „vorenthalten und es antriggern“, können sie etwas damit anfangen, war das eine Überlegung von ihnen?
Rohrscheidt verneint dies. Natürlich zeigen sie auch fragmentarisch, an der – hier oft als Beispiel herangezogenen – Mutter-Kind-Skulptur in Stadtpark wird das später „ja klar eingelöst“, mit dem Wandgemälde starten sie gleich „direkt ohne Vorenthaltung“ ein. Sie haben versucht eher auf eine Augenhöhe zu kommen, einen Weg zu finden an die Architektur „neutraler heranzugehen“.
Hedinger spricht wieder „die Replikation“ der Frauenfigur im Park an: „Man sieht sie nur von hinten“ und nur das Kind, das ihr am Rock hängt – was war da die Entscheidung?
Quack stimmt zu – diese Frauenschicksals-Figur sieht man im Film von vorne nur im Katalog. Er hakt nochmal auf Bautes Gefühl (des Antriggerns) von vorhin nach und meint es hat eher mit den Auslassungen im Text zu tun. Er findet aber „rein visuell den Film sehr explizit“. Das Interesse war eher „wie es angeblickt wird“, nicht wie der Zuseher die Skulpturen sieht. Wenn man das von vorne sehen will, dann „muss man halt hingehen, ist sehr schön im Stadtpark“.
Hedinger bezeichnet jetzt das Implizite, dass der Text nicht alles auserzählt als Unterstützung des „leicht geisterhaften“.
Pethke stimmt zu, dass dieses geisterhafte auch der Ausgangspunkt für die Kamerafahrten in Alain Resnais „Letztes Jahr in Marienbad“ ist. Dieses „gestern-heute-morgen“ interessierte sie im Porträt eines Ortes einzufangen.
Ute Adamczewski hat nun eine Frage zu den anderen Formen von Text, die der Film abbildet. Die Szenen mit einer Kunsthistorikerin und die mit einem Architekten, die Architektur von einem anderen Standpunkt aus interpretieren. Hatten sie überlegt, eine Fassung ohne diese Stimmen zu machen und warum wollten sie diese im Film haben?
Pethke erklärt wer da im Bild war: Maike Bruhns hat ein Buch zu den Gebäuden von Fritz Schumacher herausgebracht. Für Pethke war es dieser Dialog zwischen wie diese Bilder jetzt nochmal reproduziert werden, eben auch in der Vermittlung des Fritz-Schumacher-Instituts, was das „Archivmaterial jetzt mit uns macht“: Dabei war es schlüssig, die Marina Abramović- Performance aus 1992 um das Warburg-Wandbild herum nochmal aufzugreifen, aber auch eine „Reproduktion was das heute für sie bedeutet“, welche neuen Bezüge sich da ergeben.
Eine letzte Publikumsfrage fokussiert auf die vielen Hände, die im Film sichtbar werden oder durch Archivmaterial blättern. Eine Person erkannte sie sogar an den Händen. Auch sind ihr die Hände an den Fotos aufgefallen, welche Hände sind das?
Pethke antwortet entlang des Konzepts: „Die Geste die der Film macht ist dieses vermeintlich Objektive vor sich herzutragen und erst später aufzulösen, dass es eigentlich eine sehr subjektive Perspektive ist.“ Die Fotos werden angesehen als Quellen zum Erschließen, als Frage zum Ganzen. Hedinger sieht darin eine Übersetzungsbewegung vom subjektiven über die Hände ins Objektive. Quack ergänzt abschließend, dass durch die unterschiedlichen Hände Bezüge geschaffen werden, die die Haptik des Filmes vor sich hertragen.