Film

Operation Namibia
von Martin Paret
DE 2023 | 93 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
11.11.2023

Diskussion
Podium: Martin Paret
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

1976. Eine internationale Gruppe von Aktivist:innen macht sich mit dem Segelboot Golden Harvest auf den Weg, tausende verbotene Bücher von Portsmouth (UK) nach Walvis Bay in Namibia zu bringen. Erinnerungen in Briefen,Tagebucheintragungen und Fotos erzählen von einer idealistischen Mission, die mit zunehmender Reisedauer auch die Frustrationen und Gefahren der Überfahrt entblättert. Und die Strategien des Protests selbst hinterfragt: Können Bücher eine Revolution auslösen?

Protokoll

Die diesjährige Filmwoche schliesst passenderweise mit einem Film, der das von mehreren Filmen thematisierte „Verhältnis von Dokument und Erzählung nochmals auffächert“, wie Moderator Patrick Holzapfel es formuliert. Das Bora ist ordentlich von einem interessierten Publikum besucht, das bis zur letzten Vorführung und Diskussion ausgeharrt hat. Holzapfel will mit seiner ersten Frage an Regisseur Martin Paret wissen, wie das nicht bloss im Film verwendete, sondern den Film komplett ausmachende Archivmaterial vorlag. Da es aus diversen Quellen stamme, sei es weit verstreut gewesen, so Paret. Das meiste stamme aber aus einem Archiv der Universität Bradford. Viele der Fotos seien zudem von Kris Wood, der die Dias im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für das ehrgeizige Vorhaben gemacht hatte.

Holzapfel kommt auf Parets Bezug zum Film zu sprechen. Wie habe er von der Geschichte der Operation Namibia erfahren, und warum hätte er einen Film dazu machen wollen? Tatsächlich sei die Geschichte unerzählt gewesen, sagt Paret. „Ich und meine Familie wussten kaum etwas, Onkel Hans war bloss für einige Monate verschwunden und als er zurückkam, gab es so gut wie keine Gespräche darüber, was passiert war.“ Dies habe seine Neugier nur grösser gemacht. Da Hans kein grosser Geschichtenerzähler sei, habe er sich auf das Archiv abgestützt. „Mich hat vor allem interessiert, was intern ablief und nicht veröffentlich wurde“, erklärt Paret.

Die Strukturierung, etwa durch die Dramaturgie, sei beeindruckend, lobt Holzapfel. Er habe die Figuren fast wie in einem fiktionalen Film spüren können. Wie es zu diesem narrativen Faden gekommen sei? Paret hat damit angefangen, Material zu sammeln. Zu Beginn sei es reine Textarbeit, gewesen, ein Puzzlespiel zu verstehen, was passiert war. Dann habe er die Reiserouten und den zeitlichen Ablauf rekonstruiert und daraus habe sich die Geschichte langsam rausgeschält.

Holzapfel geht auf die vielen verschiedenen Stimmen der Crew und der Büros ein, die im Film zu Wort kommen. Nach was habe Paret dabei gesucht? Die Geschichtserzählung der Beteiligten sei von der Suche nach Schuld geprägt gewesen, erklärt Paret. Ihm sei es aber wichtig gewesen, eine Multiperspektive reinzubringen, womit er ein offenes Feld und einen Nachdenkraum erzeugen wollte. Die verschiedenen Stimmen, die man als Voiceover hört, sollen dieses multiperspektive Sprechen ermöglichen.

Auf der Ebene des Gehörten bleibend erkundigt sich Holzapfel nach dem Ton. Geräusche aller Art würden eingesetzt, ob dies von Anfang an so geplant gewesen sei oder es den Versuch gegeben habe, die Bilder für sich stehen zu lassen? „Es war ein ständiges Experiment, wie weit wir gehen können“, so Paret. Der Film könnte auch als Hörspiel funktionieren. Sie hätten versucht, eine emotionale Atmosphäre zu erschaffen, und dabei aber möglichst einfach zu bleiben, um keine übertriebenen „Mickey Mouse“ Effekte zu kreieren. Zudem sei es ihm wichtig gewesen, dass beim Voiceover Akzent und Dialekt jeweils korrekt sei.

