Film

Der Funktionär
von Andreas Goldstein
DE 2018 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
10.11.2018

Diskussion
Podium: Andreas Goldstein, Chris Wright (Schnitt)
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Mala Reinhardt

Synopse

Der Vater führt ein Leben im Sprechen, ein Leben im Apparat: Klaus Gysi ist Schauspieler der Macht; beherrscht ihre Gesten, die Choreographien öffentlichen Sprechens in der DDR. Er macht Karriere, solange Seilschaften funktionieren. Zuhause übt er Reden vor dem Spiegel. Seine Kinder, seine Familie erleben ihn nur in Momentaufnahmen, auf Probe.

Protokoll

Familiengeschichte, historische Betrachtung, Archivfilm: DER FUNKTIONÄR geht zugleich der Frage nach der Erinnerung Andreas Goldsteins an seinen eigenen Vater und dessen Position eines Funktionärs im politischen System der DDR an. Dabei weist der Film über das Familiäre hinaus. So entschied sich Andreas auch bewusst gegen den Arbeitstitel „Bilder meines Vaters“.

Neben Andreas sitzt auf dem Podium auch sein Editor Chris Wright. Gemeinsam berichten sie von der Entstehungsgeschichte des Films. Als Grundlage diente ein zwölfseitiger biografischer Text von Andreas über sein Verhältnis zum Vater. Darauf aufbauend fand die Recherche statt, die zur Entdeckung neuen Archivmaterials führte, wie beispielsweise der 1967 aufgenommen Talkshowrunde. Über einen Zeitraum von drei Jahren arbeiteten sie an dem Projekt, wobei Recherche und Schnitt parallel stattfanden. Zunächst stand eine vage Vorstellung von einer zweiteiligen Gliederung des Films im Raum, diese verwarfen Andreas und Chris jedoch im Prozess. Die größte Herausforderung sahen beide in der Gewichtung von privaten Erinnerungen und Materialien über die öffentliche Figur des Protagonisten Klaus Gysi. Intensiv setzten sie sich mit dem vorhandenen Archivmaterial auseinander und kombinierten dieses mit Fotos aus der Jugend von Andreas. Gezeigt wird darin der eher beiläufige DDR- Alltag. Als Ziel verfolgten sie die Nutzung atmosphärischer Momente statt einer Flut von Bildern. In Bezug auf das neu gedrehte Material entschied sich Andreas zunächst ausschließlich für Aufnahmen im Wald hinter seinem ehemaligen Elternhaus. Im Verlauf der Arbeit kamen die in Berliner Straßen gedrehten Szenen hinzu.

Das Material wird im Film vom Gegenwartsinteresse an einem vergangenen Staat zusammengehalten. Die Idee hierzu führt Andreas auf die Untrennbarkeit des Lebens seines Vaters vom staatlichen Apparat zurück. Als Kernsequenz dient das Archivmaterial, in dem Klaus Gysi im Interview über seinen Werdegang in der DDR spricht. Andreas verfolgt dabei keine historische Erörterung, sondern richtet seinen Fokus auf seine eigene damalige, wie heutige Wahrnehmung. So unterbricht Andreas’ Off-Stimme immer wieder die seines Vaters. Genau diese sehr starke Wertung des Materials durch den Regisseur, der im Film mit einer Ich-Stimme auftritt, wird vom Publikum heftig diskutiert. Zum einen wird gesagt, dass es kaum möglich sei ein wirkliches Verhältnis zur Figur des Vaters zu entwickeln, da der sehr didaktisch wahrgenommene Off-Text spezifische Interpretationsweisen vorgibt. Vor allem die immer wieder auftauchende Geschichte des Vaters über das Miterleben der Erschießung eines protestierenden Arbeiters durch die Polizei wird hierbei kritisiert. Für Andreas ist das wiederholte Aufgreifen der Geschichte stimmig, um verschiedene Perspektiven auf eine Thematik werfen zu können und historische Ereignisse von verschiedenen Seiten abzutasten. Der Sprachduktus, in dem er dies tut, wird nichtsdestotrotz von einigen als Mehltau bezeichnet, einer von Andreas bewirkten Verfestigung ganz bestimmter Verhältnisse und Umstände, die keine andere Interpretation erlauben. Andreas hingegen selbst sieht neben dem genannten „Ich“ auch ein „Wir“ im Film. Er habe seine eigenen historischen Erfahrungen im Film untergebracht und aus der heutigen Zeit, die er als einen Moment der kapitalistischen Krise wahrnimmt, die Möglichkeit gesehen, mit dem Material und den Erinnerungen aus der DDR arbeiten zu können. Eine Projektion auf die Zukunft habe er dabei nicht vorgehabt. So suchte er durch die Geschichte seines Vaters keine Antworten auf eigene Fragen an die Zukunft. Klaus Gysi war als Funktionär auch in einer vollkommen anderen Situation: Sollte sich nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraums „die Zukunft“ einstellen, nämlich die Utopie einer sozialistischen Weltordnung, gab es keine Berechtigung der Tätigkeit der Funktionäre.

