Film

27. Februar
von Marie-Thérèse Jakoubek
DE/DZ 2018 | 47 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
06.11.2018

Diskussion
Podium: Marie-Thérèse Jakoubek, Johannes Frese (Ton)
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Lager, Krankenhaus, Parkplatz sind im algerischen Staub die Eckpfeiler einer konservierten Notlösung. Unter wolkenlosem Himmel harren Vertriebene aus der Westsahara. Staatenlose in vertrauter Kommunität – beim Wunden lecken und Feiern verblüffender Teezeremonien; beim Tradieren neuer, behelfsmäßiger Bräuche und abendlichen Sinnieren über eine selbstbestimmte Zukunft.

Protokoll

Wüste.

Ein Kamel wird in einer kargen Sandlandschaft auf einen Pick-up verlanden.

Es protestiert. Männer mühen sich ab.

Es scheint nicht zu gelingen.

Dieses Bild aus dem Film 27. FEBRUAR von Marie-Thérèse Jakoubek scheint für viele im Publikum Sinnbild für die Situation der Menschen, die aus der Westsahara vertrieben wurden. Als Symbol einer Umsiedlung, eines Wartens, einer Resignation.

Aber wie ist die Filmemacherin überhaupt an diesen Ort gelangt, fragt sich Till Brockmann. Der Süden Algeriens sei sicherlich kein Gebiet, wo man zufällig vorbeikomme.

Wege in die Wüste

Marie-Thérèse erzählt, dass sie bereits vor acht Jahren mit zwei anderen ein Fotoprojekt in den Lagern im Süden Algeriens realisierte. Ihr Fokus lag damals auf den sahrauischen Frauen. Die Idee dafür entstand, da eine der Projekteilnehmerinnen Arabistik studierte und ihre Diplomarbeit über den Westsaharakonflikt schrieb, jedoch die Lager selbst nie besucht hatte. Die daraus resultierenden Frauenporträts weckten bei Marie-Thérèse den Wunsch, dort einen Film zu drehen. Das gestaltete sich jedoch schwierig, da man sowohl ein Visum für Algerien als auch eine Einladung in die Lager brauchte. Drei Jahre nach dem Fotoprojekt startete sie einen ersten Versuch, bekam jedoch zwei Wochen vor Abflug das Visum nicht. So konnte sie erst nach sechs Jahren mit einem Filmteam zurückkehren.

Spuren eines Konflikts

Entstanden ist ein Lagerfilm, meint Werner Ružička. Über die Jahre wären viele Filme dieses Subgenres eingereicht wurden und die meisten hätte man abgelehnt. Bei 27. FEBRUAR war das anders. Der Film sprengt für Werner den Begriff „Lager“ und das, was man normalerweise davon zu erwarten sieht. Eine Stimme aus dem Publikum meint daraufhin, dass man schon gar nicht mehr von Lagern sprechen könne, denn dieser Begriff wäre mit einem temporären Dasein verbunden. Die Lager bestehen jedoch schon so lange, dass sie eben schon zu Städten geworden sein. Marie-Thérèse erklärt, dass dieser Zustand tatsächlich paradox sei, aber die Leute vor Ort darauf bestehen, dass es Lager seien, und sie ihre Häuser, auch wenn es tatsächlich mittlerweile welche sind, Zelte nennen. Denn sie hoffen auf eine Rückkehr in die Westsahara.

Interessant wäre für ihn zu wissen, meint Till Brockmann, wie man auf die Filmemacherin vor Ort reagiert hätte und wie es generell um die Medienpräsenz vor Ort stehe. Der Konflikt sei zwar bekannt, aber irgendwie auch medial vergessen. Marie-Thérèse erzählt, dass es kaum Medienpräsenz in den Lagern gebe. Die Bewohner selbst waren sehr freundlich und jeder wurde gefragt, ob man ihn drehen dürfe. Es wollte nie jemand nicht. Nur bei einer am Anfang ins Auge gefassten Protagonistin flaute die Begeisterung etwas ab, als sie merkte, wie zeitaufwändig und mit wie vielen Wiederholungen das Filmen verbunden ist.

Annäherungen an einen Ort

Der Filmemacherin und ihrem Team blieben aus Visumsgründen nur zwei Wochen, um in den Lagern zu drehen. Deswegen war es von Anfang an ein sehr konzentriertes Arbeiten, berichtet Marie-Thérèse – mit viel Austausch zwischen ihr und Kameramann Max Sänger.

Zunächst ging es darum, einen Ausgangspunkt für ihr filmisches Arbeiten zu finden, da es beim Drehen noch keine klare Struktur für den Film gab. So stießen sie in den ersten zwei Tagen auf das Krankenhaus und blieben dort für ungefähr eine Woche.

Entstanden ist eine eher atmosphärische Betrachtung der Lebenswelt in den Lagern, bemerkt eine Stimme aus dem Publikum. Beim Gucken habe er sich, sagt dieser Zuschauer, fast mehr Szenen aus dem Alltag gewünscht, um näher an den Menschen zu sein. Er fragt, wann und warum Marie-Thérèse sich gegen einen Protagonistenfilm entschieden hat. Marie-Thérèse erklärt, dass es ein langer Prozess war, sich gegen eine Protagonistin zu entscheiden. Zu Beginn der Dreharbeiten war sie sich eigentlich sicher, dass sie keine Protagonistin bräuchte. Dann kamen jedoch Zweifel, ob es nicht doch notwendig sein könnte, das jemand durch den Film leitet. Statt einer Protagonistin entschied sie sich dann für das Voice-over als Leitfaden.

Und auch eine Kapitelstruktur mit den drei Kapiteln Lager, Krankenhaus und Parkplatz organisiert und leitet durch den Film. Till Brockmann fragt, wie die Idee, den Film in Kapitel zu ordnen, entstand und ob es für Marie-Thérèse symbolische Orte seien, nach denen die Kapitel benannt sind. Die Filmemacherin erzählt, dass die Kapitel erst im Schnitt entstanden, auch wenn klar war, dass man unterschiedliche Orte in den Lagern thematisiert. Das Krankenhaus steht für sie dabei für eine private, weiblich konnotierte Sphäre. Etwas das im Versteckten passiert. Der Parkplatz hingegen ist für sie eine sehr männliche, sichtbare, öffentliche Sphäre. Die Reihenfolge der Kapitel sei im Schnitt lange anders gewesen. Da stand zu Beginn das Kapitel Krankenhaus. In Gesprächen mit Freunden, die den Film sahen, wurde ihr jedoch klar, dass es eine große Desorientierung gibt, wenn der Film zu Beginn kein Ankommen, keine Einführung in die Lager hat. Obwohl eine leichte Desorientierung und ein langsames Einfinden durchaus von ihrer Seite intendiert waren, wurde ihr bewusst, dass die ersten Bilder mit Wissen aufgeladen sein müssen. Auch wenn die eigentlichen Einführung in den Konflikt erst am Ende kommt, wie Till Brockmann bemerkt.

Der Spagat, wie viele Informationen man dem Zuschauer geben müsse, war stets eine wichtige Frage für Marie-Thérèse. Beispielsweise leben viele Sahrauis einen Teil des Jahres in Spanien. Das sei natürlich ein großer Unterschied zur Wüste, aber ein zusätzlicher Dreh dort hätte für die Filmemacherin den Rahmen gesprengt. Sie wollte die Informationen reduziert halten und sich auf einen Ort konzentrieren. Trotzdem wollte sie auch nicht alles mit Informationen überfüllen. Als jemand, der den Westsaharakonflikt kenne, sei es ihr schwer gefallen zu sondieren, welche Informationen notwendig sind.

Die Entscheidung für eine Kapitelstruktur scheint Werner Ružička wie eine Art Entschlüsselung, die er nicht so gut findet. Für ihn sei es ein Versuch, künstlich Ordnung herzustellen. Marie-Thérèse berichtet, dass es auch andere Überlegungen gab die Orte zu verbinden, wie beispielsweise inszenierte Gänge. Inszenierungen, bemerkt Till Brockmann, gäbe es trotzdem noch im Film, auch wenn dieser weitestgehend beobachtend sei. Zum Beispiel der Malhafa-Kauf oder der Aufbau des Zeltes in der Wüste. Ob dies ein Angebot der Menschen vor Ort war, fragt er Marie-Thérèse. Diese antwortet, dass sie die Szene mit dem Aufbau des Zeltes bereits vor acht Jahren im Kopf hatte, weil ihr die Geschichte, dass die Frauen ihre Zelte aus ihrer eigenen Kleidung bauen, sehr wichtig schien. Es war klar, dass dies inszeniert sein würde und Glück, dass zu diesem Zeitpunkt ein Zelt vorhanden war – und Frauen mit Erfahrung, da es sehr windig in der Wüste gewesen sei.

Ein Spiel aus Distanz und Nähe

Pepe Danquart kommt nochmals darauf zu sprechen, dass auch er sich, als er das Wort „Lager“ hörte, den Ort ganz anders vorgestellt hätte. Mit Zäunen und Wachen und nicht als Wüstenstadt mit Wind und Weite. Er lobt die konsequente Kamerahaltung Max Sängers.

Till Brockmann fragt genauer nach. Das Kamerakonzept scheint ihm klar: Keine Bewegung, weitwinklig, eine gewisse Leere. Bilder von Isolation, die bruchstückhaft bleiben. Was waren die Ideen, möchte er wissen. Max Sänger und sie hätten sich vorher technisch festgelegt, erklärt Marie-Thérèse. Dass es eine fixe Kamera vom Stativ sein soll, stand für die beiden sehr schnell fest. Sie habe die Idee gehabt, nur mit einer Optik zu arbeiten: 25mm. Max war davon sofort begeistert. Er mochte die Eingrenzung. Auf Bildebene entstand so ein sehr distanziertes Bild, was häufig durch die Nähe auf der Tonebene gebrochen wird. Ein für die Filmemacherin wichtiges Spiel aus Distanz und Nähe.

Man höre oft mehr als man sehe, bemerkt Till Brockmann. Eine Konstante auf der Tonebene sei für ihn der Wind. Das ist für einen Tonmenschen natürlich Fluch und Segen zugleich. Er möchte wissen, wie Johannes Frese als Tonmann damit umgegangen sei. Johannes erzählt, dass er die meiste Zeit versucht hat, das Mikrofon möglichst nah an seinem Körper zu halten und so den Wind abzuschirmen. Ihm standen nur ein Richtmikro und ein kleines Aufnahmegerät für Atmos zur Verfügung. Anschließend habe er für einen guten Foley artist gebetet, bemerkt er lachend. Viele der Szenen im Film seien auch Foleys, beispielsweise der Brotkauf oder die Zeltszene. Und dann gibt es natürlich noch das Voice-over.

Dies sei in einem langen Prozess entstanden, sagt Marie-Thérèse. Das einzige Gespräch, was sie vor Ort aufgenommen hätte, wäre das Gespräch über Krieg oder friedliche Demonstrationen am Ende des Films. Der Rest wurde erst im Nachhinein erstellt, als Marie-Thérèse klar wurde, dass nur die Bilder nicht reichen würden. Die erste Version hat sie jedoch auch verworfen und ist nochmals hingefahren, um eine zweite aufzunehmen. Sie hatte lange gehofft, dass es ohne Voice-over gehen würde, weil es eben so schwierig sei, ein gutes zu erstellen. Und dann musste dieses auch übersetzt werden. Eine weitere Herausforderung, da die Filmemacherin kein Arabisch spricht. Wobei die Menschen vor Ort, erzählt Marie-Thérèse, Hassania sprechen, eine Mischung aus Arabisch und Berberisch. Sie vergleicht es mit einer Deutschen, die Holländisch hört. Man denkt man versteht es, aber eigentlich versteht man gar nichts. Deswegen brauchte sie einen spezialisierten Übersetzer. Das gestaltete sich in Deutschland aber sehr schwierig, da es hier nur sechs Sahraui gibt, die das offiziell können. Werner Ružička bemerkt, dass es tatsächlich sehr schwer ist, gute Voice-over zu erstellen, er aber das Schlusswort im Film großartig finde, nämlich, dass die Lager nach Städten in der alten Heimat der Vertriebenen benannt seien. Ein hoffnungsvolle Geste.