Aus dem Publikum meldet sich eine Zuschauerin mit einer Verständnisfrage. Sie will wissen, wie Paret die Bilder zuordnen und die Chronologie rekonstruieren konnte. „Bei vielen Aufnahmen gab es Datierungshinweise“, sagt Paret. Sie hätten zudem lernen müssen, ihre Blicke zu schärfen, um etwa am Stand des Bootes im Wasser ablesen zu können, wann und wo es sich gerade befand.

Ein Zuschauer interessiert sich für die Frage der Rekonstruktion. Er bezieht sich auf das Anfangsbild, in dem Parets Reflektion im Diaapparat erkenntlich ist. Habe es Versuche gegeben, den Akt der Rekonstruktion für die Zuschauer:innen sichtbarer zu machen? Schliesslich hätte Paret durch seinen Onkel einen Bezug, ja eine Position in der Geschichte. Ja, es hätte mehrere Versuche gegeben, sich als Autor zu präsentieren, so Paret. „Ich habe aber bemerkt, dass nichts Wertvolles dazukommt.“ Wichtiger sei die Auswahl der Texte gewesen, von denen wir als Zuschauer:innen nur einen kleinen Teil hören. Paret habe seine Aufgabe darin gesehen, die Lupe an gewissen Orten hinzuhalten.

An dieser Stelle mischt sich Holzapfel nochmals in die Diskussion ein – warum es dann doch diese Anfangsszene gäbe? Einerseits wollte Paret zeigen, dass die Bilder als Diashow angelegt waren. Andererseits wollte er den Blick von aussen reflektieren, also was passiert, wenn zum Beispiel die Gruppe aus London auf die Crew blickt.

Für einen Zuschauer, der sich etwas später zu Wort meldet, sind die knapp gehaltenen verwendeten Briefausschnitte mehr wie Kurznachrichten. „Das Relevante wurde ausgewählt“, bekräftigt Paret nochmals seine Position. Es handle sich immer um eine Reduktion auf das, was man brauche, um verstehen zu können, was möglicherweise passiert ist.

Die Gruppendynamiken und Beziehungen der Crew zu den verschiedenen Büros beschäftigen das Publikum weiter, eine Zuschauerin merkt an, für sie sei der Brief Priscillas aus Philadelphia rausgefallen, weil sie ihre Beziehungsprobleme thematisiere. „Es ist markant, dass Priscilla die Einzige ist, die von ihrem Privatleben erzählt“, pflichtet Paret der Zuschauerin bei. Genau deswegen sei es ihm wichtig gewesen, diesen Aspekt reinzubringen. Einerseits erfahre man so viel über sie als Person, andererseits habe es ihm zum Aufschlag zu den Beziehungskrisen an Board gedient. Besonders die sich eskalierend verschlechternde Beziehung von Momo und Elise zum Rest der Crew hinterlässt offene Fragen. Doch Paret sagt, er wisse nicht mehr als die Zuschauer:innen – „alles, was ich dazu erfahren habe, ist im Film“.

Zum Schluss drehen sich die Fragen an den Regisseur um die Verbindungen des Films zur heutigen Zeit. „Eine Lücke, die nicht gefüllt wird, ist die Frage, ob die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia für Hans ein Thema war“, meldet sich ein Zuschauer zu Wort. Er hätte seinen Onkel danach gefragt, sagt Paret. Damals sei dieser Teil der deutschen Geschichte noch nicht so bekannt gewesen wie heute. Was aber bekannt war, war die Apartheid und gegen diese hätte sich Hans engagieren wollen.

Eine Zuschauerin sieht im Film einen Spiegel zur heutigen Zeit: Der bröckelnde Idealismus, die Diversitätsfragen und das Scheitern des Projekts sind nicht den 70er Jahren vorbehalten. Er sei über die eine oder andere Diskussion überrascht gewesen, sagt Paret. Es sei interessant gewesen zu merken, dass man vor 50 Jahren „auch schon so gedacht“ habe. Deswegen musste dies auch in den Film reinkommen. Und: Paret hofft, dass sein persönlicher Film nicht bloss eine persönliche Geschichte bleibt.