Synopse
Dunkel. Lichter am Horizont. Dämmerung. Grillen zirpen. Sonnenaufgang. Dunkel. Stille. Dämmerung. Grillen zirpen. Sonnenaufgang.
Protokoll
Die Zeit kann vom Denken genauso wenig eingeholt werden wie von den Bildern. Sie vergeht – selbst beim Nachdenken über den Lauf der Zeit oder beim Betrachten seiner Bebilderung verrinnt sie unerbittlich. Trotzdem wirkt Lukas Marxt‘ Double Dawn als sei hier Zeit „in-virto“ konserviert; als könne man ihr beim Vergehen zusehen, während für den Betrachter selbst andere Gesetze gelten als für den Gegenstand, der sich gerade auf der Leinwand entfaltet. „Das Staunen darüber, was man da eigentlich genau sieht“ nennt Joachim Schätz zu Beginn der Diskussion mit Lukas Marxt und Kamerafrau Vanja Smiljanic passenderweise als den ersten Eindruck seiner Seherfahrung. Staunen einerseits aufgrund der singulären Erfahrung des durch eine Sonnenfinsternis am frühen Morgen herbeigeführten doppelten Sonnenaufgangs. Andererseits Staunen wegen eines Konzeptes, das den Rahmen schafft, um aus diesem Naturerlebnis ein nachgerade existenzielles künstlerisches Erlebnis zu machen. Für Werner Ružička tritt das Staunen bei Double Dawn sogar ganz an die Stelle des Sehen und Verstehens.
Was zu sehen ist, ist schneller in Worte gefasst als es sich fassen lässt: Die Ranger Uranmine liegt vor der Kamera, zu erkennen sind allerdings nur einzelne Lichter am oberen Bildrand. Die Kadrierung lässt viel Raum für das Schwarz der Nacht, das nur sehr langsam der zweifachen Dämmerung weicht und als Bergbaugrube erkennbar wird. Diese Langsamkeit wird den ganzen Film über nicht durch einen einzigen Schnitt beschleunigt. Licht wird gegeben und genommen, um dann wieder mit größerer Intensität wiederzuerscheinen. Schätz beschreibt dieses Geben und Nehmen von Licht und damit Sicht auf den unbewegten Bildkader als „Rhetorik der Offenbarung“. Dabei ist der Vorgang der Offenbarung genauso wichtig, wie das Offenbarte: Lukas Marxt stellt heraus wie wichtig es ihm gewesen sei, das menschliche Dasein in Form des in die Natur eingreifenden Bergbaus vor dem Hintergrund des einzigartigen Naturschauspiels ins Bild zu setzen. So werden zwei Zeitebenen erfahrbar: Das Abtragen der Erde in der Mine geschieht in Stufen, die wiederum räumlich in den Terassen der Grube sichtbar werden. Ganz anders die kontinuierliche, nicht in klar voneinander trennbare Intervalle zerfallende Dämmerung, die nur an diesem Morgen aus ihrer zeitlichen Routine herausfällt.
In Double Dawn ist Zeit sogar zu hören: Auf die Frage aus dem Publikum, wie die Tonspur des Filmes entstanden sei, gibt Marxt zu, man habe zwar alle Töne vor Ort an der Mine aufgenommen, in ihrer Anordnung allerdings „geschummelt“, um das Ereignis auf der Tonebene „plastisch nachbauen“ zu können. Beispielsweise hört man das Erwachen der Grillen gleich zwei Mal zusammen mit den beiden Sonnenaufgängen. Die Menschen wiederholen ihre Morgenroutine hingegen nicht, nur weil es der von der Sonne angezeigte Zeitverlauf diktiert: Wenn die Laster einmal in die Grube rollen, gibt es kein Zurück mehr – der Arbeitstag hat begonnen. Marxt beschreibt die Tonspur in diesem Zusammenhang als „erdenden Maßstab“. Sie verstärkt den Eindruck des in die Welt geworfenen Menschen, der sich mit seinem Ordnungswillen von den äußeren Maßstäben seiner Existenz immer mehr entfernt.
Die Rhetorik der Offenbarung bezieht sich in Double Dawn jedoch nicht allein auf die Erhellung bisher mehr oder weniger verborgener existenzphilosophischer Einsichten. Der Blick in die Grube gewinnt langsam aber sicher an Tiefe: Hat man zunächst das Gefühl, ein zweidimensionales Tableau zu sehen, gibt das Licht zögerlich die dritte Achse des Bildes frei. Werner Ružička bemerkt, dass das Bild alle Gesetze der Natur als disponibel darstelle: Gerade der Gestus der langsamen Offenbarung erlaube gleichzeitig, langsam des Gezeigten gewahr zu werden und dasselbe als beliebig wahrzunehmen. Marxt stimmt zu: Die Erfahrung von Zeit brauche einen Abgleich, der zumeist räumlicher Natur ist. So könne es passieren, dass die räumliche Umgebung entweder Überhand nehme oder aber vor den Augen des Betrachters verschwinde.
Lukas Marxt macht in diesem Zusammenhang auf einen Punkt aufmerksam, den Joachim Schätz bereits zuvor betont hatte: Jene lichtempfindlichen Augen des Betrachters, die uns wiederum die Erfahrung von Double Dawn ermöglichen, sind Kameras. Die existenzielle Diskrepanz zwischen Natürlichem und technisch geschaffenen Zeug berührt hier die elementare Ebene der Wahrnehmung. Das Bemerkenswerte ist, dass die Natur tut, was eigentlich nur Film kann: Sie manipuliert scheinbar ihre Zeitachse und arbeitet mit einer Wiederholung.
Vanja Smiljanic berichtet in geschickt gewählten Worten von den pragmatischen Bedingungen des Drehs und der Geschichte des gezeigten Ortes: Man habe diverse „levels of negotiations“ durchlebt, um überhaupt an der Mine drehen zu dürfen. Die Grube selbst sei in der Nähe eines Nationalparks und würde deswegen kontrovers diskutiert. Die „layers of historical background“, die die Gegend prägten, machten die Ranger Uranmine zu einem kontroversen Ort. Wie bereits Nella Fantasia, Marxt‘ letztjährigen Beitrag auf der Duisburger Filmwoche, bewegt sich Double Dawn jedoch fern der semantischen Felder, die der öffentliche Diskurs um seine Sujets vorgibt: So wenig wie es in Nella Fantasia um den Rohstoffabbau auf Bohrinseln als industriellen Wirtschaftszweig geht, stehen bei seinem diesjährigen Wettbewerbsbeitrag die energiepolitischen und wirtschaftlichen Konsequenzen im Mittelpunkt, die das Bild einer Uranmiene unter Umständen konnotiert.
Marxt und Smiljanic ging es eher darum, einen reinen Moment der Evidenz zu verfolgen und festzuhalten. Von dem diskursiven Umfeld abstrahiert das in mühsamer Recherche gefundene Bild so sehr, das sich das Gefühl einstellt, es bringe seine eigene Zeit mit.
Lisa Rölleke, Svenja Klüh, Alexander Scholz, Sarah Ben Hardouze, Matthias Wannhoff v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald