Film

Tower House
von Karl-Heinz Klopf
AT/JP 2013 | 62 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
06.11.2014

Diskussion
Podium: Karl-Heinz Klopf
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Matthias Wannhoff

Synopse

Grundfläche: 20 Quadratmeter. Mitten in Tokio. 3 Vollgeschosse. 1966 erbaut. Die Kamera dreht sich, Stufe für Stufe, die Treppe empor. Rohe Betonwände. Schiffboden. Holzfenster. Eine Geschichte über einen Teil der Familie, das Leben in der Vertikalen. 

Protokoll

Je näher man ein Haus ansieht, umso ferner sieht es zurück. So könnte man, frei nach Karl Kraus, die Versuchsanordnung von „Tower House“ beschreiben. In stoischen 360°-Fahrten tastet eine Kamera, Etage für Etage, ein Pionierwerk der funktionalen Baukunst ab und folgt dabei einer ganz eigenen Bildregie. Mehrere Zuschauer schwärmen im Duisburger Grammatikoff denn auch von einer beispiellosen Begegnung mit Architektur, Material, Mobiliar und einem Hauch des Geheimnisvollen. Im Filmgespräch werden gleich mehrere Geheimnisse des Films gelüftet, der seinen Anfang vor zwanzig Jahren in einem spanischen Architekturmagazin nahm.

Karl-Heinz Klopf stieß dort auf die Innenaufnahme eines kuriosen Bauwerks mitten im pulsierenden Stadtteil Jingumae/Tokio. Eine dreiköpfige Familie um den Architekten Takamitsu Azuma stand eng beieinander auf einer gerade mal 20 cm2 großen Wohnfläche und richtete den Blick nach oben. Dass die Personen wie Teile des Wohnraums wirkten, habe Klopf, der damals selbst eine sperrige Wohnung in Wien gemietet hatte, sehr bewegt, erinnert er sich im Gespräch mit Till Brockmann. Noch im selben Jahr besuchte er die Azumas und fand einen faszinierenden Versuch in maximal ökonomischer Baukunst vor.

Im Jahr 1966 hatte der junge Architekt Azuma auf einem winzigen, dreieckigen Grundstück ein Haus für seine Familie errichtet: auf fünf Etagen und mit nur einer einzigen Tür. Hierdurch konnten unabhängig vom Standort alle Stockwerke überblickt werden – ein Beton gewordener Traum von Transparenz und Verknappung, wie er nur in einer Metropole wie Japan denkbar ist. Das Fehlen mancher Alltagsgegenstände, so Azumas Gedanke, könne durch die urbane Lage des Hauses aufgewogen werden. Wenn etwas fehlt, es würde schon in einem benachbarten Laden zu finden sein. Diese Geschichte wird im Film von Azumas Tochter Rie, die inzwischen als Einzige im Haus lebt, aus dem Off erzählt. 2012 sei für Klopf die Entscheidung für den Film gefallen. Das anschließend mit Rie geführte Interview wird sporadisch auf der Tonspur eingespielt und ist damit das Einzige an „Town House“, was nicht im Fluss ist.

Das Wichtigste sei in der Tat „das Fließen“ gewesen, hält Klopf fest. Mit konventioneller Kameraarbeit sei die architektonische Pointe des Hauses nicht zu fassen, die Rie im Film treffend einen einzigen „kontinuierlichen Raum“ nennt. Nachdem Klopf „alles durchgetestet“ habe, von Schwarzbalken über harte Schnitte hin zu Überblendungen zwischen den Ebenen, fiel die Wahl auf ein minutiöses Verfahren der Bildverschachtelung. „Scan“, „Schichtung“ (Klopf), ein „widersprüchliches Aufsplitten der Vertikalen in der Horizontalen“ (Brockmann) – im Filmgespräch wird die Schwierigkeit spürbar, diese eigenwillige Ästhetik auf einen Begriff zu bringen. Wischblende heißt die Technik, mit der Klopf die Senkrechte eines Gebäudes einfängt, obwohl die Kamera einzig auf der Waagerechten rotiert.

Brockmann hält fest, dass diese Ästhetik nur an zwei Stellen des Films durchbrochen werde, durch einen Fensterschnitt zu Beginn und eine Überblende am Ende. Um dieses Programm durchzuhalten, sei penibelste Kleinarbeit nötig gewesen, wie Klopf sehr eindrücklich beschreibt. Etliche Schnitte seien ausprobiert worden, da jeder Bildwechsel einen möglichst fließenden Übergang in die nächste Ebene darstellen sollte. Hierfür sei der 360°-Radius manchmal leicht überschritten worden. Als Orientierungshilfe habe das Haus selber gedient, entsprächen die Ebenensprünge doch in etwa dem Abstand der Treppenstufen, seinen „Komplizen bei der Regie“, wie Klopf es nennt.

Trotz zahlreicher technischer Einblicke hat das Podium nichts von einem nüchternen Werkstattgespräch. Im Publikum zeigen sich mehrere Stimmen tief berührt von Klopfs experimentellem Dokumentarfilm. Der anwesende Regisseur Michele Cirigliano lobt die sinnliche, nahezu haptische Anziehungskraft, die bei ihm den Wunsch geweckt habe, das Material nicht nur mit den Augen, sondern auch den Händen „abzutasten“. Klopf gefällt dieses Bild und erinnert sich an seine Kindheit, als er Glücksgefühle empfand, wenn er eigenhändig etwas baute und sich ganze „imaginäre Welten“ auftaten.

Auch Werner Ružička ist voll des Lobes für „Tower House“, dessen Blick auf Architektur beispiellos sei. Mit Heidegger hält er fest, dass das Denken über Technik nicht den Technikern überlassen werden sollte. Auf Klopfs Gegenstand gemünzt, der beste Film über Architektur wird nicht von einem Architekten kommen. So schließt sich ein Kreis zum Anfang des Filmgesprächs, wo Klopf erzählte, wie er sich einst gegen den Architektenberuf und für die Kunst entschieden hatte. Später habe er gemerkt, welche Freiheit ihm dieser „Blick von Außen“ auf Architektur ermögliche. „Tower House“ lässt keinen Zweifel daran, dass hier jemand die richtige Karriereentscheidung getroffen hat.