Film

Pădurea e ca muntele, vezi?
von Didier Guillain
DE/RO 2014 | 101 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
07.11.2014

Diskussion
Podium: Didier Guillain, Christiane Schmidt
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Hajo Wildeboer

Synopse

Ein Dorf der Roma in Rumänien. Auf einem Hang. Unweit der Stadt, fernab des städtischen Lebens. Holz schlagen, Pilze sammeln, Baden im Fluss. Schwangerschaft, Abtreibung. Über alles wacht der Patron: die Gemeinschaft, den Glauben, die Kartoffelernte. 

Protokoll

Der Wunsch, ihre Nähe zu den Protagonisten mit dem Publikum zu teilen, war die Motivation für Regisseurin Christiane Schmidt. Auch wenn es naiv klinge, so Regisseur Didier Guillain, die Menschen von denen der Film handelt, seien für ihn Menschen, die er liebt. Damit betonen Schmidt und Guillain zu Beginn der Diskussion, womit kurz vorher eine Texttafel am Ende des Films das Publikum in die anschließende Diskussion entlassen hat: Ihre persönliche Verbundenheit mit der porträtierten Familie. Der Entschluss einen Film zu machen sei entstanden, nachdem die Autoren die Familie Lingurar im Urlaub in Rumänien kennengelernt hatte. Die folgenden Besuche, bei denen Schmidt und Guillain im Haus von Freunden der Familie übernachten, haben ihnen bereits als Vorbereitung auf den Dreh gedient. Die Vorerfahrungen aus diesen Besuchen seien die Grundlage gewesen für eine Arbeitshaltung geprägt von einer Ahnung, was passieren könnte und einer Offenheit, für das was passieren würde. Während der vier Drehtermine, die jeweils zwei Wochen dauerten, wohnten Schmidt und Guillain mit den ProtagonistInnen zusammen. So sei der Dreh von spontanen Momenten, Überraschungen und aus der Situation heraus entstehenden Bekanntschaften geleitet worden. Die enge Bindung zu ihren Protagonisten halte bis heute. Schmidt erzählt, sie habe vor ihren letzten Besuchen an der VHS etwas Rumänisch gelernt. Gemeinsam seien Festivalaufführungen in Deutschland und Rumänien besucht worden, bei denen sie festgestellt haben, dass die Protagonisten selbst ihr Leben in dem Film angemessen repräsentiert sehen und er ihnen deshalb sehr wichtig ist.

Eine Entsprechung für die Arbeitshaltung von Schmidt und Guillain erkennt Moderator Joachim Schätz in der Kameraführung. Das Kennenlernen durch Begleiten macht für ihn den besonderen Zugang des Films aus. So würden die Zuschauer schon in der ersten Szene angehalten, zusammen mit der Protagonistin Aronela, zu schauen und zu hören. Die Zuschauer seien zusammen mit ihr unterwegs. Guillain bestätigt, sein Vorgehen in der Bildgestaltung korrespondiere mit seiner sehr persönlichen Sichtweise. Ähnlich der nahen, über die Schulter verfolgenden Kamera Jean-Pierre und Luc Dardennes, wolle er Körper darstellen, die sich erkundend von einem Ort zum anderen bewegen.

Auch im Bezug auf die sprachliche Ebene halten die Regisseure an einem Anspruch direkter Authentizität durch Spontanität fest. Es habe keine Rede-Anweisungen gegeben, insistiert Schmidt auf Nachfrage des Duisburger Publikums. So habe sich zum Beispiel das Gespräch der Kinder, die am Hang sitzend theologische Fragen erörtern, von selbst aus der Situation heraus ergeben. Von Guillain und Schmidt nach den religiösen Texten der Musik im Radio gefragt, seien die Kinder auf das Thema Apokalypse gekommen. Sie seien gerade dabei gewesen, die Landschaft zu filmen und hätten das nicht erwartet, illustriert Guillain.

Moderator Schätz weist darauf hin, dass dieser Szene auch der Titel des Films, „Der Wald ist wie die Berge“, entstammt. Sie sei nach der Sichtung des Materials sehr beeindruckt von der poetischer Sprache ihrer Protagonisten gewesen, bekennt Schmidt unter Verwies auf die liebevolle Beschimpfung des Haustiers der Familie als „kriminelle Katze“. Um zur Frage nach der Postproduktion überzuleiten, ergänzt Schätz diese Liste der poetischen Formulierungen: In einem kurzen Dialog in der Mitte des Films erhält ein unbeteiligter Beobachter der Dreharbeiten auf die Frage „Was filmt die Frau?“ von einem anderen die Antwort „Die Welt!“. Schätz sieht hierin ein Statement zum Dokumentarischen schlechthin. Es zeige, wie die Welt erst durch den Schnitt konstituiert wird.

Diese Sichtweise weisen Guillain und Schmidt vorsichtig zurück. Sie betonen die Wirklichkeit im Vorgefundenen. Die Beobachtung von Kommissionsmitglied Till Brockmann, dass mehr als die Hälfte der Szenen des Films Außenaufnahmen sind, obwohl es auf Grund der Gastfreundschaft viele Möglichkeiten für Innenaufnahmen gegeben haben muss, wird von Schmidt entsprechend naturalisiert. Die Tag verbringe man eher draußen. Abends säße man zusammen im Haus für Gespräche und Geselligkeit. Weil es hier die besten Gelegenheiten für Interviews gab, existierten die Innenszenen des Films. Wie lange Schmidt und Guillain für den Schnitt gebraucht haben bleibt offen. Zunächst haben beide ihre Lieblingsstellen herausgesucht. Der größte Teil der Arbeit sei dann von der Schnittmeisterin, Lena Hatebur, die über die Hochschule vermittelt wurde, gestaltet worden. Hatebur habe auch die Idee für den Titel gehabt. Danach seien viele Test-Screenings mit Freunden gemacht worden.

Den gestalterischen Einfluss im Schnitt möchte Moderator Schätz jedoch nicht vernachlässigen. Er sieht in der rhythmischen Montage des Films die adäquate Form für den subsistenzorientieren Lebensstil der porträtierten Familie. Der Film wolle in den Rhythmus eines landwirtschaftlich geprägten Lebens hineinführen. Die Notwendigkeit, genug Güter für den Winter anzusammeln strukturiere den Film. Auch dafür sei die erste Szene programmatisch. Die Unannehmlichkeiten, die mit einem rauen Leben zusammenhängen, würden hier gegenüber der wunderschönen Landschaft kontrastiert. Für Regisseur Guillain war tatsächlich der Gedanke eines Zyklus wichtig. Der Rhythmus des Films sollte durch die Jahreszeiten bestimmt werden. Schmidt betont, diese Idee von Anfang an der äußere Rahmen der Arbeit gewesen. Im Schnitt sei dann die Entscheidung getroffen worden, entgegen der Chronologie des Drehs den Winter nicht an den Anfang des Films zu setzten. Auch um die Armut nicht zu unterstreichen, erklärt Guillain. Ursprünglich sei sogar eine noch leichtere Atmosphäre, die Szene, in der Anamaria schwimmen geht, für den Anfang in Erwägung gezogen worden. Die Entscheidung für das Holzsammeln als ernsteren Anfang fiel schließlich, weil dadurch die Beziehung von Arbeit und Leben angemessen betont werden konnte. Das Holzsuchen sei eine der wesentlichen Arbeiten der porträtierten Familie. Anders als das Sammeln von umher liegendem Holz sei das Fällen von Ästen streng verboten. Rigorose Förster verteilen dafür häufig harte Strafzettel. Vor diesem Hintergrund haben die Kinder die Technik des Ast-Abbrechens durch Seile erfunden.

Durch die Verweise der Regisseure auf das Vorgefundene, nimmt die soziale Situation der Roma in Bulgarien einigen Raum in der Diskussion ein. Zuvor hatte Moderator Schätz noch das diskursiv-gegenläufige Narrativ des Films betont. Das Porträt der Familie Lingurar habe wenig mit den herkömmlichen Darstellungen marginalisierter Gruppen gemein. Die geläufige Assoziation von einem Leben, dass durch gesellschaftliche Repression bestimmt ist, sei hier zu Gunsten einer existentiellen Abhängigkeit von Acker und Wald aufgegeben worden, so Schätz. Doch genau dieses Ausbleiben bekannter Bilder beschäftigt einige Diskussionsteilnehmer nachhaltig. Wolfgang Esch irritiert die erzählte Sesshaftigkeit. Er verweist auf die Szene, in der die Familie im Fernsehen von Arbeitsangeboten in Spanien hört. Außerdem habe er im Film ein Kind vor Hunger weinen sehen. Seine Frage, warum die Familie in Rumänien geblieben sei, wird von Schmidt mit dem Hinweis auf die Abgeschiedenheit des Lebens ihrer Protagonisten beantwortet. Es sei das einzige Mal, dass sie erlebt habe, wie Fernsehen geguckt wurde. Die Arbeitssituation ihrer Protagonisten sei zwar bestimmt von immer weniger Möglichkeiten, herkömmliche landwirtschaftliche Arbeit zu verrichten, jedoch bleibe die Heimatverbundenheit ausschlaggebend. Man verlasse den Ort höchsten für kurze Zeit, um gezielt Geld für einzelne Projekte zu sammeln. Auf die Frage eines Diskussionsteilnehmers nach Roma-feindlichen Reaktionen, berichtet sie, in Rumänien sei der Film auf zwei Festivals gelaufen. Es habe dort Bestrebungen gegeben, den Film in Schulen gegen Stereotype einzusetzen. Schmidt berichtet auch von den Vorbehalten einiger rumänischer Zuschauer, die kritisierten, es würde im Film zu wenig Interaktionen zwischen Roma und Nicht-Roma gezeigt. Weitere Auskünfte müssen auch über die Religiosität der dargestellten Dorfbewohner erteilt werden. In der Diskussion aufkommende Imaginationen von fundamentalistischer Einflussnahme durch lokalen Prediger der adventistischen Gemeinde können Schmidt und Guillain allerdings nicht nähren. Das Thema Religion sei erst spontan während des Drehs dazugekommen. Im Dorf gäbe es auch andere Gemeinden: Eine katholische, eine griechisch-orthodoxe und eine Pfingstkirche. Wie wichtig die Kirche genommen werde, hänge stark von der individuellen Stimmung und Einstellung ab. Der Samstag als Ruhetag werde eingehalten, es werde kein Alkohol getrunken und an Feiertagen sei es vielen wichtig elegant gekleidet zu sein.

Schätz hat im Film einen Wechsel zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Religion gesehen. Die Kirche stehe innerhalb der Erzählung weniger für Machtstrukturen als für eine sehr organisierte Art zu leben. Die Frage nach den Machtstrukturen und Konflikten hält er an anderer Stelle für produktiver. Das Familienoberhaupt Aron wirke durch die Auswahl der Szenen sehr annehmend, ehrlich und herzlich. Diese Darstellung bewirke eine bestimmte Einordnung seiner politischen Funktion im Dorf. Im Schlussteil des Films scheine Aron gar als eine Art Bevollmächtigter des Films aufzutreten. Schätz erkennt hierin ein Moment der Vereinnahmung und will wissen, ob es je den Wunsch nach mehr Distanz von Seiten der Autoren gab. Wurden Arons Angebote vor der Kamera in bestimmten Momenten angezweifelt oder sogar herausgeschnitten? Das einzige, was bewusst herausgeschnitten wurde, seien Momente, in denen er sich zu sehr in politische Details vertieft hat, erinnert sich Guilain. Aber seine Haltung gegenüber Aron sei definitiv keine distanzierte gewesen. Als Politiker könne er sehr gut sprechen. Schmidt beschreibt ihren Protagonisten als sehr emotional und wechselhaft. Davon haben habe sie sich mitnehmen lassen. Sie räumt ein, bestimmte Themen, wie die Beziehung zu seiner vorherigen Ehefrau, seien dadurch im Film weniger stark vertreten. Schmidt betont aber, sie habe nie, zumindest nicht mit Absicht, Konflikte herausgeschnitten.