Film

Tiere und andere Menschen
von Flavio Marchetti
AT 2017 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
08.11.2017

Diskussion
Podium: Flavio Marchetti
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Roxana Reiss

Synopse

Nacken kraulen und Hals fixieren, Nähe und Notwendigkeit: Im Wiener Tierschutzhaus werden verletzte und verstoßene Tiere versorgt, verarztet und vermittelt. Das Personal erwidert durch Käfiggittergeworfene Blicke, die zur Einfühlung einladen, und verwaltet die Ungeduld, die ihre Schützlinge erdulden müssen. 

Protokoll

Die „Schwedenbombe“ ist eine Zuckerbombe im Becher, eine Wiener Spezialität, erklärt der Filmemacher Marchetti zu Beginn der Podiumsdiskussion. Im Film findet sie Erwähnung als Pillen-Schluck-Hilfe für den Primaten und Protagonisten Rosi. Das klinge fast nach einer Verwechslung von Kindern und Tieren, erfasst der Moderator der Diskussion, Sven Ilgner. Ob man in Gefahr laufe sich bei der Arbeit mit den Tierchen in Niedlichkeiten zu verlieren? Flavio Marchetti erzählt von einer großen Emotionalität bei der Arbeit. Tiere leiden und sterben vor laufender Kamera – die Notwendigkeit eine dicke Haut zu entwickeln, ist groß. Von Sven Ilgner erfährt das Publikum, dass der Filmemacher selber inmitten eines tropischen Gartens mit Mäusen, Kaninchen, Katzen (u. v. m.) aufgewachsen ist.

170 Jahre existiert das Wiener Tierschutzhaus als Anlaufstelle für Tiere, – der Regisseur korrigiert sich – für Menschen mit Tieren, die Hilfe brauchen. Hier werden täglich 50 Wiener Tauben verarztet. In der Erwartung mit offenen Armen als Tierretter empfangen zu werden, habe er schnell verstanden, dass es den Mitarbeitern einzig um das Wohl der Tiere geht. Das Heim legt hierbei einen großen Fokus auf eine sinnvolle Verteilung und Zuordnung zwischen Tier und Mensch: Ein Mensch mit Vollzeitjob bekommt hier kein Haustier. Dies ist deutlich spürbar in einigen Szenen zwischen Mitarbeitern und den Interessierten. Der Filmemacher unterstützt diese Härte, fügt er dem Gespräch hinzu.

Sven Ilgner ist an dem filmischen Umgang und Unterschieden beim Filmen von Mensch und Tier interessiert. Flavio Marchetti habe lange recherchiert und letzten Endes lag die Herausforderung darin, eine andere Herangehensweise zu finden als die allgemein bekannten Tierdokus. Der Filmemacher entwickelte ein Interesse am Blick der Tiere, den er spannender empfand, als die Menschen abzubilden. So machte er sich zum Ziel eine Blickveränderung auf den Menschen zu erarbeiten. Wenn wir lange auf die Tiere schauen und dann zum Menschen gehen – welche Tiere sehen wir in den Gesichtern?

Auf die Frage Ilgners, wie die Zusammenarbeit mit den Tieren aussah, entgegnet der Regisseur, dass ein fähiges Empathievermögen besonders wichtig war. Außerdem, fügt er hinzu, gab es auch hier Grenzen, so wie bei der Arbeit mit Menschen. Er habe es vermieden sich abends nach Drehschluss mit den Schimpansen auf ein Bier zu treffen. Dennoch gab es den Deal mit den Pflegern, dass auch der Filmemacher nach all dem Bildernehmen etwas zurück geben solle und so übernahm er nach den Dreharbeiten den ältesten und abgefucktesten Hund, Timmi.

In der ersten Anmerkung einer Zuschauerin wird mehr Einblick in die Institution gewünscht: Wie wird das Heim finanziert? Welche Beschränkungen gibt es? Die Konzentration auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier habe ihr nicht gereicht. Marchetti erzählt, dass er sich in einem schmerzhaften aber befreienden Prozess von diesem schon gedrehten Material getrennt hat, denn das hätte einfach nicht reingepasst.

