Synopse
„Als Tagesaufgabe, irgendetwas zu schaffen, was dir im Licht gezeigt wurde.“ Unter der grellen Sonne der Kanaren und in stroboskopisch erleuchteten Nächten errichtet Ralf utopische Gedankenräume: Der schizophrene Mann lebt abgeschieden in den vulkanischen Felsen Lanzarotes. Seine Sätze projizieren Bilder in eine unwirtliche Landschaft, in der Vorstellung und Wirklichkeit ineinanderlaufen und die aussieht, als sei sie fürs Science-Fiction-Kino erdacht.
Der Film verwendet Stroboskopeffekte.
Protokoll
Auf Paratexte des Kinos, zu denen in Duisburg entschieden auch das Sprechen über die Filme zählt, stößt das Publikum bei Ralfs Farben neben dem Plakat, das am Eingang des Filmforums im Schaukasten hängt, schon vor Beginn der Vorführung in einer besonderen Weise: Jede*r Zuseher*in erhält aus den Händen des Teams ein „Libretto“ betiteltes Bändchen, das die gesamt im Film gesproche Sprache enthält, im strophenförmigen Flattersatz, Lyrik ähnlich. Dem Text des Films, der uns hier in anderer Form nochmal als Paratext begegnet, kommt im Film denn auch eine besondere Rolle zu: Es sind – mit Ausnahme eines kurzen konfrontativen Dialogs zwischen Regisseur und Protagonist am Ende einer Autofahrt – ausschließlich dessen Sätze, die losgelöst vom diegetischen Raum des Films seinen Off-Text bilden, eine faszinierende und immer wieder opake Sprache, die sich in Spannung zu einer Bildebene bewegt, die vorwiegend aus Aufnahmen rund um Ralfs Lebensort auf Lanzarote entstanden sind, und sich wiederum in einer eigenwilligen Spannung zwischen konkreter Materialität und Abstraktion der organisch/anorganischen Welt bewegen. Im Text offenbart sich ein Denken, das eine schillernde Andersheit auszeichnet. Die sehende Arbeit des Herstellens von Bezügen, die Kontextualisierung des Textes als Schlüsselelement des Films überträgt sich in die Diskussion (wobei das sichtlich eingespielte Doppelconferance-Gespann Marxt/Petri immer wieder für Erheiterung und produktive Abschweifungen sorgt).
Im Rekurs auf die Diskussionen der beiden anderen Filme, die Marxt auf der Filmwoche präsentierte (Nella Fantasia, 2013, Diskussionprotkoll Nr. 9 und Double Dawn, 2014, Diskussionsprotkoll Nr. 2) bringt Jan Künemund zu Beginn den Begriff der Ekstase in Stellung, als Möglichkeit, um eine sinnliche Qualität des Films zu beschreiben, die sich einem hermeneutischen Zugriff entzieht.
Marxt erläutert zunächst einen Hintergrund der Entstehung: 2012 hatte er sich im Zuge seiner Diplomarbeit einem vierwöchigen Isolationsversuch auf Lanzarote unterzogen, nach einer Woche lernte er Ralf kennen und verbrachte die restlichen drei Wochen mit ihm, aus den aufgenommen und transkribierten Gesprächen entstand das Künsterbuch „It Seems To Be Lonliness But It Is Not“. 2015 reist er erneut hin und beginnt mit Einwilligung Ralfs mit der Arbeit an einem Film. Nach zwei Drehaufenthalten nehmen für Marxt die Komplikationen überhand: Ralfs Sprache und Denken kommen ihm selbst sehr nahe, es ist nicht mehr klar wie damit umgegangen werden kann. Eine der prekärsten Szenen des Films – der oben schon angesprochene angespannte Dialog im Auto – stammt aus dieser Solo-Drehphase. Aus einer freundschaftlichen Krisenunterstützung und Kameramitarbeit durch Petri entwickelt sich eine enge Zusammenarbeit, der Rest der Arbeit entsteht im Dreigespann. Dass er dem Protagonisten als dessen Anwalt vorgestellt worden war, entpuppte sich als Glücksfall. Der Knoten löste sich, die Arbeit im Dreieck hatte dann allen mehr Freude gemacht. Die Zusammenarbeit versucht, Ralfs Lebenwelt gerecht zu werden, und bedingt grundlegende ästhetische Entscheidungen, die sich in der Diskussion um die Komplexe Text / Körper / Ton & Bild bewegen.
Jan Künemund beschreibt seine eigene Wahrnehmungserfahrung auf Ralfs Sprache und das, wie der Film damit arbeitet. Für ein Denken, dass von unmittelbar wahrnehmbarer Andersheit ist, wirkt die Entscheidung der selbstbewusst groß und in Serifen gesetzten Untertitel, die in der deutschen Sprachfassung den Text nochmals verdoppeln, zunächst irritierend; andererseits betonen die Interventionen die Literarizität des Textes. Die Begriffe die Ralfs Denken hervorbringt – Planetenwerk, Phantasy und Halbphantasy –, das Kreisen um Wettbewerbe, Sprache die der Welt der Bau- und Elektrotechnik entlehnt scheint, changieren zwischen Übersetzbarkeit und Undurchdringlichkeit, Lesarten von Paranoia scheinen möglich. In Michael Petris Antwort auf diesen Fragenkomplex fällt zum ersten mal ein Begriff, den weder der Film noch der Katalogtext des Regisseurs gebrauchen: Schizophrenie. Schizophrene Sprache wirkt metaphernreich erklärt Petri in Verweis auf fachliche Diskussionen, Betroffene haben aber gerade kein Verständnis von Metaphorik, alles ist wörtlich. Der Begriff der Schizophrenie bleibt in der Diskussion gegenwärtig, verdichtet sich aber nie zu einer Pathologisierung, der die Ästhetik des Films durchaus entgegenarbeitet. Petri betont hier auch den poetischen Überschuss der Sprache, der eine einfache, deutende Reduktion sinnlos erscheinen lässt: Sie verlangt nach lyrischer Behandlung, und die Entscheidung sie im wie jenseits des Films in Schriftlichkeit zu übertragen, unterstreicht ihre Eigenständigkeit.
