Film

Cargo
von Barbara Kasper, Lothar Schuster
DE 2014 | 75 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
06.11.2014

Diskussion
Podium: Barbara Kasper, Lothar Schuster
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Im Terminal. Kräne fahren hin, her, beladen Schiffe. Die „Kristin Schepers“ läuft aus und nähert sich mit jeder Seemeile ein wenig mehr der eigenen Jungfernfahrt, damals, 1968, auf der „Weissenburg“. Dabei die Crew, Lichtbilder und Seemansgarn vom Löschen der Ladung in der Ferne. Eine Hand für das Schiff, eine Hand für den Mann. 

Protokoll

In gleichgültigem Grau liegt der morgendliche Himmel hinter den hell erleuchteten königsblauen Ladebrücken. Ein seltsamer Tanz der Maschinen eröffnet sich dem Blick des Zuschauers. Wie von Geisterhand bewegen sich die teils ohne Fahrer bedienbaren Instrumente zur Güterabfertigung. Vor der geordneten Choreografie der Maschinen im Takt der Ökonomie schlagen die Wellen im freien Rhythmus gegen die Wände des Hafenbeckens. Obwohl dieser Anblick seine ganz eigene Ästhetik aus grellen Farben und Lichteffekten vor den Graustufen aus Himmel und Meer entwirft, will sich trotz Nebel und unheimlicher menschenleerer Kulisse kein Gefühl der Romantik einstellen. Romantik – zugegeben in ihrer nostalgischen Prägung – bieten eher im erratischen Logbuchstil vorgetragene Erinnerungen an die Schifffahrt vor knapp 50 Jahren. Damals hatte Regisseur Lothar Schuster kurz vor seinem Filmstudium auf der Weissenburg angeheuert und war über die Meere gereist. Zeugnis dieses Abenteuers sind seine Aufzeichnungen, die er aus dem Off vorliest und den Film durchgängig begleiten. Die Bilder der heutigen Containerschifffahrt und die Erinnerungen Schusters an seine Reise in der Zeit, kurz bevor die Seefahrt auf jene Container umgestellt wurde, sind die gegensätzliche Klammer, die Cargo einen Rahmen geben, in dem die beiden Filmemacher ein loses Netz an Bezügen, Materialien und Meinungen collagieren.

Die Zeit am Ende der 60er-Jahre wird in Cargo vor allem als verlorene beschrieben: Schuster berichtet, welche gesellschaftliche Rolle die Seefahrt damals gespielt habe. In der Wochenschau sei über die Faszination der Menschen berichtet worden, wenn große Tanker in Hamburg einliefen, die Schifffahrt habe eine Aura des Abenteuerlichen umweht. Heute seien die Arbeiter auf den Schiffen in einem exterritorialen Niemandsland gefangen, viele Reeder agierten nur noch als Investoren, die Arbeitsbedingungen der Mannschaften seien miserabel. Peter Ott hakt an dieser Stelle ein. Er sieht in dem Wandel, den Cargo aufzeigt, den Wandel vom Kolonialismus zur Globalisierung repräsentiert und fragt sich, was die Formulierung aus dem Film, die neue Epoche der Schifffahrt habe „keine Seele mehr“ in diesem Zusammenhang bedeuten könnte. Barbara Kasper versucht dieser Seelenlosigkeit zunächst über die Beschreibung des Äußeren der Schiffe beizukommen. Moderne Containerschiffe hätten keine Ladebäume und seien voll mit Elektronik – die genuin maritime Schönheit sei zum Zwecke der Ökonomie des Transports gewichen, die Schiffe sähen aus wie LKWs zu Wasser. Lothar Schuster ergänzt, dass durch die verkürzten Liegezeiten der Schiffe in den Häfen, das Kennenlernen ferner Länder und Kulturen heute nicht mehr Teil der Seefahrtskultur sei, was zu deren Seelenlosigkeit beitrage. Dass das Bild des Containers in Cargo die zentrale Metapher für den Verlust der Seele ist, resümiert Peter Ott treffend, sei der neuen „Mittelbarkeit der Dinge“ bzw. Waren, dem Verlust ihrer direkten Zugänglichkeit durch ihre ökonomische Verstauung geschuldet.

Um die Zeit vor diesem Verlust zu bebildern haben Kasper und Schuster eine mühsame Recherche bei Zeitzeugen und in Schifffahrtsarchiven betrieben, die Lothar Schusters eigene Zeugnisse ergänzen sollen. Über Schusters Stimme hinaus, lassen sie Besitzer von Archivmaterialien selbst aus dem Off über diese berichten und arrangieren Zitate verschiedenster Herkunft zu Fotos und Bewegtbildsequenzen. Diese Verweisstruktur, die, so Schuster, nach dem Prinzip der „kontrapunktischen Berührung“ funktionieren solle, sorgt bei Teilen des Publikums für Irritationen: Der Film habe offensichtlich Mühe, seine disparaten Einzelteile zusammenzuhalten, merkt eine Zuschauerin an. Gerade der Einsatz der eingeblendeten Zitate wird kritisch hinterfragt. Es handele sich um „Allgemeinplätze“, die ohne einen sinnvollen Zusammenhang „altklug“ wirkten, findet ein anderer Zuschauer. Es gibt aber auch eine Stimme, für die die Zitate „den Gestus des Operationellen durchbrechen“ und „etwas wie Transzendenz“ zugänglich machen. Lothar Schuster bleibt dabei, dass ihm die Zitate und ihre metrische Funktion gefallen, lediglich bei dem Größe der Schrift ist er kompromissbereit: Sie müsse raumfüllender werden.

Andere inszenatorische Entscheidung der Regisseure finden mehr Gefallen beim Publikum. Die Idee, die bewegten Bilder der heutigen Schifffahrt, die die beiden auf einer achttägigen Reise auf einem Kontainerschiff geschossen haben, durch Fotos zu unterbrechen, gefällt den Diskussionsteilnehmern. Die entschleunigende Funktion dieser Technik wird durch ihre leicht irritierende Wirkung ergänzt. Denn die Bilder sind so montiert, dass nicht nur Peter Ott etwa zwei Sekunden lang nach der Bewegung im Bild sucht, nachdem auf ein Foto umgeschnitten wurde. Den Effekt, der sich bei dieser vergeblichen Suche nach Bewegung im Bild einstellt, beschreibt ein Zuschauer als Anregung der Imagination – durch das unbewegte Bild in Verbindung mit dem Voice-over biete der Film die Möglichkeit, sich das beschriebene nach eigenen Maßstäben vorzustellen. Kasper und Schuster umgehen mit dieser Technik zudem geschickt den Umstand, dass sie sich bei ihrer Reise auf dem modernen Containerschiff nur sehr eingeschränkt auf dem Schiff bewegen durften. Ihr Interesse habe darüber hinaus nicht auf Interviews mit den fotografierten Personen gelegen, sondern auf Beobachtungen.

Umso erstaunlicher nehmen sich die Einlassungen der beiden Regisseure zu der Mannschaften des Schiffes aus. Die Phillipinos, die auf dem Containerschiff arbeiteten, hätten im Gegensatz zur europäischen Seefahrertradition keine Mythen und verdingten sich bedauerlicherweise nicht aus Abenteuer, sondern lediglich aus finanzieller Not auf zur See. Das babylonische Sprachengewirr an Bord der modernen Tanker sei zudem ein Sicherheitsrisiko. Beim Betrachten der Archivbilder in Cargo will sich allerdings der von den Filmemachern beschworene Unterschied der heutigen Zeit zu der wohligen Vergangenheit nicht wirklich einstellen: Vorwiegend schwarze Arbeiter sind auf den Fotos zu sehen, wie sie schlecht gesichert, die verschiedensten Waren unter offensichtlicher körperlicher Anstrengung stapeln und löschen müssen. Zu sehen sind außerdem Archivaufnahmen europäischer Seefahrer, die auf See den martialischen Ritus einer Äquatortaufe vollziehen und eher einen karnevalesken als einen mythisch erhabenen Eindruck machen. Auch im Publikum regt sich angesichts der Aussagen der Ko-Regisseure leichter Unglauben. Es wird gefragt, ob angesichts der sehr reduzierten Thematisierung der Crew im Film solche Thesen überhaupt zulässig seien.