Sven Ilgner kommt auf den Titel zu sprechen und empfindet die Setzung müsste umgekehrt lauten: „Menschen und andere Tiere“. Auf jeden Fall sähe er Tiere und andere Menschen nicht in dem Film. Der Regisseur spricht von den Schwierigkeiten der Titelfindung, findet jedoch, dass die Ähnlichkeit von Mensch und Tier (Schimpansen) im Film sichtbar wird. Eine humorvolle Entschuldigung folgt, dass der Titel sich nicht mehr ändern ließe.

Ein Zuschauer merkt an viel „Zucker“ im Film gesehen zu haben, auf die Spitze getrieben durch die Auflistung aller Tiernamen des Heimes im Abspann. Auch der Spendenaufruf wirke auf ihn eher wie ein Werbefilm für die Institution. Für Flavio Marchetti bedeute dies Danke sagen, außerdem stellt er die Frage in den Raum, ob es nicht etwas über uns Menschen aussage, dass der Name Asterix fünf Mal in der Auflistung auftaucht.

Währenddessen bekennt Sven Ilgner Orientierungsprobleme in der Architektur des Tierheimes, durch ungenaue Raum Auflösungen in den Einstellungen der Kamera. Der Regisseur entgegnet, dass es ihm vor Ort ähnlich ging und das Drehteam sich selbst einmal verlaufen hat. Die Ordnung hat er selbst nicht genau finden können und erschien ihm demnach nicht wichtig im Film darzulegen.

Eine Wortmeldung kommt von Rüdiger Suchsland aus dem Publikum: Er interessiert sich für strukturelle Entscheidungen, die der Filmemacher getroffen hat. Wieso wisse man über ausgewählte Tiere und ihre Krankheitsgeschichten mehr als über andere? Das Publikum erfährt, dass Flavio Marchetti auch hier mehrere Geschichten gedreht hat, die allerdings in Sichtungen mit seinem Filmteam als weniger interessant empfunden wurden. Statt viele einzelne Schicksale sichtbar zu machen, bauten sie zwischendurch auf assoziative Sequenzen. Für Suchsland bleibt sein Anliegen unbeantwortet: Dies sei keine Kritik, denn ihm gefiele der Film sehr, allerdings erkenne er emotionalisierte Schnittstrategien. Der Regisseur entgegnet, dass der Faden des Films Empathie sei. In bestimmten Schnitten bekamen Zuschauer den Eindruck er wolle sich über die Menschen im Vergleich zu den Tieren lustig machen, dies war nicht Ziel des Schnitts, viel eher der Versuch, Raum für Widersprüche entstehen zu lassen. Außerdem reagiere jedes Publikum unterschiedlich, so wie heute viel gelacht wurde.

Flavio Marchetti erzählt auf Wunsch eines Zuschauers die Geschichte der zwei Schimpansen die übrigens im selben Jahr geboren wurden wie der Filmemacher selber. Er verrät wie das Filmteam eine Blackmagic Kamera in einer 60 kg schweren Holzkiste versteckte, die das Verhalten der Hunde in ihren Käfigen einfing.

Auf die Frage aus dem Publikum warum es zum Einsatz von Musik im Abspann kam, wobei der Film doch so gut ohne auskam, entgegnet der Regisseur: Der Song „You’ll be fine“, der von einer befreundeten Musikerin komponiert wurde, die ebenso mit Tieren arbeitet, empfand er für sehr passend. Außerdem ist er ein großer Fan der Mischung aus Harfe, Klassik und Synth.

Ob die Frage jemals im Raum stand während der Dreharbeiten die Mitarbeiter und Pfleger des Tierschutzheimes zu interviewen, ist eine letzte Frage aus dem Publikum. Das sei für Flavio Marchetti nie ein Thema gewesen, entgegnet dieser. So nahm er die Mitarbeiter als medienscheu war und entdeckte ihren „Interviewknopf“, der sich in vorherigen Fernsehinterviews sichtbar einstellte. Außerdem entspreche dies nicht seinem Geschmack.

Sven Ilgner wirft einen letzten Blick in „die Manege, in den Käfig“ bevor er das Podium beendet.