Der Text, der im Film präsent ist, ist das Resultat einer weiteren Verdichtungsarbeit: Aus Gesprächen aus über sieben Jahren entstand ein Konvolut von 200 transkribierten Seiten, der Text im Film entspricht davon ungefähr sechs Seiten. Es dauerte in der Montage noch zwei Jahre bis auf Petris Drängen, dass es anders kein Weiterkommen gäbe, die Arbeit an der Off-Erzählung in Angriff genommen wurde.
Die Ursprungsidee zur Inszenierung von Ralf ging in Richtung von Tableau Vivants, Ralf machte aber schnell klar, dass er sich darin nicht wiederfindet. Die Aufnahmen der Gespräche entstanden vor allem in Ralfs Haus, das als Ort, an dem er seine Gedanken entwickelt, auch eine Art Schutzraum für ihn ist. Das und der klare Wunsch, keinen Talking Heads-Film machen zu wollen, der einen Protagonisten mit seinen erbärmlichen Lebensverhältnissen bebildert, führen mit dem Wunsch, Ralfs Sprache und der von ihr ausgehenden Faszination visuell gerecht zu werden, zu einem dialektisch illustrierenden Verhältnis zwischen Gedanken- und Bilderwelt. Ralfs Filmkörper in seiner sportlichen Gespanntheit ist eine Entsprechung seines eigenen Darstellungswunsches, erklärt Marxt. Das weitgehende Fehlen eines sozialen Körpers des Protagonisten im Film entspricht seiner zurückgezogenen Lebensweise, mögliche Kontakte werden auch durch eine Sprachbarriere verstärkt. Ralf spricht Konversationsspanisch, kann seine Welt darin aber nicht zum Ausdruck bringen.
Im weiteren Verlauf der Diskussion unter Beteiligung des Publikums kommt die Genese spezifischer Bilder zur Sprache, eine Konstellation aus konzeptionellen Grundüberlegungen, intensiver Auseinandersetzung und kontingenten Prozessen. Ralfs Tanz im Stroboskop der kaputten Straßenlaterne etwa war ein Moment glücklicher Fügung, der sich am Ende eines langen Tages ergab und es erlaubt hat, eine länger existierende Idee, Ralf, der früher Rock ’n’ Roll-Tänzer war, in Szene zu setzen. Die Freude über die gelungen Szene wurde auf einem nächtlichen Hügel gefeiert, dort ergab sich das Bild der pockigen Mondoberfläche, die Assoziationen an Ralfs „Planetenwerk“ konkretisierbar machte. Beim Artefakt, das in der ersten Sequenz des Films in raumloser Dunkelheit umkreist wird, handelt es sich um ein Stück verbrannter Computerhardware, das in dem lodernde Feuer in einem der Betongebäude verbrannte. Ralf hatte den starken Wunsch, sich in einer Art Reinwaschung Dingen seines früheren Lebens, unter anderem als Paragliding-Lehrer, zu entledigen. Die anfängliche Weigerung Petris und Marxts, das umzusetzen, habe den Film nochmal auf die Probe gestellt. Die visuelle Eskalation in der Animationssequenz in der zweiten Hälfte des Films verbindet zwei Elemente: Ein Youtube-Video aus dem Genre des Black MIDI, das die graphische Oberfläche eines Soundprogramms zeigt, in dem Musik mit möglichst vielen Noten gebaut wird, gerade bis zur Belastbarkeitsgrenze des Prozessors. Das andere Element sind Graphiken, die Ralf in Microsoft Paint auf seinem Computer erstellt und „Tagesschlüssel“ nennt, ein visueller Niederschlag seiner Gedanken.
In Bezug auf die Tonarbeit erläutert der hinzugekommene Marcus Zilz, dass der Effekt, den Alex Gerbaulet für den Ton beschreibt, ein vermittelndes Verhältnis zwischen Bild und Text herzustellen, nicht die leitende Absicht der Arbeit gewesen sei, die intuitiver erfolgte, aber ein schönes Ergebnis. Die Notwendigkeit im Ton viel zu bauen habe sich auch dadurch ergeben, dass der Originalton oft windzerrauscht war, es ging auch um Fragen der Verortung der Stimme, der Suche nach einer Entsprechung zur surrealen Landschaft.
Die letzte Frage gilt Ralfs Verhältnis zu dem fertigen Film: Ja, er habe ihn gesehen, sei begeistert gewesen und habe viel gelacht, auch an unerwarteten Stellen. Bloß zu lang habe er ihn gefunden, 40 Minuten wären genug gewesen.