Film

Henry Fonda for President
von Alexander Horwath
AT/DE 2024 | 185 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
05.11.2024

Diskussion
Podium: Alexander Horwath , Michael Palm
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Maxi Braun

Synopse

Henry Fonda hat sich für die Maske des guten Amerikaners entschieden: Macht ihn das zum idealen Präsidenten? Sein ebenmäßiges Gesicht stiftet Nostalgie und spiegelt Gegenwart, durch seine Figuren nehmen wir die Welt wahr. Der Regisseur geht mit Fonda auf Spurensuche durch die USA, montiert eigene Bilder mit Interviews und Filmen Fondas. Ein Roadmovie, das historische Schneisen durch das amerikanische Selbstverständnis bahnt. Am Wegesrand: mythische Erzählungen und historische Reenactments – Weisen eingeübter Erinnerung.

Protokoll

Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal holt sie uns ein. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, „Henry Fonda for President“ am Vorabend der US-Wahl zu zeigen, weil wir morgen möglicherweise anders auf den Film blicken“, erklärt Alexander Scholz zum Auftakt des Gesprächs am späten Festivaldienstag. Auch das Protokoll schreibt sich am Tag danach, als die Wahllokale geschlossen sind und der Gewinner feststeht, weniger beschwingt als es das gestern noch der Fall gewesen wäre.

Davon wissen diejenigen, die nach Horwaths 185-minütigen Marsch durch die US-amerikanische Geschichte zur Diskussion stoßen, noch nichts. Scholz wählt zum Auftakt einen persönlichen Zugang. Er möchte von Horwath wissen, welche Rolle die „Urszene des Films“ – ein Foto des 15-jährigen Regisseurs auf einer Reise in Paris mit dem Vater auf einer Bank, beide trennt ein größerer Abstand – spielt, was es mit der persönlichen Rahmung insgesamt und seiner Identifikation mit dem Olympiasieger Gerd Wessig und dem Schauspieler Fonda auf sich hat. Horwath sieht darin eher ein Sympathisieren als dass er sich identifiziere. Die Ähnlichkeiten im Habitus von Wessig und Fonda seien ihm erst später aufgefallen, gibt er zu. Aufgrund seiner eigenen Skepsis gegenüber aktuellen, autobiografischen Essayfilmen, habe er auch keinen „Ich-Film“ machen wollen, seine spezifisch-individuelle Sichtweise streitet er aber nicht ab. Andere Menschen hätten eben andere Momente, Szenen und Ereignisse ausgewählt. Ihn habe besonders das Spannungsverhältnis zwischen den zunächst irrelevant scheinenden „Winzigkeiten“ und den großen Bögen der Geschichte gereizt. „Ich hoffe es wirkt nicht so, als würde ich euch mal eben die Geschichte der USA erzählen wollen?“, formuliert Horwath seine Zweifel und wirkt dabei sympathisch bescheiden. Genauso, wie er Fondas Persona im Film rekonstruiert.

Michael Palm berichtet auf Nachfrage von Scholz zu Verdichtung, Dramaturgie und Montage handfestes vom Entstehungsprozess: Das erste Exposé sei ausschließlich von Archivmaterial ausgegangen, erst durch das Einbeziehen von Horwaths persönlichem Zugang sei das Projekt überhaupt realisierbar geworden. Basierend auf zwei Drehs in den USA 2019 und 2021, bei denen an biografischen Stationen Fondas, an Drehorten seiner Filme und markanten Schauplätzen der US-Historie gefilmt wurde, sei dann ein Skript und schließlich ein fünf- bis sechsstündiger Rohschnitt entstanden.
Scholz hakt hier ein und will auf diese konkreten Orte des Schauspiels heraus, auf die Omnipräsenz der Inszenierung, die den Film durchziehe: „Das Re-Enactment hört niemals auf, oder?“ Horwath entgegnet, wir alle re-inszenieren Geschichte. In den USA sei diese Tendenz bloß stärker, was sich unter anderem in der Vielzahl an Freilichtmuseen zeige, in denen sogenannte „Interpreter“ einerseits historische Figuren spielen, andererseits den historischen Kontext der jeweiligen Zeit in die Gegenwart zu übersetzen versuchten. Diese Interpreter und Guides an ehemals schicksalhaften Orten wie einer US-Air-Force-Base aus dem Kalten Krieg, vermittelten Geschichte in einer filmreifen Sprache, die selbst aus dem Kino zu stammen scheine. Scholz versucht daran anknüpfend nochmal konkret zu werden und der Haltung des Films nachzuspüren. Er benennt die „auffällige Nonchalance, mit der hier Film- und Zeitgeschichte verflochten werden“ und fragt, ob das nicht auch eine Manipulation darstelle? Horwath weicht dem aus, stellt stattdessen einen Bezug zur Gegenwart her. Die ist im Film durch einen Auftritt eines Trump-Double am Times Square präsent, obwohl Fonda 1982 starb und mit dem Zeitpunkt seines Todes – von einem kleinen Epilog abgesehen – auch der Film endet. Ohne für die „MAGA“-Denke (Make America Great Again) oder alternative facts plädieren zu wollen, benutzt Horwath zufolge nicht nur die reaktionäre Politik Imagination, auch „progressive, humane“ politische Akteure kämen nicht ohne Inszenierung aus. Diese „Schleusen des Imaginären“ haben sich Horwaths Meinung nach schon Anfang der 1980er, mit der Wahl Ronald Reagans, geöffnet. Er betont erneut, es auch nicht besser zu wissen und losgelöst von den „Fesseln eines akademischen Kontexts“ assoziativ einer These nachgegangen zu sein. Sympathisch kultiviert er so seine eigenen Zweifel. Scholz weist daraufhin, dass ja auch Zweifel inszeniert werden könne und eine Form der Manipulation sei.

Danach wendet sich das Gespräch wieder dem Protagonisten Henry Fonda zu. Eine Zuschauerin schlägt vor, die Bildspur des Films zur Verfügung zu stellen und jemanden einen anderen Kommentar sprechen zu lassen. Sie findet den Hinweis zu den masculinity studies im Film spannend und hätte sich gewünscht, dass dieser Aspekt weiter aufgriffen wird, auch um ihrem Eindruck eines männlichen Blicks auf eine männliche Persönlichkeit und somit eine männlich geprägte US-Geschichte entgegenzuwirken. Horwath findet die Idee eines neuen Kommentars reizvoll. Das Argument der männlichen Sprechposition kann er zwar verstehen, erinnert aber an die weiblichen „Satellitenfiguren“, die im Film für einen bestimmten „Ideenhimmel“  stünden und die bisher wenig beachtet worden wären.
Außerdem plädiert Horwath an dieser Stelle für seine eigene Lesart Fondas, der im Vergleich zu anderen Archetypen seiner Zeit schon immer ein Mann gewesen sei, der gleichermaßen für das Brüchige, Widersprüchliche und Zweifelnde, wie auch für Integrität gestanden habe. All dies sind für Horwath Qualitäten, die er im amerikanischen Selbstbild vermisse.

Geht es in „Henry Fonda for President“ nun um (Film)Geschichte? Um Politik, Körperpolitiken, die Macht der Bilder, Männlichkeiten oder Horwaths dezidiert subjektiven Zugang zu und Umgang mit alldem? Scholz rekurriert mit seiner letzten Frage auf das Kino, das womöglich all das zusammenhalte – oder früher zusammengehalten habe. Horwath ist skeptisch. Zur Zeit von Fondas Karriere, zwischen 1930 und 1980, sei das Kino ein (wirk)mächtiger Ort gewesen. Heute müsste eine Geschichte wie diese über andere Medien erzählt werden. Der rückwärtsgewandte Diskurs, die Besinnung auf eine nostalgisch verklärte, glorreiche Vergangenheit Amerikas, die es wieder herzustellen gelte, habe mit Ronald Reagans Präsidentschaft begonnen. Wozu das geführt hat, sehen wir am Tag der Wiederwahl Donald Trumps.