Film

Landstück
von Volker Koepp
DE 2016 | 122 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
08.11.2016

Diskussion
Podium: Volker Koepp
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Hajo Wildeboer

Synopse

Landschaftsbild ist auch Weltbild: Dem Wind, der das zarte Surren wohlbehaltener Natur über die Hügel trägt, steht in der Uckermark wenig im Wege. Immer öfter weht er jedoch über die strengen Formen, die die industrielle Landwirtschaft in die Felder schlägt. Neue Bilder an einem Ort, an dem man sich noch an die Namen von Kleinackerwildkräutern und LPGs erinnern kann.

Protokoll

Festivalleiter Werner Ružička kennt Volker Koepp als Regisseur, der immer viel unterwegs ist. Er eröffnet daher mit der Frage, wann die Entscheidung aufkam, am eigenen Wohnsitz im engen Kreis der Nachbarschaft zu drehen. Regisseur Koepp erzählt, wie er vor sechs Jahren beim Dreh von Berlin-Stettin mit einem Navigationsgerät auf einem Hügel in der Uckermark stand und realisierte, dass sowohl Berlin als auch seine Geburtsstadt Stettin je ungefähr 70 km entfernt liegen. Wie die Märkische Trilogie (df 1991) oder Wittstock, Wittstock (df 1997) sei ein Großteil seiner Filme in einem Zirkel von 100 km um die Uckermark herum entstanden. Schon als er 1976 in Das weite Feld zusammen mit Christian Lehmann begonnen habe, die Beziehung von Mensch und Natur zu erkunden, sei der Ausspruch Fontanes, dass sich in jedem märkischen See die ganze Welt spiegelt, leitend gewesen. Insofern habe er sich nie von dieser Gegend entfremdet. Als er 2002 beim Dreh von Uckermark wahrnahm, wie die Landschaft anfing, sich zu verändern, begann er sich umzuhören. Dabei konnte er in der Dorfkneipe erfahren, dass der ehemalige LPG-Vorsitzende, der nach der Wende Besitzer der volkseigenen Flächen geworden war, gerade alles Land an Investoren verkauft hatte.

Ružička kommt auf den Protagonisten Michael Succow zu sprechen, der es im Film auf hervorragende Weise verstehe, umweltpolitische Zusammenhänge zu erklären ohne dabei in den trockenen Duktus eines „Schlaumeiers aus dem dritten Programm“ zu verfallen. Wie ist es zu diesem Kontakt gekommen? Das Filmemachen sei für ihn wie das Reisen, erklärt Koepp. Es gelte, sich eine Offenheit für neue Bekanntschaften zu erhalten und durch die Beteiligung von Protagonisten am Film auch Wagnisse einzugehen. In Anlehnung an den Reiseschriftsteller Willibald Alexis ließe sich sagen, der Reisende der vor seiner Reise schon alles weiß, erlebt unterwegs nichts mehr. Succow, der in der Uckermark wohnt, sei eine Reisebekanntschaft von historischer Bedeutung. Als stellvertretender Umweltminister habe er 1990, in der letzten Sitzung seines Ministeriums vor der Auflösung durchgesetzt, dass 10% aller Flächen der DDR unter Naturschutz gestellt wurden. Als Pionier der Umweltbildung begleite er Koepp häufig zu Aufführungen des Films.

Wenn sich in einer Einstellung die Wolken im See spiegeln, sieht Ružička das erwähnte Fontane-Zitat visualisiert. Die Veränderung der Landschaft werde im Film durch das Gegenüberstellen von wildblütendurchwachsenen Weizenfeldern und Raps-Monokulturen erfahrbar. Bemerkenswert ist für Ružička auch das Bild, in dem Dürers Aquarell Das große Rasenstück mit Succows Ausführungen in Verbindung gebracht wird. Hierin erkennt er eine filmische Eingrenzung des Inhaltes auf ein Exponat, eine begrenzte Bestandsaufnahme oder Musealisierung der Natur. Koepp will nicht, dass der soziale Aspekt seiner Arbeit gegenüber den landschaftlichen Schauwerten in den Hintergrund gestellt wird. Er halte es mit dem Dichter Johannes Bobrowski, der eine Landschaft ohne Menschen als Ödnis bezeichnet hat. Das Bild einer Landschaft stelle einen kulturellen Wert dar. Es verweise darauf, dass es unklar ist, wie es mit dem Projekt Mensch weitergeht, ob es noch hinhaut oder schon zu spät ist. Koepp zitiert Paul Celan: „Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt.“

Ružička weist auf das Gespräch von Succow und Bio-Landwirt Stefan Palme hin, in dem klar wird, dass es technologische Produktivitätssteigerung auch in der biologischen Landwirtschaft gibt. Er hat beobachtet, wie dieses Gespräch durch den jähen Auftritt von Palmes Mitarbeiterin Caroline unterbrochen wird. Sie scheine auf dem High-Tech-Traktor ins Bild zu reiten: Ist sie die Walküre der Landwirtschaft der Zukunft? Die Balance zwischen der Schönheit, dem Gleichmaß der Natur und ihrer Eigenart als kulturelles Produkt des Menschen sei Koepp gelungen. Für Ružička heben gerade auch Succows Erklärungen die menschliche Arbeitsleistung vor allem als Ergebnis einer Migrationskultur hervor. Auch dieser Aspekt, so Koepp, treffe genauso auf die Menschen zu. Nicht nur die Weizenarten, die Feldblumen und die Wühlmäuse seien Geschöpfe von Migrationsbewegungen. Bereits nach dem 30-jährigen Krieg, zur Zeit des Brandenburgischen Kurfürsten und später unter Friedrich II. seien niederländische Bauern in der zerstörten Uckermark angesiedelt worden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben noch bis Anfang der 1970er-Jahre Flüchtlinge die Hälfte der Bevölkerung ausgemacht. Nach 1990 haben sehr viele Menschen die Region verlassen, sodass sie heute nach EU-Norm als „unbewohnt“ gelte. Große Landwirte behandeln die Region daher eher als eine Art Betriebsgelände und nicht als menschlichen Lebensort. Solche großen Betriebe gebe es viele. Nach der Finanzkrise sei Landgrabbing zu einem großen Problem geworden. Die nicht-vermehrbare Ressource Boden eigne sich sehr gut als Spekulationsobjekt und führe zu riesigen industriell und monokulturell bewirtschafteten Flächen. Zudem versuchen zur Zeit niederländische Unternehmen, begleitet durch eine neue Gesetzgebung zur Massentierhaltung, die großen Schweinemastbetriebe der DDR wieder in Betrieb zu nehmen. Ein ehemaliger Kameraassistent von ihm, der in der nördlichen Uckermark lebt, sei regelrecht verzweifelt über diese Entwicklung. Der Zuzug vieler Wochenendhaus-Besitzer aus Berlin sei für die Politisierung sehr wichtig, betont Koepp. Mittlerweile organisieren sich dort viele Menschen gegen diese Art der Landwirtschaft. Der Bio-Bodenfonds von Palme und seinen Mitstreitern sei nur ein Projekt von vielen. Das Politikversagen aller Parteien gegenüber den großen Menschheitsfragen nach Wachstum und Energiebedarf führe zu einem verstärkten Interesse an der Thematik. Koepp meint in dieser Bewegung eine gewisse Wirksamkeit seines Films wahrzunehmen, weil er die Themen behandelt ohne ein weiterer „Öko-Fundi-Film“ zu sein. Sein Vorgehen, Menschen, die er wirklich mag, den ZuschauerInnen zu empfehlen, werde im umweltpolitischen Filmbereich als Neuigkeit wahrgenommen.

In der Naturschutzthematik erkennt Ružička ein romantisches Moment. Das Sentimentale äußere sich in der Hingezogenheit zur Natur, wenn beispielsweise Palme seine Entscheidung für die Uckermark damit begründet, er habe bei seinem ersten Besuch das Gefühl gehabt, er sei dort schon einmal gewesen. Die Landarbeit trete bei Koepp fast schon als Atavismus auf. Der Bezug zum Himmel bei Caspar David Friedrich und auch die prominent eingesetzte Filmmusik sind für Ružička Indizien für eine Behauptung des Sentimentalen als Gegenströmung. Romantik sei mehr als Sentimentalität, widerspricht Koepp, zum Beispiel der Versuch, durch Landschaftsbilder Gesellschaft zu beschreiben. Eine geheimnisvolle Stimmung im Film sei aber durchaus vorhanden. Aus seiner Sicht ist der Einsatz der Filmmusik von Ulrike Haage jedoch eher sparsam. Die Jazzpianistin, die auch die Filmmusik zu Grüße aus Fukushima geschaffen hat, habe er bei den Dreharbeiten zu Holunderblüte (df 2007) in Kaliningrad kennengelernt.

Kommissionsmitglied Till Brockmann hat eine schönen Gegend gesehen, die er gerne mal Besuchen würde. Auch der Gedanke, dass Naturschutz immer Menschenschutz sei, werde im Film deutlich. Gestört habe ihn aber die ungebrochene Nostalgie, gerade in den sentimentalen Rückbezügen. So deuten einige Protagonisten an, es wäre zwar harte Arbeit gewesen, aber sie hätten unter den anderen ökonomischen Bedingungen der DDR eine gute Zeit gehabt. Brockmann fragt sich, ob es diese gute alte Zeit wirklich gegeben hat? Mit diesem Einwand kann Koepp nichts anfangen. Eine gute alte Zeit komme in seinem Film nicht vor. Er erinnert an den letzten Satz einer seiner Protagonistinnen, sie würde sich nicht nochmal für so ein Leben entscheiden. Ein gewisses Maß an Idealisierung der Jugend durch ältere Protagonisten sei normal. Selbst die älteren Juden in seinem Film über Czernowitz haben von Früher geschwärmt. Ružička stellt sich hinter Koepp und verweist auf die Kritik, die die Protagonisten an der Einführung der LPG üben, und auf die geschilderten Fluchterfahrungen.

Ružička weist zuletzt auf die deutsch-deutschen Korrektur der Geschichte des Ökofilms hin, die Koepp leistet. Laut einem seiner Protagonisten handelt es sich bei sogenannten „Söllen“ um – nicht zuletzt dank der filmischen Intervention des Biologen und DEFA-Regisseurs Siegfried Bergmann – heute unter Naturschutz stehende, regionaltypische, runde Klein- gewässer, die Fröschen und Kröten inmitten eines bewirtschafteten Feldes ein zu Hause bieten. Auf diese Augen der Landschaft, so der Titel des Films von Bergmann aus dem Jahr 1983, nehme Koepp in der letzten Szene des Films wieder Bezug. Ein starkes Bild entstehe, wenn die ikonisch aufgenommene Protagonistin aus der erste Szene sich hier plötzlich umdreht und direkt in die Kamera blickt. Diese Protagonistin, wie Koepp berichtet eine Meisterschülerin der mit ihm befreundeten Fotografin Tina Bara, sei eine jener halb geplanten, halb spontanen Reise-Begegnungen gewesen, für die er während des Drehs offen war. Weil gerade Wäsche auf der Leine hing, habe er sich entschieden, bei ihr zu klingeln. Wie der Bogen von der ersten zur letzten Szene geschlossen wird, ergänzt eine Diskussionsteilnehmerin mit dem Hinweis auf Koepps Worte zu Anfang des Films: Das Unbewusste im täglichen Blicken der Protagonistin auf die märkische Landschaft sei wie das Gesicht eines einst vertrauten Menschen, an das man sich später nur mit Mühe erinnern kann.