Film

Above and Below
von Nicolas Steiner
DE/CH 2015 | 118 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
06.11.2015

Diskussion
Podium: Nicolas Steiner
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: ?

Synopse

Ein Paar in den Flutkanälen am Rande von Las Vegas, ein spiritueller Einzelgänger in der Wüste Kaliforniens und eine Veteranin in Vorbereitung auf eine Marsexpedition leben Amerikas Wachtraum. Aus Verstecken unterhalb der Wahrnehmungsgrenze ihrer Mitmenschen senden sie diffuse Signale nach oben. 

Protokoll

Vor der Projektion von Above and Below bedankt sich Nicolas Steiner für seine Einladung zur diesjährigen Filmwoche und erinnert sich in diesem Zusammenhang gerne an einen Abend vor vier Jahren, als er mit seinem Film Kampf der Königinnen schon einmal in Duisburg war (df 2011) und mit Michael Glawogger ein Bier getrunken hatte.

Above and Below, sein Abschlussfilm für die Filmakademie Baden-Württemberg, begleitet drei sehr unterschiedliche ProtagonistInnen, die aber alle eine Lebensweise jenseits alltäglicher Strukturen und eine gewisse Orientierungslosigkeit verbindet. Rick, Cindy und andere „Tunnelmenschen“ leben seit Jahren im Untergrund von Las Vegas, der moderne Cowboy Dave wohnt in einer selbstgebauten Hütte mitten in einer sonst menschenleeren Wüstenlandschaft und April erforscht auf der sogenannten Mars Desert Research Station, wie menschliches Leben auf anderen Planeten funktionieren könnte.

Zu Beginn der Diskussion möchte Till Brockmann wissen, in welchem Verhältnis Recherche und Drehbuch gestanden haben. Nicolas Steiner erzählt, dass es im Grunde kein Buch gab, jedoch die Recherche sehr detailliert gewesen sei. In den Tunnels habe er sieben Wochen am Stück verbracht und Fotografien erstellt. Diese habe er dann seinem Kameramann zur Orientierung gezeigt. Den entscheidenden Impuls hätten aber immer die ProtagonistInnen gegeben.

Was es bei dieser Abschlussarbeit für Vorgaben gegeben hat, möchte Brockmann wissen. Steiner konnte relativ frei arbeiten, antwortet er. Es habe keine geografischen oder zeitlichen Begrenzungen gegeben. Zuvor hatte er in San Francisco Fotografie und Brettspielentwicklung studiert. Während seines fotografischen Arbeitens sei er auf bestimmte Orte aufmerksam geworden, die ihn an Geisterstätten erinnerten. Die Wüste habe ihn aufgrund des Kontrastes zur bergigen Landschaft, in der er aufgewachsen ist, interessiert. Die meisten ProtagonistInnen habe er zufällig getroffen. Lediglich über die Mars-Station habe er zuvor im Internet recherchiert. Auf Nachfrage des Moderators erklärt er, dass es sich hier um eine u.a. von James Cameron privat-finanzierte Forschungs- und Simulationseinrichtung handle, die teilweise sogar mit der NASA zusammenarbeite.

Brockmann stellt fest, dass die Orte, die im Film gezeigt werden, weiter auseinander lägen, als man zunächst denken mag. Immerhin sei der Film in vier amerikanischen Staaten entstanden. Die Entfernungen seien für amerikanische Verhältnisse gar nicht so groß, erklärt Steiner. Aber durch den Schnitt würde schon eine Nähe erzeugt, sodass man denken könnte, jeden Augenblick würden die ProtagonistInnen aufeinander treffen. Auf Brockmanns Frage durch welche Entscheidung Steiner die ProtagonistInnen dann in einen Film gebracht hat, erwähnt der Filmemacher drei Begriffe, die ihm in der amerikanischen Literatur immer wieder begegnet seien: Cowboys, Ghosts und Aliens. Diese Gruppen entsprächen auch den verschiedenen Geschichten und Lebensentwürfen der ProtagonistInnen.

Der Moderator fragt in Anlehnung an die diesjährige Studierenden-Werkstatt zum Thema Kamerapolitik mit Peter Badel, ob Steiner sich folglich auch an der Kameraarbeit aus Western, Horror und Science-Fiction orientiert habe. Vor vier Jahren habe es für ihren Zweck, so Steiner, nicht sehr viele technische Möglichkeiten gegeben. Die (teilweise dunklen und engen) Räume hätten die Wahl des Equipments vorgegeben und so habe man sich dazu entschieden mit einer Alexa zu arbeiten.