„Film ist ein dummes Medium!“, wirft Chris im Laufe der Diskussion provozierend ein. Laut ihm sind bestimmte Dinge nur schwer abbildbar, so könnten komplizierte und informationsbasierte Verhältnisse im Film nur auf begrenzte Weise anschaulich gemacht werden. Nicht zuletzt deswegen findet immer wieder der Rückbezug auf Andreas’ eigenes Verhältnis zum Vater auf verdichtete und reduzierte Art und Weise statt. Später nimmt Chris von seiner Aussage zur Dummheit des Films als Medium Abstand.

Weitere Fragen betreffen die Überlegungen zur Konzeption des Sounds, die auf einige elegisch wirkte. Chris beschreibt, wie sie sich an den Fotos orientierten, die oft in einer Bewegung aus der Hüfte geschossen worden waren. Genauso, wie die Kamera einen Raum erkundet, wollen sie diese Lebendigkeit im Ton aufgreifen. Im Internet stießen sie auf eine für Hörspiele vorgesehene Soundbibliothek mit Tönen und Geräuschen aus der DDR. Die Nutzung von Musik von Hans Eisler wiederum bezieht sich nicht unbedingt auf den Musikgeschmack Klaus Gysis. Dieser hörte laut Andreas kaum Musik.

Der Film arbeitet damit, bestimmte Informationen bewusst auszulassen. So werden auch einige Nachfragen zur Biografie des Protagonisten gestellt. Im Film war beschrieben worden, dass er 1939 im Auftrag der Kommunistischen Partei nach Paris ging und ein Jahr später nach Deutschland zurückkehrte. Welche Erfahrungen hatte er als Jude im Nazideutschland gemacht? Andreas zufolge hatte Klaus Gysi, Sohn einer jüdischen Mutter und eines deutschen Vaters, keine Verbindung zur Religion. Die Tatsache und Bedeutung davon, dass er „Halbjude“ war, wurde Klaus Gysi sogar erst in dieser Zeit klar.

An das Festival gerichtet, wird angemerkt, dass es in diesem Jahr eine Vielzahl autobiografischer und archivbasierter Arbeiten gegeben hatte. Dies ist jedoch nicht als Auswahlkriterium der Kommission zu verstehen. So mag in diesem Jahr zwar eine hohe Anzahl solcher Arbeiten im Festivalprogramm auftauchen, jedoch werden auch immer sehr viele autobiografische und/oder an Archivmaterial orientierte Filme eingereicht. Dass das diesjährige Festival mit der westdeutschen Geschichte KULENKAMPFFS SCHUHE eröffnet und mit der ostdeutschen Geschichte DER FUNKTIONÄR abschließt, wird im Publikum als gelungene Rahmung angesehen.

 Mala Reinhardt © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Mala Reinhardt © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald