Synopse
Zwölf Stunden. Ein Sonntag. In einer Eckkneipe in Hamburg. Es wird getrunken, philosophiert, geschnackt. Am Tresen, an den Tischen. Fast alles Stammgäste. Sie kommen, gehen, kommen wieder. Wenige sind übrig. – Weg, weg, weg, weg, weg. – Eine Bleibe vor dem Ablegen. Noch ein Astra, ahoi.
Protokoll
Die erste Einstellung zeigt eine Eckkneipe im Hamburger Stadtteil Großneumarkt. Angelehnt an die filmische Methode des direct cinema und mit Klaus Wildenhahns Film Heiligabend auf St. Pauli (1968) als Vorbild, beobachtet Regisseur Bernd Schoch die Wirtin Helga und ihre Stammgäste einen ganzen Sonntag lang beim gemeinsamen trinken, spielen und über die Vergangenheit und Zukunft philosophieren. Zunächst nur als Gesprächsfetzen wahrnehmbar, beginnen die Protagonisten, nach und nach ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die Kamera bewegt sich für den Rest des Films ausschließlich im Innenraum der Kneipe und die Außenwelt ist nur noch über den Blick durch die Fenster sichtbar.
Peter Ott beginnt die Diskussion, indem er auf die eingeblendeten Texttafeln zu Beginn des Films Bezug nimmt, die den Zuschauer über Ort und Zeit des Drehs informieren und fragt, mit welcher Fragestellung Schoch an dieses Projekt herangetreten ist. Wie eine Versuchsanordnung wirken seiner Meinung nach diese festgesteckten Rahmenbedingungen. Schoch erklärt daraufhin, dass er die Methode des direct cinema überprüfen wollte und er den abgesteckten Zeitraum als eine Möglichkeit von vielen gewählt hatte. Das Reagieren und Entscheiden aus dem Moment heraus stellte für ihn auch eine Herausforderung dar.
Ott spricht daraufhin das immerzu wechselnde Verhältnis von Innen und Außen an. Dies wird deutlich, wenn neue Gäste die Kneipe betreten, manchmal wiederkommen und andere sie verlassen. Außerdem gebe es Situationen, in denen kurz das Geschehen außerhalb der Kneipe sichtbar wird; eine vorbeigehende Mutter mit ihrem trotzigen Sohn oder die Festnahme eines Verdächtigen durch die Polizei. Tatsächlich habe der Regisseur auch Szenen außerhalb der Kurzen Ecke aufgenommen. Diese Idee habe sich jedoch im Schnitt nicht bewährt. Schließlich sei etwa der Tagesverlauf auch durch den Blick durch die Fensterscheiben ersichtlich.
Im Hinblick auf die Schnittarbeit erklärt der Filmemacher, dass zwischen aufgenommene und verwendete Material ein Drehverhältnis zwischen 1:4 bestand, und der Film sich fast von selbst geschnitten habe. Lediglich technische Schnitte seien im Anschluss nötig gewesen. Der Ton wurde, für Ott überraschend, in Mono abgemischt. Eigentlich seien vier Mikrophone im Einsatz gewesen, aber es sei eben genau dieser Lärmpegel und die Gesprächsfetzen, die die Atmosphäre der Kurzen Ecke widerspiegeln. Nur in wenigen Momenten habe Schoch Tonblenden eingesetzt. Entgegen Otts Vermutung, dass die Kamera weitestgehend aus einer Perspektive filmt, merkt Schoch an, dass alle möglichen Standorte ausgeschöpft wurden. Zu Beginn habe es jedoch mehr Möglichkeiten und eine größere Dynamik in der Kneipe gegeben, weswegen der Film nach und nach ein langsameres Tempo annimmt.
Hinsichtlich einer, wie Ott findet, Selbstaufzeichnung und -dramatisierung der Protagonisten, fragt der Moderator, wie Schoch es geschafft habe, dass die Gäste so offenherzig aus ihrem Leben erzählen. Schließlich folge der Film somit einer gewissen Dramaturgie. Auch für den Regisseur sei dies erstaunlich gewesen, da die Kamera in der relativ kleinen Kneipe zumindest räumlich sehr präsent war. Natürlich habe er vorher mit den jeweiligen Personen gesprochen und um ihr Einverständnis gebeten. Den Großteil der Besucher habe Schoch aber das erste Mal am Drehtag getroffen. Auch dass ausgerechnet an diesem Tag Doppelkopf gespielt wurde und hierfür Preise verliehen wurden, war Zufall. Gerade das Zulassen einer Dramaturgie, die von den Gästen vorgegebenen wurde und damit für den Regisseur Improvisation bedeute, fand Schoch spannend.
Anschließend folgt in der Diskussion ein Gespräch über das Verschwinden des Konzepts der Eckkneipe, das nicht nur in Hamburg zu beobachten ist. Diese Veränderung, so Ott, werde im Film auch thematisiert, etwa wenn Helga erzählt, dass nach ihr niemand die Kurze Ecke weiterführen wird. Hier spricht Ott auch das ehemalige Arbeiterviertel des Großneumarkts an, mit dem auch eine gewisse Art und Weise zu trinken einhergehe. Früher sei es, anders als heute unter einem post-fordistischen Arbeitsdruck, normal gewesen auch während der Arbeit Bier zu trinken. Auch die Dame, die berichtet, wie sie direkt aus dem Bett und ohne zu duschen in die Kneipe kommt, wirke wie aus der Zeit gefallen, so ein Diskutant aus dem Publikum.
Außerdem experimentiere der Film mit verschiedenen Wahrnehmungsschichten. Wenn etwa eine junge Frau mit Hund die Kneipe betritt, wird im Hinblick auf Körperbild und Verhalten eine Art und Weise der Fremdheit gegenüber den Gästen der Kneipe sichtbar. Der Grund, sich filmisch mit der Arbeiterkultur auseinanderzusetzen, liege, so Schoch, in seiner eigenen sozialen Herkunft, die sofort ein großes sympathisches Verhältnis zu den Protagonisten hervorgerufen habe. Neben dem Einblick in diese in sich geschlossene Welt, die sich für die Zuschauer durch die filmische Methode ergibt, sei der Film, so Ott, auch als eine gelungene Reproduktion der Binnenwahrnehmungen der Kneipengäste zu verstehen. Er zeige damit eine tolle Perspektive auf einen Teil unserer immer älter werdenden Gesellschaft.