Brockmann erwähnt, dass er den ganzen Film über eine Präsenz des Filmemachers gespürt habe. Besonders in Interviews wirkte es teilweise fast so, als würden sich die ProtagonistInnen eine Reaktion des Regisseurs abholen wollen. Ob Steiner daran gedacht habe, sich in irgendeiner Art und Weise selbst ins Bild zu bringen. Steiner empfindet diese beobachtete Präsenz als Kompliment. Jedoch lehne er den Begriff Interviews im Bezug auf seine Arbeit kategorisch ab, möchte lieber von Gesprächen reden. Er inszeniere diese Gespräche nicht gerne. Man benötige sehr viel Zeit und Geduld. Teilweise habe sein Team 16 Stunden am Set verbracht ohne überhaupt etwas zu drehen.

Brockmann und das Publikum möchten mehr über das Sounddesign erfahren. Der Film arbeite fast ausschließlich mit Originalton, der dank Bertin Molz und Tobias Koch in sehr guter Qualität aufgenommen wurde. Sowohl mit dem Komponieren der Musik als auch mit dem Sounddesign habe man bereits vor Drehbeginn angefangen. Ideen, die Steiner bereits bei der Recherche gekommen sind, seien in einzelnen Tracks übernommen worden. Dem Kameramann Markus Nestroy habe er während des Drehs so die bereits fertigen Stücke vorspielen können, damit dieser sich genau auf den Rhythmus der Musik einstellen konnte.

Die Musikclip-ähnlichen Passagen des Films interessieren Brockmann im Hinblick auf ihren dramaturgischen Einsatz. Steiner habe sich darüber keine Gedanken gemacht. Diese Teile des Films sollen keine Aktstruktur signalisieren, er habe vieles ausprobiert. Brockmann stört sich ein wenig an der Art und Weise des Einsatzes von Musik. Manchmal habe sie schon etwas „auf’s Auge gedrückt“. Durch die gesamte Ästhetik des Films, die sehr in Richtung Spielfilm ginge, sehe er darin aber auch eine gewisse Berechtigung.

Michael Sennhauser lobt Steiners Arbeit und zieht Bezüge zu Glawogger. Im selben Alter habe letzterer jedoch kleinere Filme mit lokalen Themen gemacht. Es sehe fast so aus, als habe der junge Filmemacher auf Glawoggers Schultern zwei bis drei Jahre übersprungen. Steiner bedankt sich für das Kompliment, hält aber fest, dass er sich der Reichweite des Films nicht bewusst gewesen sei und seine Arbeit nicht mit der von Glawoggers vergleichen würde.

Eine Diskutantin fragt, ob es schwierig gewesen sei, aus dem entstandenen Material die Szenen auszuwählen, die letztendlich im Film gelandet sind. Tatsächlich habe der Schnitt etwa 10 Monate gedauert. Die 38 Stunden Gesamtmaterial seien nicht viel, Kommilitoninnen von der Filmakademie seien mit 200 Stunden in den Schnitt gegangen. Der Schnittprozess habe Kaya Inan und Steiner trotzdem einiges abverlangt.

Eine weitere Diskutantin möchte wissen, warum eine Szene, in der Ping-Pong-Bälle auf eine bestimmt Art und Weise künstlich arrangiert wurden sowie eine Kranfahrt, die alle drei Lebenswelten verbindet, für Steiner in einem Dokumentarfilm gerechtfertigt seien. Die Ping- Pong-Szene verbinde zwei Orte und ihre ProtagonistInnen miteinander, zudem mache sie an der Stelle im Film auch inhaltlich Sinn (auf Brockmanns spätere Frage, welcher Sinn dies genau sei, sagt Steiner dem Moderator scherzhaft, er müsse sich den Film wohl noch einmal anschauen). Mit diesen Entscheidungen für die Inszenierung mache er sich angreifbar, weil er damit betonen würde, dass es sich um einen Film handle, gibt der Filmemacher zu. Das sei bei einem Dokumentarfilm schon untypisch. Diese Entscheidung stelle ein Risiko dar, weil er in Kauf nehmen müsse, dass die Hälfte der ZuschauerInnen an dieser Stelle aussteigt. Die bereits erwähnte Kranfahrt, die die verschiedenen Schauplätze und ihre ProtagonistInnen durch ihre Fahrten miteinander verbindet, mache Sinn, weil sie den letzten Teil des Films ankündige.

Martin Prinoth, (df 2013 mit Le creature del Vesuvio), möchte wissen, wie Steiner für sich persönlich die Asymmetrie zwischen Themen und Bildern vereinbaren kann. Die Bilder einer finanziell weniger gut gestellten Subkultur stünden im Gegensatz zu hochaufgelösten Bildern, die man etwa aus der Google-Werbung kenne. Weiterhin interessiert Prinoth, was Steiner zum Filmemachen bewege. Seiner Meinung nach sei der Film ein Beweis dafür, dass man wenig Substanz zu etwas großem aufblasen könne und vergleicht Above and Below deshalb mit einem Big Mac. Den Vergleich mit Glawogger hinke ohnehin. Steiner kann den Vorwurf nicht verstehen. Sein Anliegen als Filmemacher liege darin, die ganze Leinwand und jeden Lautsprecher des Kinosaals zu bespielen. Er wolle Filme fürs Kino machen. Steiner möchte außerdem klarstellen, dass er selbst sich nie mit Glawogger vergleichen würde und dass es wahrscheinlich unklug gewesen sei, vor der Projektion des Films auf die Anekdote hinzuweisen, da so jeder den Film mit Glawoggers Werk in Beziehung setze. Ihm ginge es um die Frage wie man Geschichten von Menschen auf eine Leinwand bringen könne. Teile des Publikums applaudieren.

Eva Hohenberger versucht zu übersetzen. Sie sieht in Above and Below auch einen Überschuss an allem Filmischen, lobt aber die Art und Weise wie der Film die prekäre Lage der Menschen darstelle. Die Diskrepanz zur Ästhetik des Bildes habe ihr gefallen. Natürlich handle es sich hier nicht um eine sozialdokumentarische Art und Weise der Darstellung. Das sehe sie aber nicht als Problem. Die ProtagonistInnen müssten einem nicht leidtun, sondern machten im Gegensatz den Anschein, sie kämen irgendwie zurecht. Kritisch stehe sie allerdings dem Schluss des Films gegenüber. Mit der kleinen Ente, die kurz auf und dann wieder abtaucht, sowie den Aufnahmen, die Rick und Cindy beim Achterbahnfahren zeigen, gehe der Film endgültig zum Kitsch über. Sie schlägt vor, das Ende herauszuschneiden. Die Menschen bräuchten diese Ente nicht. Aus dem Publikum gibt es Widerspruch. Auch Werner Ružička findet das Ende problematisch. Diese lauten Videoclip-ähnlichen Sequenzen, die die Atmosphäre kurz vor Schluss „nach oben pushen“ habe der Film nicht nötig. Es gäbe auch genug ruhige Szenen, die dem Film ein schönes Ende gesetzt hätten. Die Entenszene habe ihn an Loriot erinnert. Steiner bedankt sich für das Feedback. Er könne die Anmerkungen nachvollziehen, steht jedoch zu seinen ästhetischen Entscheidungen, da sie für ihn stimmig seien. Ente und Achterbahn, sowie die Kombinationen von Zeitlupen und lauter Musik gefielen ihm nach wie vor.

Pepe Danquart möchte sich für Steiner einsetzen. Ihn habe der Film berührt, weil er die ProtagonistInnen ernst nehme, Spaß und Liebe seien zu spüren. Der Trend zur Ästhetisierung von (dokumentarischen) Bildern sei nichts Neues. Die Musik sei eventuell etwas zu viel gewesen, fügt er hinzu. Ihn habe sie eher von den Figuren weggebracht. Das Abgleiten in die für ihn positive Form des Kitschs sei ein gestalterisches Statement, das man anerkennen müsse.

Till Brockmann schließt die bewegte Diskussion, indem er festhält, dass in Above and Below in jedem Fall Nicolas Steiners Anspruch ersichtlich würde, Kino zu machen. Der Film habe in der Tat die ganze Leinwand und jeden Lautsprecher genutzt.