Film

Mei
von Dandan Liu
DE 2017 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
11.11.2017

Diskussion
Podium: Dandan Liu, Solveig Klaßen (Produktion/KHM)
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Jan Harms

Synopse

Seit ihrer Scheidung führt Lao Mei kein Badehaus mehr, sondern arbeitet fest zupackend in einem. Einst wusste sie, welche Offiziellen man schmieren musste, nun werden Wasserdampf und Schweiß auf ihren Schultern eins. Im Dunst einer Damensauna in Zentralchina badet, föhnt, massiert sie – dient sie ihren Kunden. 

Protokoll

MEI, der erste Film von Dandan Liu, der auf der Duisburger Filmwoche seine Uraufführung feiert, gibt Einblicke in das harte und beschwerliche, aber nicht hoffnungslose Leben der namengebenden Protagonistin. Mei, gleichzeitig Mutter der Regisseurin, muss nach dem Verlust ihres eigenen Badehauses nun selbst wieder in einem solchen arbeiten. Aus nächster Nähe, teils durch ein vom Wasserdampf beschlagenes Objektiv, zeigt Liu diese intime Tätigkeit, begleitet ihre Mutter und lässt sie erzählen.

Für den Einstieg in die Diskussion greift Sven Ilgner den Beginn des Films auf, in dem eine Stimme aus dem Off einen Moment der Verlorenheit und Einsamkeit beschreibt. Auf diese Weise werden dem Publikum erste Informationen über das Fehlen von „ihm“ – Meis Exmann, Vater der Regisseurin – vermittelt. Dandan Liu erklärt, dass es sich bei dem Text um einen Tagebucheintrag handelt, den sie nach dem Frühlingsfest mit ihrer Familie angesichts der Einsamkeit ihrer Mutter verfasste. Auf spätere Nachfrage aus dem Publikum führt sie weiter aus, dass sie in dem Voice-over auch eine Möglichkeit sieht, ihre Motivation für den Film einzufangen: „Er“ sollte wenigstens auf diese Weise am Anfang des Films vorkommen, weswegen sie sich im Schnitt für den Beginn mit dieser Sequenz entschied. Auch die folgende Szene, bei der sie mit ihrer Mutter die verlassene und verfallende Sauna des Vaters besucht, nahm sie erst ganz am Ende der Dreharbeiten spontan und ohne Stativ auf. Gemeinsam mit den Schilderungen der Mutter am Ende des Films bilden diese Szene so eine Rahmung, die als Erklärung für die im Hauptteil gezeigte Situation fungiert.

Die Dreharbeiten für MEI begann Liu 2016. Über einen Zeitraum von etwa drei Wochen begleitete sie ihre Mutter bei deren Arbeit in der Sauna, aber auch zu Hause. Dabei entstand weiteres Material, etwa das gemeinsam mit der Familie gefeierte Frühlingsfest – die Filmemacherin entschied sich jedoch, diese Szenen nicht in den Film aufzunehmen. Zu sehr erschienen sie ihr als eine Ausnahme vom Alltag der Mutter, die einen Großteil ihrer Zeit in der Sauna verbringt, dort sowohl lebt wie auch arbeitet. Eine Frage aus dem Publikum thematisiert diese Fokussierung auf das Private zugunsten größerer sozialer Kontexte. Dandan Liu bekräftigt die Absicht, mit dem Film ein Einzelportrait von Mei schaffen zu wollen, das Einbeziehen des sozialen Umfelds sieht sie als eine zu starke Ablenkung von deren alltäglichem Leben.

Den Blick der Kamera auf Meis Arbeit im Badehaus empfand Sven Ilgner teils als sehr direkt, beinahe penetrant, die Reaktion der Mutter darauf aber als äußerst liebevoll. Er schließt daran die Frage nach den Dreharbeiten im intimen Raum der Sauna an, wie mit den Schamgefühlen der Gäste, aber auch den eigenen, umgegangen werden konnte. Liu näherte sich dem Dreh an, indem sie zunächst einige Tage nur beobachtend im Badehaus verbrachte, auch, um die Positionierungen in den engen räumlichen Gegebenheiten zu testen. Später achtete sie beim Filmen darauf, die Gäste nur anonymisiert, ohne Gesicht zu zeigen. Dabei verfolgte Liu durchaus auch den Anspruch einer ästhetischen Darstellung, im Zentrum stand aber immer die Arbeit der Mutter.

Sven Ilgner zeigt sich beeindruckt von Meis Aussage, man könne sich nur selbst trösten, und merkt an, dass der Film an solchen Stellen vom bloßen Portrait zum Dialog zwischen Mutter und Tochter wird. Dandan Liu beschreibt, wie sie ihrer Protagonistin beim Erzählen freien Lauf ließ, den diese nutzte und sich sehr offen zeigte. Die Filmemacherin entdeckte so die positive Einstellung ihrer Mutter, die sie sehr zu schätzen lernte. Ilgner fragt nach, ob sich durch diesen Prozess auch die Beziehung zwischen beiden verändert habe, sich teils auch Überraschungen ergeben hätten. Für Liu hat sich vor allem im Schnittprozess ein neuer Blick auf ihre Mutter ergeben, sie empfand großen Stolz für deren Leistung und Einstellung zum Leben. Beim Dreh habe sie gemerkt, wie sich die Distanz zwischen beiden zunehmend verringert habe.

Die Räume der Badehäuser, erläutert Dandan Liu auf Nachfrage aus dem Publikum, bilden grade im ländlichen China traditionell einen Ort, der von beinahe allen Menschen genutzt wird. Insbesondere im Winter bieten sie auch einen Treffpunkt, bei der im Film gezeigten Sauna handelt es sich eher um eine Sauna niedriger Preisklasse, deren Nutzung sich in den Arbeitsalltag der Menschen integriert. Joachim Schätz erkundigt sich, inwiefern die privat geführten Badehäuser auch auf eine spezifische Phase in der Entwicklung eines kapitalistischen Systems in China verweisen. Solveig Klaßen merkt hierzu an, dass ursprünglich alle Badehäuser staatlich waren und erst wirtschaftliche Umbrüche in den 1990er-Jahren die heutigen Besitz- und Beschäftigungsverhältnisse hervorbrachten, die vor allem auf die Arbeitskraft von Wanderarbeiterinnen setzen. Dieser Wandel beeinflusst auch die Lage Meis, die nach ihrem ökonomischen Fall auf keine Versicherungen oder Rücklagen setzen kann und auf ihre Kinder als Absicherung angewiesen ist. Angesichts dieser Situation fragt Ilgner, wie die Mutter zu der Berufswahl der Tochter, als Filmemacherin zu arbeiten, steht. Liu erklärt, ihre Mutter äußere zwar weniger Stolz für diese Entscheidung, ließ ihr aber immer große Freiheit in der Wahl ihres Lebenswegs.

In den Fragen aus dem Publikum gibt es viele lobende Kommentare, eine Zuschauerin spricht ihre Hoffnung aus, dass der Film im deutschen Fernsehen gezeigt werden könne, um der in ihren Augen defizitären Beschäftigung mit dem Leben in China entgegen zu wirken. Klaßen weist hier auf den generell eher seltenen Ankauf von KHM-Produktionen durch Fernsehanstalten hin. Liu betont, den Film in erster Linie für sich selbst gemacht zu haben, dass sie einer weiteren Verbreitung aber selbstverständlich zugeneigt wäre. Die Verbindungen zwischen Schilderungen der ökonomisch-sozialen Lebenssituation und dem sehr individuellen Blick der Filmemacherin lobt ein Zuschauer als große Stärke des Films. Für ihn handelt es sich zwar letztlich auch um einen Film über Arbeit, der jedoch vor allem der Einsamkeit seiner Protagonistin Ausdruck verleiht. Damit setzt sich MEI von anderen Filmen über das Leben im aktuellen China ab, zeigt er doch eben nicht nur die rasanten Veränderungen, die Gewinner und Verlierer von ökonomischem Wandel. Liu gibt den Zuschauer*innen vielmehr einen neuen, persönlichen Blick auf die Normalität im Alltäglichen, der sich der komplexen Realität annähert.