Film

Cinema Futures
von Michael Palm
AT 2016 | 125 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
07.11.2016

Diskussion
Podium: Michael Palm, Joerg Burger (Kamera)
Moderation: Katrin Mundt, Joachim Schätz
Protokoll: Hajo Wildeboer

Synopse

Was war Film? Dieser Frage widmen sich unter dem epochemachenden Eindruck der Digitalisierung die Archäologen des Kinos: Wissenschaftler, Techniker, Archivare, Regisseure. Ihre Antworten bewegen sich zwischen Fortschrittsglauben und Verlustängsten. Über die folgenschwere Idee eines kulturellen Archives in Einsen und Nullen und die Kostbarkeit belichteter Erinnerungen.

Protokoll

Als „ein File von“ statt „ein Film von“ kündigt sich Cinema Futures im Vorspann an. Zu Beginn werden prähistorische Ausgrabungen gezeigt, deren Bedeutung heute schwer zu entschlüsseln ist. Später wird mit großem Lärm ein Kopierwerk in Wien demontiert und ein Archivmitarbeiter zerbröselt die verfallene historische Kopie eines Méliès-Filmes zwischen seinen Fingern. Moderatorin und Kommissionsmitglied Katrin Mundt erkennt hier eine Lust am dramatischen Zuspitzen, die Regisseur Michael Palm nicht ganz von der Hand weisen kann. Natürlich gebe es viele Anspielungen auf das Aussterben des Films. An solche Endzeitdiskurse hänge er sich aber nur spielerisch an. Der Spieleinsatz sei es, der in Cinema Futures verhandelt wird. Seine Absicht war es, eine neue Dringlichkeit zu vermitteln. In den letzten zehn Jahren sei der Diskurs um die Digitalisierung von einem Fortschrittsnarrativ geprägt gewesen, nach dem eine bessere Technologie eine alte ersetzt. Aktuell befänden wir uns hingegen in einer Mutationsperiode, während der sich verstärkt Rückprojektionen auf den Analogfilm bemerkbar machen. Zu beiden Diskursen habe er eine Gegenstimme liefern wollen.

Moderator und Kommissionsmitglied Joachim Schätz hebt das kriminalistische Motiv in der Dramaturgie hervor. Der Fall beginne mit dem Beweisfoto, das Manager der Filmindustrie bei der Entsorgung von Filmrollen zeigt. Es sei der Ausgangspunkt, die hinter der Digitalisierung liegenden Machtkalküle und ökonomischen Interessen zu überprüfen. Die Spur führe allerdings in viele Richtungen. Vor dem Hintergrund eines enzyklopädischen Moments des Films interessiere ihn, wie die Filmemacher relevante von nicht-relevanten Inhalten getrennt haben. Palm sieht sich nicht als Ermittler sondern als Suchenden. Ihn erinnere der Gestus der Manager an die Zurschaustellung von Safari-Trophäen, erklärt Palm. Die sozioökonomische Interpretation dieser Fotografie, die im Film Paolo Cherchi Usai liefert, basiere auf dessen Buch The Death of Cinema (2001). Für Palm sind solche Anleihen an ein lineares Weltbild aber nur Aufhänger für die Dramaturgie des Films, ein Vorwand zur Etablierung seiner Erzählung. Er selbst glaube nicht an eine solche Entwicklungsgeschichte und beobachte eher Paradoxien und Gleichzeitigkeiten. Die Einführung des Tonfilms oder des Fernsehens haben in der Vergangenheit ebenfalls als apokalyptische Momente herhalten müssen. Nicht nur das Endzeit-Motiv sondern auch die Untoten-Metaphorik, die daraus entstehe, habe er dramaturgisch produktiv machen wollen.

Moderatorin Mundt sind die leichten Umdeutungen dieser Motive von Sprecher zu Sprecher aufgefallen. Zu ihrer Veranschaulichung zeige der Film immer wieder Ausschnitte aus Werken der Filmgeschichte. Mundt möchte von Palm wissen, inwieweit er eine mögliche Verengung des Kanons auf eine subjektive Filmgeschichte durch seine Auswahl reflektiert hat. Was sei z.B. mit Werken aus dem globalen Süden, die gar keine Chance auf eine Archivierung haben? Er habe bewusst kollektive Filmerfahrungen abzurufen wollen, betont Palm. Kanonisierte Werke wie Vertigo, King Kong oder Star Trek haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Auch die Echos von bekannten Filmen, die Allegorien zu Blade Runner beispielsweise, seien Teil einer filmischen Parallelstruktur. Er wolle diese kanonisierten Werke den bedrohten, verwaisten oder ephemeren Teilen des Archivs zur Seite stellen. Die „Hebearbeit“, die große Aufgabe, marginalisierte Werke aus den Archiven auszugraben und zu aktualisieren, könne und wolle der Film nicht leisten.

Moderator Schätz findet gerade das Ausbleiben einer schematischen Gegenüberstellung von Analog und Digital sehr originell. Der gleichberechtigte Umgang mit den Schauplätzen und Räumlichkeiten, die Aufnahmen die z.B. die Abspielsituation eines 70mm-Films oder die Serverräume des Internet Archives zeigen, seien dafür wichtig. Immer wieder tauchen lange dunkle Gänge auf. Wie filmt man diese Räume? Kameramann Joerg Burger hat versucht den Regeln der Architekturfotografie zu Folgen. Das sei auf Grund der Interview-Situationen nicht immer möglich gewesen. Regisseur Palm war es wichtig, mit den Kamerafahrten nicht in die Räume vorzustoßen, sondern sie mit Rückschauen zu erschließen. Er möchte seinen Film auch als große Invektive gegen die Verkitschung des Digitalen verstanden wissen. Ihn interessieren die unterschiedlichen Imaginarien, die um Räume herum gelagert sind. Selbst das vermeintlich immaterielle Digitale sei auf physische Räume angewiesen. Im Vermessen dieser Räume werden die Bauweisen einerseits als sakrale Pyramiden und andererseits als systematische am Raster ausgerichtete Datenbanken sichtbar.

Moderator Schätz vermutet, die prominente Besetzung sei den guten Netzwerken Palms zu verdanken, allerdings gingen damit auch bestimmte inhaltliche Entscheidungen einher. So fokussiere der Film sich durch die Auswahl seiner Gesprächspartner auf Agenten einer bestimmten nordamerikanischen Filmkultur. Diese Beobachtung kann Palm annehmen – wenn auch unter Verweis auf die in Mumbay gedrehten Gegenbilder. Ein Dreh in der Cinémathèque royale de Belgique sei aus finanziellen Gründen gestrichen worden. Für ihn ist der US-Fokus trotzdem stimmig: Die „unfreundliche Übernahme“, von der sein Film erzählt, sei von Hollywood ausgegangen und müsse dorthin zurückgetragen werden. Zudem sei die audiovisuelle Abteilung der Library of Kongress die Größte ihrer Art und zeichne sich gerade durch ihr umfassendes und unbefristetes archivarisches Mandat analoger und digitaler Medien aus. Gerade hierin sieht Regisseur Palm zukünftige, brennende Probleme des Archivwesens bereits angelegt. Anders als zum Beispiel Nicole Brenez in ihren Forschungen zu Archiven der Gegenkultur könne sein Film aber nicht die Unterschiede zwischen staatlich-nationaler und dezentraler Archivarbeit zeigen.

Ein Diskussionsteilnehmer hätte sich gewünscht, dass die Körperlichkeit, die sinnliche Erfahrung des Celluloid-Films mehr gezeigt worden wäre. Joachim Schätz gefällt in diesem Zusammenhang die Szene, in der anhand eines für 4K digitalisierten Rohfilms von Lawrence von Arabien der qualitative Unterschied zwischen Rohfilm und Kopie zu sehen gegeben wird. „Können ihre Kameras das überhaupt sehen?“, fragt der Restaurator die Filmemacher an dieser Stelle. Diese ontologischen Diskussionen habe er nur andeuten wollen, erklärt Palm. Das Verwischen von Spuren sei für ihn wichtiger gewesen. Schnell gerate man sonst in eine Falle, die nur dem Analogfilm nicht aber dem digitalen eine Geschichtlichkeit zugesteht.

Diskussionsteilnehmer Pepe Danquart meldet sich kritisch zu Wort. Trotz allem Interesse an der virulenten Thematik sei der Film nicht nur inhaltlich zu ausufernd sondern halte auch formal nicht, was er verspreche. Die Anspielungen auf Chris Markers La jetée, die assoziativen Kapitelüberschriften und der prähistorische Fund im Naturhistorischen Museum kündigen eine essayistische Form an. Statt mit einem subjektiven Zugang brächten sich die Filmemacher dann aber nur als brave, beeindruckte Journalisten in den Film ein. Nach dem Prinzip des Belegs durch Quantität folge daraus eine redundante Ansammlung von bekannten Bildern, wie das Einlegen der Filme in die Projektionsapparate. Der Film sei mit hoher Auflösung für die große Leinwand konzipiert, verliere aber zunehmend an Schärfe. Danquart vermisst die großen Fragen. Palm kann das nicht nachvollziehen. Es handele sich nicht um Redundanzen sondern um bewusste Akkumulationen, die Unterschiede sichtbar machen. Die Kinderhände am 16mm-Projektor stelle er der aufwändigen 70mm-Projektion im Kinosaal gegenüber. Und erst durch das wiederholte Auftauchen der Arbeitssituationen vor dem Computer entstehe ein Gesamtbild industrieller Arbeit, das mit der Lumière’schen Fabrikszene korrespondiere. Auch wenn Palm eingesteht, dass mit der Szene im Naturhistorischen Museum die eigene steile Vorgabe nicht weiter verfolgt wird, rechtfertigen sich die formalen Entscheidungen für ihn doch als Versuch, den Essayfilm und die Reportage zusammenzubringen. Können Recherche und Talking Heads koexistieren mit dem losen Verfolgen von Spuren?

Danquart fragt weiter: Warum hat Palm nicht die formale Konsequenz gezogen und zunächst auf Film gedreht, um diesen dann zu digitalisieren? Gerade diese Vorgehensweise sei kokett, wehrt Palm unter Verweis auf Christopher Nolan ab. Konsequent sei es höchstens, einen Film gänzlich analog zu produzieren, dies hätte heutzutage aber einen fast schon installativen Aspekt, der in diesem Fall nicht gewollt war. Motiviert durch die neue Kontroverse unternimmt Moderator Schätz einen zweiten Versuch, den Umgang mit den Protagonisten zu thematisieren. Gerade das Beispiel Nolans stehe aus seiner Sicht für den Umgang Palms mit den performenden, professionellen Gesprächspartnern. Obwohl ein gewisses Unbehagen an den sicheren Phrasierungen ihrer Policys zu spüren sei, halte der Film sich in diesen Momenten meist zurück. Wie kann man, möchte Schätz wissen, aus Experten noch etwas anderes herausholen als Informationen und damit verhindern, dass ihre Stellungnahmen zu „totem Gewicht“ werden? Palm, der versucht in solchen Momenten während der Interviews einzuhaken, gibt zu bedenken, dass die Saga eines Protagonisten ihn manchmal aber auch in seiner Montage weiterbringe. Nach solchen weiterführenden Szenen suche er. So berichtet Palm wie beim Dreh in den Sony Studios zufällig gerade Taxi Driver halbautomatisch restauriert wurde. Nur weil in diesem Moment die Status-Anzeige „detecting dirt“ aufleuchtete, habe er auf den Punkt bringen können, wie dem dreckigsten Film der Filmgeschichte die Seele geraubt wird.

Er brauche immer Referenzfilme, erklärt Palm. So seien die Kamerafahrten im Naturhistorischen Museum einer Szene aus Alain Renais‘ Toute la mémoire du monde nachempfunden. Die Blade-Runner-Szene hat Palmer mit dem iPhone während der Landung in L.A. aus dem Flugzeugfenster heraus gedreht. Dass jetzt jeder mit Plugins und Apps den Film-Look emulieren will und kann, verweist für Palm zudem auf ein schlechtes Gewissen des Digitalen. Nostalgie berge aber auch Potenziale. Einem Diskussionsteilnehmer und ehemaligem Kinobetreiber, der berichtet, dass er nicht zurückgeforderte 35mm-Kopien bis heute privat aufbewahrt, rät Palm, dies weiterhin zu tun. Nur zur Sicherheit! Man müsse aber auch nicht alles aufheben.